ray Filmmagazin » Drama » Das Haus meines Vaters

Das Haus meines Vaters

| Andreas Ungerböck |

Kluges und intensives Kammerspiel zu einem aufwühlenden Thema

Werbung

Ludwig Wüst, aus Bayern eingewanderter Theater- und seit seinem bemerkenswerten Essayfilm Ägyptische Finsternis (2002, nach Ingeborg Bachmann) auch Filmemacher, gehört zweifellos zu den auffälligsten Begabungen der heimischen Szene. Nicht nur arbeitet er weitgehend ohne öffentliche Förderung, also im wahrsten Sinne unabhängig, er erweitert auch ständig sein filmisches Vokabular. Nach Koma (2009), der ihn recht nahe an den österreichischen Arthouse-Mainstream (Haneke, Seidl) heranführte, ohne diesen zu plagiieren, und der 60-minütigen Stilübung Tape End, die von einem kleinen Ensemble in Abwesenheit des Regisseurs in einer einzigen Einstellung sozusagen „live“gespielt wurde, liegt nun mit Das Haus meines Vaters eine weitere sehr dichte Arbeit vor. In schlanken 65 Minuten, schlüssig und erschöpfend, rollt Wüst die Lebensgeschichten eines Mannes und einer Frau auf, „einfach so“, könnte man sagen, in einem langen, brillant geschriebenen Dialog, der autiobiografische Elemente enthält.

Andrej, Ende vierzig (wie in den beiden vorangegangenen Filmen spielt Nenad Šmigoc die Hauptrolle), kehrt aus Deutschland zurück in das burgenländische Dorf, wo sein Vater verstorben ist. Er trifft eine Jugendfreundin wieder, die ihn zum Haus der Eltern begleitet, das Andrej geerbt hat. Gemeinsam erinnern sich der Mann und die Frau an die Jugend, an das Dorf-leben, durchstöbern das Haus, finden Gegenstände. Dem sentimentalen Gestus der Frau begegnet Andrej eher teilnahmslos, er will – das wird offensichtlich – die Vergangenheit vergangen sein lassen. Er schenkt der Frau ein Fahrrad, das die beiden finden. Wer jemals in dieser Situation war, kennt das Gefühl, wie fremd einem die einstmals vertraute Umgebung sein kann und wie sehr einen das Bedürfnis beschleicht, sich abzugrenzen. Unter anderem findet und erfährt man Dinge, die man von den Eltern nicht wusste und auch gar nicht wissen wollte, die plötzliche Intimität wird zur Last. Wüst hat Ähnliches verspürt, sagt er, als er nach dem Tod seines Vaters dessen Haus betrat. Der Vater hatte immer gewollt, dass der Sohn das Haus übernimmt, dieser lehnte ab. Wüst sieht den Film als Pilotprojekt für einen „Heimatfilm“-Zyklus (samt einer interaktiven Web-Plattform), der sich intensiv mit Fragen wie Heimat(losigkeit), Herkunft und Entwurzelung auseinandersetzt.

Das Haus meines Vaters ist nicht nur wegen seiner erzählerischen, sondern auch wegen seiner formalen Ökonomie bemerkenswert: In wenigen Einstellungen erfasst die Kamera von Klemens Koscher das kammerspielartige Geschehen, der Text und das virtuose Spiel von Šmigoc und Martina Spitzer bauen sofort eine Spannung auf, die bis zum Schluss nicht mehr nachlässt. Ein Lehrbeispiel intelligenten, auf den Punkt gebrachten Filmemachens.