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Identities – Fight the Power – Spannende Dokumentarfilme bei identities / Spielfilme: Highlights – Eine Auswahl aus dem umfangreichen Progamm

Fight the Power

| Günter Pscheider |

Mehrere beeindruckende Dokumentarfilme bei identities zeigen, unter welch schwierigen und zum Teil gefährlichen Bedingungen Schwule/Lesben/Transgenders auch heute noch leben müssen.

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Endlich wieder identities! Auf Grund des Zweijahresrhythmus des etablierten Festivals freut sich die Schwulen/Lesben/Transgender-Community schon seit längerer Zeit auf spannende Filme aus aller Welt, die sich mit ihrer Lebenswelt beschäftigen. Wobei das äußerst vielfältige Programm natürlich auch für Heteros interessant ist, schließlich ist jeder Mensch mit Themen wie Ausgrenzung, Widerstand, Einsamkeit, Solidarität oder Liebe konfrontiert. Die Highlights aus einem traditionell sehr hochwertigen und umfangreichen Angebot auszuwählen, ist immer eine schwierige Aufgabe. Diesmal konzentrieren wir uns auf das formal wie inhaltlich breit gefächerte Dokumentarfilm-programm des Festivals.

Von der Bewegung zum Stillstand

Ein beliebtes Genre des Dokumentarischen ist das intime Por-
trät eines charismatischen Protagonisten, dessen Leben exemplarisch für größere gesellschaftliche Zusammenhänge steht. In Detlef – 60 Jahre schwul wird Detlef Stoffel als resignativer, selbstironischer älterer Herr eingeführt, der seine Zeit damit verbringt, seine 90-jährige Mutter zu pflegen und sich ein paar Daily Soaps vor dem frühen Schlafengehen reinzuziehen. Erst nach und nach erfahren die Zuschauer anhand der auf Film und Fotos archivierten Vergangenheit von Detlef, dass er Anfang der siebziger Jahre, ausgehend vom konservativen Bielefeld, einer der führenden Köpfe der westdeutschen Schwulenbewegung war, die sich vehement für die Abschaffung des berüchtigten Paragrafen 175 einsetzte, der sexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellte.  Der Kontrast zwischen der Zielstrebigkeit und dem Idealismus des jungen Detlef und der abgeklärten Melancholie des jetzt 60-Jährigen ist das eigentliche Thema des Films, auch wenn man durch die historischen Homevideos aus Detlefs Sammlung einen guten Einblick in die Anfänge der organisierten deutschen Schwulenszene bekommt. Detlef gibt sehr viel von sich preis, auch sein aus Dates auf GayRomeo bestehendes Sexualleben wird nicht ausgespart. Fast scheint es, als sehe er diesen Film als letzte Möglichkeit, noch einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Dabei ist er kein eitler Selbstdarsteller, und auch die Regisseure nähern sich Detlef mit Respekt. So entstand mit dieser sensiblen Beobachtung das berührende Porträt eines Menschen, der von sich selbst sagt, ihm fehle jetzt, im Alter, einfach die Energie, um sich gegen seine einsamen Lebensumstände aufzulehnen.

In der DDR wurde Homosexualität zwar nicht bestraft, doch galt sie als „unsozialistisch“, und Schwule wurden lange Zeit geächtet und von allen öffentlichen Ämtern fern gehalten. In Unter Männern – Schwul in der DDR entwerfen die Regisseure ein faszinierendes Kaleidoskop des schwulen Alltags im Arbeiter- und Bauernstaat. Aus allen Gesellschaftsbereichen kommen die Protagonisten, die sehr offen und manchmal durchaus widersprüchlich über ihre Erfahrungen mit den staatlichen Repressionen, dem schwierigen Coming-out auf dem Lande, den Cruising-Hotspots von Leipzig oder der schwierigen Entscheidung, in den Westen zu fliehen und seinen Geliebten zurückzulassen, berichten. Durch die Vielzahl der Stimmen bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie es sich anfühlt, als diskriminierte Minderheit in einer Diktatur zu leben. Man erkennt mit Hilfe klug ausgewählten Archivmaterials die Unterschiede zum Westen, aber auch die Gemeinsamkeiten im schwulenfeindlichen Klima, das nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die achtziger Jahre in Deutschland herrschte.

Eine Sache von Leben oder Tod

Dass die Homophobie in manchen Weltgegenden auch heute noch ein dominantes gesellschaftliches Element darstellt, ist traurig genug und wird in einigen Arbeiten kritisch beleuchtet: The Invisible Men zeigt das Schicksal zweier schwuler Palästinenser, die als illegale Einwanderer in Tel Aviv leben. Zu Hause werden sie von ihrer eigenen Familie geschlagen und mit dem Tod bedroht, in Israel können sie zwar ihre Sexualität etwas offener ausleben, aber dafür will sie entweder der Geheimdienst rekrutieren oder sie werden von der Polizei drangsaliert. Der einzige Ausweg bleibt die Flucht nach Europa. Die wenigen, die diesen Schritt schaffen, werden oft von Heimweh geplagt, denn ihr tragisches Los ist es, dass sie einzig wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht in ihrer Heimat leben können, die sie eigentlich gar nicht verlassen wollen.

In Indien und Indonesien ist die Lage ähnlich, davon zeugen zwei klassische Do-it-yourself-Arbeiten von Betroffenen. In Children of Srikandi erzählen auf der Straße lebende Lesben und Transgender-Puppenspieler mit Wut und Humor von der täglichen Unterdrückung, aber auch von der Hoffnung, die durch die Solidarität in der Gruppe entsteht. Die indische Regisseurin Sonali Golati lebt zwar seit elf Jahren in den USA, für ihr berührendes Videotagebuch I Am ist sie aber in ihre Heimat zurückgekehrt und behandelt in ihrem Film die Schwierigkeit, ja beinahe Unmöglichkeit, mit den eigenen Verwandten über ihr Anderssein zu sprechen. Doch auch hier findet sie Hoffnung, indem sie verständnisvolle Eltern von Lesben findet, die zu ihren Töchtern stehen und damit ein Beispiel für Zivilcourage in einer repressiven Gesellschaft geben.

Vielleicht am gefährlichsten ist die Lage für Homosexuelle in Teilen Afrikas, wo z.B. in Uganda ein Gesetzesentwurf lebenslange Haft und sogar die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen vorsieht. Call me Kuchu zeigt den Kampf eines mutigen Mannes und seiner Mitstreiter gegen dieses Gesetz, den Hass der Mehrheit, aber auch die Lebensfreude und die Unbeugsamkeit von Aktivisten, die immer mit dem Tod bedroht doch nicht aufgeben, für ihre Rechte zu demonstrieren. Der formal avancierteste Dokumentarfilm heuer ist eine Wiederentdeckung: Tongues Untied von Marlon Riggs aus dem Jahr 1989 bringt mit seinem poetisch-musikalischen Furor die Empfindungen von schwulen Schwarzen in den siebziger und achtziger Jahren auf den Punkt.

Gemeinsam ist allen genannten Dokumentarfilmen, dass zwar oft ein Thema klar im Mittelpunkt der Betrachtung steht, dass aber vor allem die Kraft, der Mut und die Lebensfreude der Protagonisten die Filme für alle sehenswert macht.

 

Spielfilme: highlights

Wie immer besteht das identities-Programm hauptsächlich aus Österreich-Premieren, die die traditionellen Festivalkinos Filmcasino und Top füllen werden. Die glanzvolle Eröffnung am 6. Juni im Gartenbaukino wird mit dem Gender-Switching-Drama Albert Nobbs zelebriert, in dem Glenn Close eine als Butler verkleidete/lebende Frau Ende des 19. Jahrhunderts spielt, der/die sich hoffnungslos in eine Hotelangestellte verliebt. Eine Oscar-Nominierung war der verdiente Lohn für ihre beeindruckende Performance. Ein ebenso wunderbar ausgestattetes Period piece gelang Benoît Jacquot mit Farewell My Queen, in dem Léa Seydoux als Vorleserin zwischen die Fronten im Liebeskrieg zwischen Königin Marie-Antoinette (Diane Krueger) und der Herzogin von Polignac (Virginie Ledoyen) gerät. Dass man aber auch mit viel weniger Geld, nämlich um 517 Euro und 32 Cent, einen hervorragenden Film schaffen kann, beweist der Deutsche Axel Ranisch mit Dicke Mädchen, einer bewegenden Liebesgeschichte zwischen einem closet-schwulen Muttersöhnchen und einem offensiv agierenden Familienvater.
Ein Schwerpunkt ist heuer Filmen gewidmet, in denen Jugendliche mit den Problemen des Erwachsenwerdens kämpfen, aber auch die Ekstase der ersten Liebe erleben. Im chilenischen Debütfilm Young and Wild überwindet die 17-jährige Protagonistin mit Hilfe eines Blogs die strenge katholische Moral ihrer Mutter. Auch in Leave It on the Floor befreit sich der jugendliche Held von seinem restriktiven Elternhaus, indem er nach Los Angeles abhaut und sich der lebendigen Ballroom-Szene anschließt, der schon in Paris Is Burning (1991) von Jennie Livingston ein Denkmal gesetzt wurde. Zwei weitere Werke bestechen durch die schauspielerischen Leistungen ihrer jugendlichen Casts und die detailgetreue Beschreibung der Wirrnisse der ersten Liebe. Mosquita y Mari nähert sich seinen Protagonistinnen, zwei mexikanischen Einwandererkindern, mit viel Einfühlungsvermögen und optiert dafür, dass es sich auszahlt, auch gegen Widerstände zu seinem innersten Wesen zu stehen. Das schwule Coming-of-Age-Drama North Sea, Texas ragt vor allem durch seine starken Bilder und die traumartige Atmosphäre aus der Menge ähnlicher Filme heraus.
Aber auch Erwachsene dürfen sich verlieben und tun das auch ausgiebig im heurigen Programm. Der schwedische Publikumshit With Every Heartbeat beschreibt hochromantisch die Amour fou zweier Frauen Mitte dreißig, während sich in der bitterbösen Satire Four More Years ein konservativer Politiker in einen sozialdemokratischen Gegner verliebt. Weekend beschreibt gnadenlos realistisch im Lauf eines Wochenendes die Entwicklung einer tiefen Beziehung zwischen einem bohèmienhaften Künstler und einem Bademeister, der in einem Plattenbau lebt. Das bewegende Roadmovie Cloudburst mit der phänomenalen Olympia Dukakis wiederum beweist, dass die Liebe auch im Alter noch eine Himmelsmacht ist.
Die beliebten Kurzfilmprogramme u.a. aus Brasilien, Israel oder Bosnien ergänzen das dichte Programm, auch an den Nachwuchs wurde gedacht mit einem Kurzfilmprogramm über Toleranz und gegenseitige Wertschätzung. Natürlich gibt es auch mehrere Gelegenheiten, mit den Filmemacherinnen und Filmemachern über das Gesehene zu plaudern und bei diversen Partys das Tanzbein zu schwingen, bevor das Festival mit dem Film Alata über die schwierige Liebe zwischen einem Palästinenser und einem israelischen Anwalt wieder seine Pforten schließt.