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Mutter und Sohn / Pozitia copilului

Mutter und Sohn / Pozitia copilului

| Roman Scheiber |

Nächstes Kabinettstück einer ungemein produktiven Generation rumänischer Filmemacher: das kraftvolle Porträt einer Helikopter-Mutter.

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In Extremsituationen werden die soziale Kluft und die Abgründe einer korrupten Gesellschaft wie unter einem Brennglas sichtbar. In diesem Fall ist es ein Autounfall. Man sieht ihn nicht, wird aber in einer Art semidokumentarischer Rekonstruktion viel davon zu hören bekommen: Bei einem infantilen nächtlichen Raser-Duell tötet Barbu (Bogdan Dumitrache) einen unvorsichtig die Landstraße querenden Buben. Barbu droht Haft, doch ist er das Kind einer wohlhabenden Mutter mit besten Verbindungen. Das Opfer stammt aus einer armen Provinz-Familie.

Nebenbei macht Calin Peter Netzer (Medal of Honor) in seinem mit dem Goldenen Bären der heurigen Berlinale ausgezeichneten Drama Pozitia Copilului (Child’s Pose) die schiefe Ebene deutlich, auf der sich die polizeiliche Untersuchung des Tat-hergangs abspielt. Was in einem funktionierenden Justizsystem zur Aufklärung und Strafverfolgung führen würde, bleibt in diesem Fall ebenso schadhaft wie das, was im Zentrum dieses kraftvollen Films steht: die Zuneigung der 60-jährigen, gelernten Architektin Cornelia (Luminita Gheorghiu) zu ihrem Sohn Barbu. Denn nach dem Unfall läuft bei ihr ein Programm heiß, das bereits lange vorher zur Entfremdung zwischen den beiden geführt hat. Cornelia ist eine Helikopter-Mutter. Sie respektiert die Privatsphäre ihres Sohnes nicht, kümmert sich ungefragt um seine Angelegenheiten, schnüffelt ihm hinterher, will seine Freundin instrumentalisieren, behandelt ihn mit seinen 34 Jahren immer noch wie einen Teenager. Sie liebt nicht ihn, sondern in ihm sich selbst.

Barbu reagiert auf diese übertriebene Zuwendung allergisch: gegen Bakterien, gegen Berührung und nach dem Unfall – nachdem seine Schockstarre sich gelockert hat – aggressiv gegen die Mutter. Denn Cornelia sieht die Chance, den verlorenen Sohn zurückzugewinnen, nicht im Eingehen auf seine mentale Ausnahmesituation. Stattdessen macht sie sich umstandslos daran, ihre Kontakte spielen zu lassen, Zeugen zu beeinflussen und Barbu von seiner Schuld freizukaufen. Wie sie sich im Pelzmantel, arrogant telefonierend, auf der Polizeistation wichtig macht, ist denn auch eine der wenigen am Klischee schrammenden Szenen.

Die Inszenierung ist an Stellen irritierend intim, die Kameraführung spiegelt Cornelias leichte Dauer-Nervosität. Und das Skript, von Netzer gemeinsam mit Razvan Radulescu (Der Tod des Herrn Lazarescu) verfasst, arbeitet konsequent auf die Konfrontation der unheilvollen Mutter-Sohn-Symbiose mit der Familie des toten Buben hin. Am tränenreichen Ende reicht eine kleine Geste zur Katharsis.