Filmkritik

Leviathan

| Jennifer Borrmann |
Russland: Wer aufbegehrt, geht unter.

Es ist keine optimistische Momentaufnahme, jedoch ein starker und cineastisch überwältigender Film, der seit Monaten die lobenden Stimmen der Filmkritiker und die verhalten ablehnenden Kommentare regierungstreuer Politiker aufeinander prallen lässt. Andrej Swjaginzews Leviathan lehnt sich an die Geschichte des Hiob, trägt Anklänge eines Michael Kohlhaas: Ein Mann lehnt sich auf gegen fragwürdige Systemkonstrukte. Koljas Haus steht den Plänen des korrupten Bürgermeisters im Weg. Der ehrliche Mechaniker tut alles ihm legal zur Verfügung stehende, um eine Räumung abzuwenden, sieht sich jedoch unbezwingbaren Autoritäten gegenüber. Schon die erste Sekunde im Gerichtssaal deutet an, dass ein Entkommen aus der entstandenen Abwärtsspirale nur schwer denkbar ist.

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Leviathan ist wundervoll gespickt mit zahlreichen Seitenhieben auf ein System, das ein Weiterkommen des kleinen Mannes von vorn herein negiert: So nimmt die Lösung eines Kreuzworträtsels auf Darwins Theorie der natürlichen Auslese Bezug oder läuft im Fernsehprogramm – leicht zu übersehen – eine Berichterstattung über Pussy Riot. Regelmäßig holt sich die Staatsgewalt die Absolution der Kurie. Diese oft nur kurzen Szenen zeigen deutlich, wie intensiv die Autoren Swjaginzew und Oleg Negin bis ins kleinste Detail am Drehbuch gefeilt haben.

Erzählt wird die Geschichte vor dem Hintergrund einer kargen, menschenleeren und zugleich Atem raubenden Landschaft an der Küste eines rauen, unheimlichen Meeres. Lange und weite Einstellungen, Nahaufnahmen von verlassenen und zu rostigen Skeletten verkommenen Fischerbooten spiegeln eine Einsamkeit wider, die nicht nur in Koljas Leben, sondern generell in dem kleinen Fischerdörfchen an der Barentsee eine große Rolle spielen. Die Kamera wirkt wie ein Fenster in eine cineastische Allegorie auf die Aussichtslosigkeit der Auflehnung.

Auch wenn die Missbilligung des russischen Systems kaum verhohlen wird, ist Leviathan eine universelle Erzählung. Gegen Ende des Films fragt Kolya ironisch-vorwurfsvoll einen Priester, ob es ein besseres Ende nehmen würde, wenn er regelmäßig in die Kirche gehen und beten würde. Der Leviathan, das übermächtige und vernichtende Ungeheuer (hier also das System) kann nicht gebändigt werden, so der Gottesdiener. Religion ist in diesem Porträt Russlands Stützpfeiler der Macht, nicht der Menschen. So sehr Leviathan die intime Geschichte des kleinen Mannes ist, so sehr kommentiert diese kritisch das Ungeheuer selbst.