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Sightseers

| Alexandra Seitz |

Serienkiller auf Campingtour – ein bitterböses Prachtexemplar englischen Humors

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Sie nerven brutal. Sie sind besserwisserisch, quengelig, übergriffig, weinerlich und unverschämt. Sie heißen Tina und Chris und sind bereits ein wenig aus dem Leim gegangen: Halbglatze er, Hüftgold sie, unvorteilhafte, dafür funktionale Kleidung beide. Sie sind ganz normale britische Touristen, unterwegs im Wohnwagen auf einer Sightseeing-Tour quer durch die Midlands, wo Sehenswürdigkeiten vom Schlage Trambahnmuseum in Crich oder Bleistiftmuseum in Keswick sie erwarten und als Belohnung in der Ferne das Ribblehead Viadukt lockt. Tina und Chris sind die Helden von Sightseers und allein die Tonlage und die Insistenz, mit der Tina den Namen „Chris“ unendlich wiederholt, wenn sie diesen auf sich aufmerksam machen will, wirkt sich auf den Zuschauer aus wie das Schaben von Fingernägeln auf einer Schultafel. Man möchte die beiden mit einem nassen Lappen erschlagen. Aber das gehört sich freilich nicht. Genauso wenig wie sich gehört, was Tina und Chris auf ihrer Tour so alles mit ihren Mitmenschen anstellen. Fährt ihnen einer quer ein, wird lästig oder kommt ihnen gar blöd, springt er schneller über die Klinge, als er realisieren kann, dass die beiden nicht ganz so harmlos sind, wie sie aussehen. Eben das ist der Clou.

Ben Wheatley inszenierte Sightseers nach einem Drehbuch, das die beiden Hauptdarsteller und TV-Komödianten Alice Lowe und Steve Oram in jahrelanger Arbeit aus einem gemeinsamen Comedy-Programm entwickelten. Es kombiniert entfesselte Soziopathen mit Häkeldeckchen-verzierter English-ness,
präpariert aus der Biederkeit das Grauen heraus und aus der Provinzialität die Bösartigkeit und ist ein neuerlicher Beweis dafür, dass der schwärzeste Humor, die gnadenloseste Selbstironie und die tabulosesten Witze ihre Heimat immer noch auf den Britischen Inseln haben. Die Konsequenz, mit der Sightseers es dem Zuschauer verweigert, seine beiden mörderischen Protagonisten auch nur ein wenig sympathisch zu finden oder das, was diese treiben, entschuldbar, macht ihn zu einem ebenso profund unangenehmen wie irritierend unterhaltsamen Seherlebnis. Abgestoßen und fasziniert zugleich folgt man aus erzwungener, mehr oder weniger analytischer Distanz einer Geschichte, die Elemente aus Sozialdrama, Liebesromanze und blutrünstigem Horrorfilm ins Komödiantische wendet, indem sie diese grotesk überzeichnet und dabei doch bierernste Miene bewahrt. Das Lachen könnte einem vergehen, wäre das Ganze nicht so tragisch.