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Gerhard Lamprecht – Ein totaler Filmmensch

Ein totaler Filmmensch

| Jörg Becker |

Im 50. Jahr des Bestehens der Deutschen Kinemathek geht eine Buchedition dem Werk des Berliner Filmregisseurs Gerhard Lamprecht nach und erhellt, wie dessen Sammelleidenschaft zur Gründung der Kinemathek führte.

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Seit seiner Jugend war der Berliner Regisseur Gerhard Lamprecht (1897–1974) ein leidenschaftlicher Sammler von Filmen, Geräten und Dokumenten. Aus seiner Privatsammlung, die er noch zu Kaiserzeiten begonnen hatte, entstand 1963 die Deutsche Kinemathek. Auch in seinen eigenen Filmen legte Lamprecht das Archiv einer Welt an, ihres Alltagslebens, ihrer Gefühle und Werte. Eine Edition dreier außergewöhnlicher Filmbände ist nun erschienen, die dem Pionier und Gründungsdirektor der Deutschen Kinemathek Berlin als Regisseur, Filmforscher und Sammler nachgeht. Jeder Band, unterschiedlich in Methode, Form und Weg seiner Darstellung, konzentriert sich auf eine der drei Tätigkeiten dieser Person: eine gewissenhafte Erforschung, eine fundierte Würdigung, eine akribische Arbeit in vorbildlich gestalteten Büchern.

Fährten, die zu den Quellen führen

Den Nachlass Lamprechts ausgewertet und an der biografischen Linie seiner Hauptfigur – „ein totaler Filmmensch“ –  den größeren Kontext der Filmsammlungs- und ersten Archivierungstendenzen über Deutschland hinaus erforscht hat Rolf Aurich. Mit seinem Band „Mosaikarbeit“, gewonnen vor allem aus Primärquellen und Zeitzeugengesprächen, gelingt dem Autor so etwas wie die Erstbesteigung eines Berges an recherchiertem Material, den er selbst angehäuft hat, über die Entstehung der Welt der Filmarchive, die frühen Sammler und ihre Motive. Gleichsam filmisch, a-chronologisch montiert, umkreist der Filmhistoriker seinen Gegenstand, erzählt in Vorgriffen und Rückblenden, überschauend und nah, von einem anwachsenden materialen Gedächtnis zum Film, den maßgeblich dazu beitragenden Akteuren, ihrer teils aus Zwang, teils aus Enthusiasmus gespeisten Besessenheit. Zu studieren sind Voraussetzungen der Filmgeschichtsschreibung seit der Zeit, als sein Gegenstand bloße Jahrmarktsattraktion war, hin zu dessen Sammlung und Erhaltung bis zur Anlage von Archiven, dem Fundament jeder Filmwissenschaft. So wurde das Laufbild als Spektakel der Massen „archivwürdig“. Das Buch ist ein Plädoyer für die kollek-
tive Filmforschung, die sich durch Befragung Beteiligter auf die „Fährten“ begibt, „die zu den Quellen führen“. Es sind Fragen an die unbekannte Filmgeschichte. Das noch nicht Fixierte, das im Kopf der Mitlebenden erhalten ist, zu bewahren, das heißt auch, Fakten zu sichern, indem man sie mitteilt, erzählt – zu denken an ein Motto Alexander Kluges: „Erlöst die Fakten von der menschlichen Gleichgültigkeit!“ Dem ist Lamprechts Ansatz nicht ganz fern.

In rund die Hälfte der etwa siebzig verzeichneten Regiefilme Gerhard Lamprechts taucht man bei der Lektüre von Wolfgang Jacobsens Band „Zeit und Welt“ ein und entdeckt einen weitgehend vergessenen Regisseur, der Mitte der zwanziger Jahre ein beachtliches Renommee hatte. Hier nun erscheint es, als ob Lamprechts Filme erstmalig nach ihrer Uraufführungsrezeption wieder öffentlich wahrgenommen würden. Die Beschreibung dieser Filme unterstreicht ihren Charakter als zeitgenössische Quellen, bietet eine Sammlung von Eindrücken, gewonnen aus inszenierten Bildern, ein eigenes Archiv der Welt aus persönlichem Duktus, ästhetischen Entscheidungen und Motiven. Zu lesen ist die einfühlende Annäherung an ein bislang vernachlässigtes, von Klischees, Stereotypen und abgekupferten Zuschreibungen weitgehend überdecktes Œuvre. Der Wunsch, es noch einmal von Neuem, mit vorbehaltlosem offenen Blick zu sehen, vermittelt sich durch die Sprache des Autors, der Lamprechts Filmen nah durch ihre Bildsequenzen folgt, der ihre Erzählweise, Augenmerk und Bildgebung, Rhythmus und Fügung sensibel aufnimmt und sie erzählerisch zu übersetzen vermag mittels eines autoriell eigenen, die auf Milieu und Arbeit gerichtete Aufmerksamkeit ihres Regisseurs nachempfindenden Stils. Das ist in der Filmliteratur etwas Rares.

Berliner Cinémathèque

Acht Zeitzeugengespräche hat die langjährige Kuratorin des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek, Eva Orbanz, in ihrem Band „Miteinander und gegenüber“ aus über zwanzig Tonbandinterviews ausgesucht, die Gerhard Lamprecht zwischen 1954 und 1960 mit zum Teil ehemaligen Mitarbeitern seiner Filme geführt hat: Zwei Kameramänner (Emil Schünemann und Karl Hasselmann als wohl ergiebigste Gesprächspartner), ein Fotograf, ein Kopieranstaltsleiter, ein Produzent, ein Komponist, ein Elektriker und Beleuchter, ein Filmarchitekt und eine Filmkleberin geben neben biografisch-persönlichen Erlebnissen eine Fülle handwerklich-praktischer Informationen aus dem Betrieb der Kollektivkunst Film. Geht man nach den Zeitzeugen, so war die Filmproduktion seit jeher „eine einzige Bastelstunde“, jederzeit vom Improvisationstalent ihrer Mitarbeiter abhängig. Als Interviewer präparierte Lamprecht (zu denken an den Botaniker, der Exemplare seltener Art findet) seine Gäste, ehe er ihre Rede als Zeugen auf Magnettonband aufnahm, zu einer Zeit, als an Standardliteratur zum Thema Stummfilm noch nicht zu denken war. Angenehm ist der respektvolle egalitäre Charakter der Gespräche. „Wir lebten ja nur von aktuellen Aufnahmen“, bemerkt der Kameraoperateur Emil Schünemann über die Jahre nach der Jahrhundertwende. Eindringlich geschildert ist der frühe „Konkurrenzneid“ zwischen den Kinematografen vor Ort, man erfährt neben vielem anderen vom Playback-Verfahren für die ersten sogenannten Tonbilder, von den drei nach der Aktualität parallel entstandenen Filmen über die Köpenickiade (1906), von den Modellaufnahmen für den deutschen „Titanic“-Film 1912 (In Nacht und Eis) und von den ersten Pyrotechnik-Spezialisten der Branche, die mitunter in der Dosierung ihrer Sprengmittel gefährlich danebenlagen.

„Berliner Cinémathèque“ trug Gerhard Lamprecht am 17. April
1958 erwartungsvoll in seinen Tageskalender ein. Im März 1946, zu Zeiten der Dreharbeiten seines direkten Nachkriegswerks Irgendwo in Berlin, in dem Kinder inmitten authentischer Bombenruinen wieder Krieg spielen, Väter aus der Gefangenschaft heimkehren und der Tauschhandel blüht, steht da noch wie ein Hilferuf „Hunger! Hunger!!!“ Jener DEFA-Wiederaufbaufilm aus Trümmern hinterließ bei Henri Langlois und Lotte H. Eisner („Die dämonische Leinwand“) von der Cinémathèque Fran-
çaise während ihres Berlinbesuchs 1947 einen starken Eindruck und führte zu einem anhaltenden kollegial-freundschaftlichen Kontakt mit Lamprecht, der mit den „Nachbarn“ über ein Filmarchiv sprach, sich aber Anfang der Fünfziger doch nicht entschließen konnte, mitsamt seiner Sammlung als Archivar zur Cinémathèque nach Paris zu gehen. Immerhin schob der legendäre umtriebige Cinémathèque-Chef Langlois das Berliner Kinematheken-Projekt an, indem er als erster eine finanzielle Evaluierung von Lamprechts Privatarchiv abgab, in Hinblick auf den zukünftigen Erwerb durch das Land Berlin 1962. Als eine Deutsche Kinemathek allmählich in Sichtweite kam, 1958, lag der letzte Film in Lamprechts Regiekarriere, Menschen im Werk (1957), längst hinter ihm. Er steckte in einer persönlichen Krise, da er sich in der verleihdiktierten Filmindustrie, wie sie damals im Westen Deutschlands auf künstlerisch niedrigem Niveau produzierte, kaum mehr eine Chance auf eine angemessene Ausübung seiner Profession ausrechnen konnte. Da war der Kontakt zu Geistesverwandten, welche die eigene Passion teilten, so etwa in dem deutsch-französischen Projekt, das in den fünfziger Jahren ausgelotet wurde, ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft seines Lebenswerks.

Ein bescheidener Mann

Der Archivgedanke zum Film schlummerte noch undeklariert während der Stummfilm- und frühen Tonfilmjahre in der Zusammenstellung von Kino-Beiprogrammen, zu deren Zweck Sammler und Vermittler aus Beständen von Filmhändlern schöpften. Viele dieser ersten Initiatoren verschwanden in der Emigration und sind heute weitgehend unbekannt. In Rolf Aurichs Buch über Lamprecht und die Welt der Filmarchive werden sie als Zeugen und Beteiligte namhaft gemacht, an eine Stelle in der Filmgeschichte gerückt, wo es sich fügt und einen Sinn ergibt. Sammlungen verlieren den Charakter anonymer Ablagerungen, Nachlässe repräsentieren immer auch die persönlichen Lebensbedingungen, unter denen sie entstanden. Ein jedes Foto bedeutete Lamprecht ein „höchst willkommenes Steinchen“ in seiner nicht enden wollenden Mosaikarbeit. Aber der Sammler hatte auch erhebliche Verluste zu verkraften: die Normalfilmkopien aus seinem Besitz waren gegen Kriegsende durch Bomben vernichtet worden; zum Teil hatte er vorher Umkopierungen auf Schmalfilm vorgenommen. Gerhard Lamprecht sei ein bescheidener Mann gewesen, der, was er wusste, weitergab an die Interessierten, für die er Sympathie empfand, erklärte sein Assistent der ersten Nachkriegsjahre und späterer DEFA-Regisseur Günter Reisch. Immer wieder, legt Rolf Aurich nahe, sind Personenkontakte „denkbar“, Parallelaktionen, Austauschprozesse, gegenseitige Anfragen und Expertisen innerhalb des Netzes von Sammlern. Beim Lesen schärft sich der Möglichkeitssinn gegenüber einer Kooperation unter Enthusiasten, die den Band bevölkern – nahezu 800 Namen verzeichnet der Anhang, in zeitlicher Spanne etwa zwischen Bioskop-Pionier Max Skladanowsky und Harun Farocki, Namen von vielen, deren Engagement für die Erhaltung jeglicher Zeugnisse des ephemeren Unterhaltungsmediums dem Filmarchivgedanken zuarbeitete. Von den frühen Archivprojekten der Querschnittfilme (Himmelsstürmer von Walter Jerven aus 1941 etwa ist so ein Film, der zahllose Dokumente von Luftfahrtpionieren versammelt) über die ersten Filmkonservierungsideen im UFI-Konzern während des Dritten Reichs, als man zu realisieren begann, dass der Film eine Geschichte hat, bis hin zu einer erneuerten Kinofaszination mit den sechziger Jahren, der Empfindung einer „riesigen Gleichzeitigkeit“ (Werner Dütsch) des Films. Das Bewusstsein für die filmischen Herkünfte, wie es exemplarisch in der Pariser Cinémathèque vitalisiert wurde, ließ die Kinemathekenspielorte seit der Generation der Nouvelle Vague zur „Universität“ späterer Filmemacher werden und verschaffte dem Film einen vormals unvorstellbaren Einfluss auf angrenzende Fakultäten wie auch auf die bildenden Künste. Das Zeitintervall zwischen dem Sammeln von Funden aus Abnormitätentheatern, Monstrositäten-Kuriositäten-Kabinetten und Bioskop-Varietés von einst und dem akademisierten Filmarchivwesen jüngerer Zeit umfasst allenfalls drei Generationen.

Sammeln als begehren, Sammeln als zwang

Gerhard Lamprecht gehörte zu den Pionieren des Filmsammelns, auf welche sich die Magie der Laufbildprojektion derart nachhaltig auswirkte, dass sie ihr unbedingt Dauer verleihen wollten und der Geschäftigkeit der Branche, der Kooperation verschiedener Talente und Gewerke ein Gedächtnis aus Realien einrichteten. Dabei war der Sammlungs- und Archivgedanke, wenn man es polarisiert vereinfachend darstellt, bei dem einen Sammlertypus, der wie ein PR-Agent in eigener Sache und erster Nutzer seiner Unternehmung fungierte, stärker am Aspekt des Ausstellens, einer Veröffentlichung zur Anschauung orientiert – der Sammler gibt zu sehen. Bei dem anderen Typus hingegen ist die Sammellust eher auf die Erfüllung der Rolle eines Schatzbildners und Gralshüters in einer Art Privatmuseum gerichtet, und nur seriöse Adressaten verdienten sich Zugang zum Universum dieses Sammlers, der abgeschieden, gleichsam undercover an der Sicherung und Ergänzung seiner Bestände arbeitete, und betraten eine Welt eigener Ordnung – und Ordnungssinn, neben Sparsamkeit und Eigensinn ein Teil der „zwanghaften Trias“ nach Sigmund Freud, dürfte eine Voraussetzung für jegliche Anhäufung von Sammlungen sein. Zur Stellvertreter-Bedeutung, der Betrachtung des Sammelns als Surrogathandlung sowie dessen kompensatorischer Funktion ist manches verbreitet, was zur Pathologisierung tendiert und den Antrieb zum Sammeln aus psychischem Mangel herleitet, einem Mangel an innerem Objektreichtum und stabilen Bindungserfahrungen. Aber was auch immer daran sei, es kann einer Sammlung ihren Wert nicht nehmen, es lässt sich ihr noch nicht einmal ansehen, aus welchen Motiven auch immer sie begründet worden sein mag. Allem Zusammengetragenen, Festgehaltenen und Aufbewahrten, das weder zum späteren Verbrauch bestimmt ist noch als spekulative Anlage mit Aussicht auf Rendite und dem Nebeneffekt privater Imagepflege dienen soll, wohnt die Utopie einer Rettung inne.

In Skizzen und Notizen zu „Living Archive“, einem Projekt des Berliner „Arsenal-Institut für Film und Videokunst e.V.“, von
Constanze Ruhm (Arbeitstitel: Der Traum eines wachen Menschen; August 2011) findet sich die Idee formuliert: Mit Jacques Lacan ließe sich sagen, „dass das, was das Archiv nicht enthält, sein Reales darstellt; dass die Inhalte, das Wissen des Archivs dem Symbolischen zugerechnet werden können, und dass das Imaginäre die Institution an sich sei: das Kino.“ So lässt sich vielleicht auch sagen, dass das Fehlende, Unsichtbare einer Sammlung an das Begehren des Sammlers gebunden ist.

Genres querbeet, durch die Jahrzehnte

Die assoziativ verlaufende Erzählung, die Wolfgang Jacobsen entlang Lamprechts Filmopus unternimmt, sein an Stellen sich einlassendes Nacherzählen, das seine eigenen Bindungen generiert, nimmt die Filme als etwas Fertiges ernst und erweitert den Blick auf jeden einzelnen über sorgfältige Sequenzbeschreibungen, Figurencharakterisierungen, mitunter durch die Entdeckung der einen Szene, um die es dem Regisseur erkennbar gegangen war und um die sich das Anschauen des Ganzen für den Betrachter lohnt. Für Lamprechts Inszenierung, so Jacobsen, „ist die Augenhöhe das Maß der Erzählung“. Der Regisseur des gedehnten Blicks besitzt ein Augenmerk für Arbeitsabläufe, er unterminiert den „Drive“ der Modernisierung mit Langsamkeit, einer langen Weile der Erwartung. „Die Disparatheit seines Œuvres, in dem er querbeet die Genres wählte, zeichnet ihn als hemmungslosen Sammler aus.“ Kurz gefasst: „Er nahm, was kam.“ Besonderes Merkmal des Regisseurs war es auch, dass er in der wechselhaften deutschen Geschichte nach Ende des Ersten Weltkriegs ohne Unterbrechung fast vier Jahrzehnte hindurch Filme drehen konnte, was, neutral ausgedrückt, eine gewisse Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft voraussetzt. Zu finden sind da – im Rundumschlag:

In Dokumentaraufnahmen und nachgestellten Szenen aus Berlin Bilder des „fünften Standes“: Die Verrufenen – Sozialstudien widerstreitender Milieus, empathisch, nicht politisch, und Heinrich Zilles Hinterhofatmosphären; Die Unehelichen – Kinder im Elend; Erlebnisse der Bewohner eines Berliner Mietshauses; noch als Stummfilm, in zwei Teilen: Der alte Fritz, später auch Stoffe national getönten, antifranzösischen Preußentums; Hans Albers als deutscher Kolonialist; Literaturadaptionen: Thomas Mann (Buddenbrooks), Fontane, Sudermann, Dostojewski (Der Spieler), Flaubert (Madame Bovary), Sándor Márai; Perlenkomödien und Dirnentragödien; Kriminal- und Spionagestoffe; ein Tippmädel-Aufstiegstraum nach 1933 im Ufa-Komödienstil: Einmal eine große Dame sein; die Heldenbiografie (Diesel); Barcarole und Prinzessin Turandot – auch in französischsprachigen Versionen; der Trümmerfilm um Heimkehrer und Wiederaufbau, Kinder, die in den Ruinen Krieg spielen: Irgendwo in Berlin; die große Geschichtserzählung seit der Wilhelminischen Ära, ein melancholisch-realistischer Rückblick aus den fünfziger Jahren: Meines Vaters Pferde usw. … und in diesem Sammelsurium mitten drin natürlich: Emil und die Detektive, sein Welterfolg nach Erich Kästner von 1931.

Aufschlussreich ist die Subperspektive Lamprechts gerade in Filmen der NS-Zeit gegen Kriegsbeginn (z.B. Mädchen im Vorzimmer, 1940), die der Alltagswirklichkeit, den Hierarchien, dem Jargon und der ideologischen Durchdringung von Volks- und Betriebsgemeinschaften im Dritten Reich sehr nahe sind, sodass Verhaltensmuster sichtbar werden, wie sie in Nazi-Deutschland „an der Tagesordnung“ waren. Die Filme sind nicht frei von NS-Vorstellungen, „zeitverhaftet und zuweilen (…) auch zeitverpflichtet“. Clarissa (1941), das ist die distinguierte Aristokratin, gespielt von Sybille Schmitz, und die Frage, was sie mit dem zupackenden Kameradentyp jener Zeit zusammenführt, wie also das Preußisch-Traditionelle sich in die völkische Nazi-Modernisierung fügt. Dem Film Die Brüder Noltenius (1945), einer gut zwei Monate vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht uraufgeführten, zeitlich seltsam unverorteten Zivilgeschichte jenseits jeder Kriegswirklichkeit, scheint eine Zukunftsprojektion vom Aufbau, im Sinne von „Das Leben geht weiter“ innezuwohnen, die Gegenwart phantastisch ausblendend, die gleichwohl, enthoben in der Wunschform erhaltener Lebensverhältnisse im Reich, auf unheimliche Weise anwesend ist.