Lore

| Walter Gasperi |

Mit Kriegsende zerbröckelt für eine nationalsozialistisch erzogene Jugendliche langsam ihr Weltbild.

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2004 gelang Cate Shortland mit Somersault ein vielfach preisgekröntes Debüt. Auch in ihrem zweiten Film erzählt die Australierin eine Coming-of-Age-Geschichte, nun jedoch in historischem Kontext. Durch das Schicksal der deutsch-jüdischen Familie ihres Mannes, die 1936 aus Deutschland emigrierte, wurde sie zur Verfilmung von Rachel Seifferts Roman „The Dark Room“ inspiriert.

Shortland erzählt konsequent aus der Perspektive der von Saskia Rosendahl eindringlich gespielten 15-jährigen Lore. Als Tochter hochrangiger Nazis ist sie im Dritten Reich im ländlichen Süddeutschland behütet aufgewachsen und ganz im nationalsozialistischen Sinne erzogen worden. Mit Kriegsende bricht diese Welt jedoch zusammen, die Eltern werden von den Alliierten verhaftet, und Lore muss sich mit ihren vier kleineren Geschwistern quer durch Deutschland zur Großmutter, die bei Hamburg lebt, durchschlagen. Steht am Beginn der Verlust des materiellen Besitzes, so zerbricht auf dieser Odyssee Stück für Stück auch das Weltbild des Teenagers.

Obwohl Lore ein historischer Film ist, spielen Bauten und Kulissen kaum eine Rolle. Die Erzählweise ist fragmentarisch, nah ist die Kamera an den Figuren, gewährt kaum einen Überblick, fängt dafür Blicke und Bewegungen ein. Nur reduziert sieht man Kriegsfolgen wie ein zerbombtes Haus oder eine zerstörte Brücke, weniger durch Trümmerlandschaften als vielmehr durch die unberührte Natur führt die Reise. Zurückgenommen sind auch die Dialoge, Musik wird vielfach nur kurz angespielt.

Mit einer beweglichen Handkamera und einer ausgefeilten Farbdramaturgie, die vor allem mit giftigem Grün in den Naturszenen und Blautönen bei Nachtaufnahmen arbeitet, evoziert Shortland nicht nur das Schwebende, Traumhaft-Vage dieser Zeit, in der die alte Ordnung zerstört, aber eine neue noch nicht erkennbar ist, sondern auch die zunehmende Verunsicherung Lores.

Von dieser Atmosphäre und der ambivalenten Zeichnung der Protagonistin lebt dieses ebenso leise wie zarte Jugenddrama, das nicht nur eindrücklich zeigt, wie eine ganze Generation durch die Erziehung fehlgeleitet und manipuliert wurde, sondern auch, wie schwer es ist, mit einem über Jahre eingeimpften Weltbild und damit auch mit seinem bisherigen Leben zu brechen. So ist Lore gleichzeitig ein sehr konkreter Film über die Folgen nationalsozialistischer Erziehung als auch ein zeitloser Film über die zentrale Bedeutung von Erziehung im Allgemeinen