ray Filmmagazin » Themen » Über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkung

Side Effects – Steven Soderberghs fintenreicher Thriller um Psyche und Pharmaka

Über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkung

| Roman Scheiber |

Hitchcockesk: Steven Soderberghs angeblich letzter Kinofilm „Side Effects“, ein fintenreicher Thriller um Psyche und Pharmaka.

Werbung

Eine Begegnung zweier Psychiater in schickem Ambiente. Während die beiden im Vordergrund wechselseitig ihren Wissensstand abtasten, kokettiert die Kamera aus leichter Untersicht mit dem unscharfen Hintergrund: warme Lichtpunkte von der Decke, gedecktes Interieur, Spiegelungen. Irgendwoher kommt einem das bekannt vor. Das Casino in Ocean’s Eleven, waren die Gauner da nicht auch öfter aus so einem Kamerawinkel gefilmt? Oder war es eine Restaurantszene aus Out of Sight? Die Erinnerung daran ist so verschwommen wie die Unschärfentiefe dieser Szene, die einerseits stimmig wirkt, weil sie einen narrativen Nebel hinter der offensiv freundlichen, von Catherine Zeta-Jones gespielten Ärztin andeutet. Sie lässt aber auch an Fragen denken, die der kürzlich 50 Jahre alt gewordene US-Regisseur Steven Soderbergh sich schon öfter selbst gestellt hat: Wiederhole ich mich nur noch? Habe ich mein Formenvokabular ausgeschöpft? Was wäre dann noch der Sinn meiner Arbeit? Side Effects soll sein letzter Kinofilm sein, sagt er, „jedenfalls für eine lange Zeit“.

Kino-Allrounder

Soderbergh ist kein Regisseur, der nach einem berühmten Diktum immer denselben Film dreht, wie man es zum Beispiel Robert Bresson nachsagt. Im Gegenteil: „Jeder neue Film sollte alle zerstören, die ich davor gemacht habe“, verkündete er zur Premiere von Side Effects. Seit seinem in Cannes durchschlagenden Debüt sex, lies, and videotape (1989) erarbeitete er sich den Ruf eines Chamäleon-Filmemachers. In den 26 seit damals entstandenen Kinospielfilmen wechselte er häufig zwischen Autorenkino und hoch budgetierter Studioproduktion, bei den meisten Projekten bemüht, zumindest formalästhetisch etwas Neues zu machen. Unternahm Ausflüge ins expressionistisch Experimentelle (Kafka, 1991) und in die Genregeschichte (etwa mit der verspielten Gangster-Etüde The Limey, 1999). Inszenierte auf den großen Markt zielende Filme wie das Umweltprozessdrama Erin Brockovich (2000) oder die smart-flockige Ocean’s-Reihe (2001–2007), überzeugte mit dem Drogen-Episodendrama Traffic (2000) und dessen fabelhafter Blau-Gelb-Farbdramaturgie. Einmal lässt er sich zu einem billigen Spottvideoessay über Hollywood namens Full Frontal (2002) hinreißen. Dann wiederum paraphrasiert er The Third Man und Casablanca mit dem Schwarz-Weiß-Noir The Good German („ray“ 03/07) oder legt wie im Vorbeigehen ein zweiteiliges Biopic von Ernesto Che Guevara vor (Che, „ray“ 06/09). In jüngster Zeit faszinierte die Kühle und Erzählökonomie des Katastrophenthrillers Contagion (2011) bzw. überraschte die Pulp-Video-Ästhetik und Spezialeffektarmut des Martial-Arts-Actionfilmchens Haywire (in „ray“ 03/12 ordentlich zerlegt).
Mit all dem ist nicht einmal die Hälfte des Regie-Œuvres von Steven Soderbergh benannt. Dazu kommt seit 2000 seine häufige Arbeit als Kameramann (unter dem Pseudonym Peter Andrews, die Vornamen seines Vaters) und (als Mary Ann Bernard) als Cutter der eigenen Filme. Als (Ko-)Produzent realisierte Soderbergh überdies herausragende Filme wie George Clooneys Good Night, and Good Luck, Stephen Gaghans Syriana, Tony Gilroys Michael Clayton oder Richard Linklaters A Scanner Darkly. Schon allein wegen der Quantität seines kreativen Outputs stand er immer wieder im Verdacht der Oberflächlichkeit, welcher sich zuletzt anlässlich des Stripper-Dramas Magic Mike (2012) erhärtete. Dass dieser nimmermüde, nach dem Saugschwammprinzip funktionierende Arbeiter ohne das Kino leben mag, kann man sich jedenfalls schwer vorstellen.

Kopfschmerzen

Womöglich hat Steven Soderbergh Erfahrung mit jenen Anti-Burn­out- und Gute-Laune-Pillen, die seinen jüngsten Thriller Side Effects inspirierten. Die im Film namentlich genannte Auswahl: Zoloft, Prozac, Wellbutrin, Effexor. Es war nur eine Frage der Zeit, schrieb die „New York Times“, bis Hollywood, wo Anti-depressiva so gängig sind wie Atemfrische-Drops, die Pillen in einen „High Stakes Thriller“ packen würde. Dass die Nebenwirkungen sich dabei nicht auf Schwindel, Übelkeit, Angstzustände oder Schlaflosigkeit beschränken würden, konnte man sich ausrechnen. Mordlust müsste es sein, um den filmischen Einsatz hoch zu halten. Doch damit ist fast schon zu viel verraten, denn wer sich diesen Film zu Gemüte führt, sollte nicht allzu genau wissen, was er einnimmt. Dementsprechend schwierig ist es, über die Ingredienzen zu schreiben, ohne Spoiler-Alert auszulösen oder Kopfschmerzen zu kriegen.
Eine grobe Handlungs-Skizze könnte so aussehen: Emily Taylor (überzeugend, nuancenreich: Rooney Mara) empfängt ihren Ehemann Martin (Magic Mike Channing Tatum), der nach einer vierjährigen Haftstrafe wegen Insiderhandels aus dem Gefängnis kommt. Emily scheint erfreut, ihn zurückzuhaben, quält sich nichtsdestoweniger mit diversen Ängsten und einer Depression. Sie kommt zu Dr. Jonathan Banks (überraschend erfreulich: Jude Law) in psychiatrische Behandlung, die bald durch eine Glücksdroge namens Ablixa unterstützt wird. Deren mögliche unerwünschte Wirkung auf die labile Patientin steht nun eine Zeit lang im Vordergrund, lenkt jedoch hauptsächlich davon ab, dass fast alle involvierten Figuren einen motivationspsychologisch zumindest fragwürdigen Eindruck machen.
Das fintenreiche Drehbuch geizt nicht mit Twists and Turns. Fast eine Dekade hat Scott Z. Burns (auch Autor des Seuchenthrillers Contagion und der Satire The Informant!) gebraucht, um den Stoff filmreif zu machen, gemeinsam mit dem forensischen Psychiater Sasha Bardey, der schließlich auch als Ko-Produzent und Schauspielcoach in das Projekt einstieg. Vom Ergebnis wäre vielleicht sogar der eben erst mit dem biografisch inspirierten Ehedrama Hitchcock gewürdigte Meister des Suspense beeindruckt gewesen. Womit aber erneut zuviel verraten wäre, zumindest jenen, die Hitchcocks Sinn für die Bösartigkeiten hinter vorgespielten Verhaltensweisen kennen und seine ingeniöse Methode, diese in Spannungsdramaturgien zu verblistern, die den erwünschten Psycho-Effekt beim Konsumenten erzielen. Obwohl auch die justiziablen Implikationen des Geschäfts mit den Glückspillen – wohldosiert aufs Tempo drückend – abgebildet werden, handelt es sich bei Side Effects mitnichten um einen bloßen „Pharma-Thriller“. In seiner überschüssigen Twist-Struktur erinnert er ein wenig an den kultigen Psychokrimi Malice (1993, Drehbuch: Aaron Sorkin), mit der blutjungen Nicole Kidman in feuriger Lockenpracht, Alec „I am God“ Baldwin als Chirurg und Lehrer Bill Pullman in einer Dr. Banks entfernt verwandten Rolle. Anders als Malice, der sich unter anderem einen ins Leere laufenden Serienkiller-Subplot leistete, vergisst Side Effects über seinen Täuschungsmanövern jedoch nicht auf zureichende Charakterzeichnungen.

Zwang zu Neuem

In aller für ihn typischen Detailfülle präsentiert Steven Soderbergh in Side Effects noch einmal sein Inszenierungsprofil in der Grauzone zwischen Konvention, Originalität und Taschenspielerei. Ab sofort will er, mehreren Interviews zufolge, etwas anderes machen. Was genau, weiß er offenbar noch nicht, manches davon ist so weit nun auch wieder nicht weg vom Kino: eine tolle TV-Serie entwickeln und verantworten, Theaterregie führen, Bücher schreiben, Bilder malen.
In einer seiner jüngsten kleineren Arbeiten hatte Soderbergh eine von ihm gern angewandte Erzählform noch einmal auf die Spitze getrieben, die der anachronen Verschachtelung. Zur Geschichte eines Edel-Callgirls, deren alltägliche Kundenkontakte in der Erinnerung schwer auseinander zu halten sein mögen, passte die durcheinander gewürfelte Zeitlichkeit der Szenen, doch schon im Audiokommentar zur DVD schien Soderbergh nicht mehr ganz zufrieden mit der letzten Schnittfassung. Die Rede ist von The Girlfriend Experience (2009), für dessen Hauptrolle Soderbergh die Pornodarstellerin Sasha Grey engagierte (wie die Martial-Arts-Athletin Gina Carano bei Haywire keine Schauspielerin, eher eine pervertierte Version des „Modells“ im Sinne Bressons). Das erwartbare Ausbleiben des Mainstream-Publikums hätte Soderbergh gern durch die riesige Fangemeinde des Hardcore-Starlets kompensiert gesehen – aber die wollen ihrem Liebling halt lieber beim anatomisch ausgeleuchteten Sexrollenspiel zuschauen als beim Beziehungsstreit im Kunstkino.
Im erwähnten Audiokommentar offenbart Steven Soderbergh im Gespräch mit Grey seinen persönlichen Zwang, spätestens alle sieben Jahre den Wohnort wechseln und sich neu erfinden zu müssen, weil ihm sonst langweilig würde. Nun scheint der experimentellste Regisseur Hollywoods – nach einer zuletzt besonders produktiven Phase – seine Ausdrucksmöglichkeit mit den Mitteln des Kinofilms erschöpft zu empfinden. Wird er jetzt tatsächlich dem Kino entsagen, und sei es nur sieben Jahre lang? Werden die Alternativen ihm cool genug sein?

Ein Interview mit Jude Law finden Sie zum Filmstart auf unserer
Website www.ray-magazin.at ray präsentiert „Side Effects“ als Österreich-Premiere am 24. April um 20.30 Uhr im Wiener Haydn-Kino