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Vergiss mein nicht

| Ines Ingerle |

David Sieveking nimmt uns mit in seine private Welt und erzählt eine sehr persönliche, bewegende Geschichte.

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Alzheimer ist den meisten Menschen ein Begriff – zumindest als „die Krankheit, bei der man alles vergisst“. Die Tragweite und genauen Auswirkungen dieses Leidens sind jedoch nur jenen bewusst, die sie selbst als Betroffene oder Angehörige erlebt haben. David Sieveking, der mit seiner kritischen Betrachtung der Transzendentalen Meditation in David Wants to Fly für einiges Aufsehen sorgte, ist einer davon. In seinem Dokumentarfilm Vergiss mein nicht erzählt er die Geschichte seiner an Altersdemenz erkrankten Mutter.

Bei Gretel Sieveking machen sich 2005 im Alter von 68 Jahren Gedächtnisschwächen bemerkbar. Drei Jahre später wird bei ihr Alzheimer-Demenz diagnostiziert. Ihr Mann Malte  umsorgt sie hingebungsvoll, bis er an seine psychischen und physischen Grenzen stößt. David Sieveking zieht daraufhin wieder bei seinen Eltern ein, um den vollkommen erschöpften Vater zu entlasten und sich um seine Mutter zu kümmern. Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren dokumentiert er mit viel Feingefühl und Zärtlichkeit die Zeit mit Gretel und seine Versuche, ihr zur Seite zu stehen. Durch die Gedächtnis-störung seiner Mutter wird ihm erst bewusst, wie wenig er eigentlich über sie weiß. Er wühlt tief in der Vergangenheit und findet darin den Schlüssel zu seiner eigenen Geschichte. Gretel hat mittlerweile vergessen, wer sie einst war und lebt nur noch im Hier und Jetzt – dabei ist sie entwaffnend ehrlich, unbekümmert-kindlich, romantisch und emotional. Während ihre Erinnerung immer weiter schwindet, entwickelt sie eine befreite, ungezwungene Einstellung zum Leben und überrascht Beteiligte wie Zuschauer mit ihrem Wortwitz und ihrer Poesie. David lernt seine Mutter neu kennen und lieben – ebenso wie Malte seine Frau auf eine noch nie dagewesene Weise wahrnimmt und spürt. Gretel und er entwickeln eine sehr spezielle Art der Zuneigung zueinander und kommen sich am Ende ihrer fast 50-jährigen Beziehung näher als  jemals zuvor.

David Sieveking fängt in seinem Dokumentarfilm sensibel und respektvoll Emotionen ein, die mit der sorgfältig komponierten Musik von Jessica de Rooij  wunderschön untermalt werden. Es gelingt ihm, den trotz der schweren Lage vorherrschenden Optimismus, die Wärme und die Liebe, die die Charaktere einander schenken, zu transportieren. So wird Vergiss mein nicht keine tragische Krankengeschichte, sondern ein romantischer, heiterer und überaus berührender Film über Liebe, Intimität, Nähe und die optimistische Erkenntnis, dass am Ende oft ein neuer Anfang steht.