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The Grandmaster – Der Bildmeister

Der Bildmeister

| Ralph Umard |

Wie immer hat es lang gedauert, bis Wong Kar-wai seinen neuen Film fertig hatte. The Grandmaster hat erzählerische Schwächen, an Wongs visueller Meisterschaft gibt es aber nach wie vor keinen Zweifel.

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Wong Kar-wais episches Martial-Arts-Drama verbindet Episoden aus dem Leben des chinesischen Kampfkünstlers Ip Man (1893–1972) mit der Geschichte einer innigen, aber unerfüllten Liebe sowie klassischen Eastern-Motiven wie Verrat und Vergeltung oder dem Konflikt zwischen Meister und Schüler.
Die Lebensgeschichte des 1972 in Hongkong verstorbenen Kampfkunst-Großmeisters Ip Man, der in den fünfziger Jahren (im Film wird das nur kurz angedeutet) auch den kleinen Bruce Lee unterrichtete, ist von Legenden umrankt und wurde mehrfach verfilmt. Besonders erfolgreich war Wilson Yips zweiteilige Adaption Ip Man (2008 bzw. 2010) mit Kung-Fu-Star Donnie Yen in der Titelrolle. Bei den Actionszenen führte Hongkong-Filmveteran Sammo Hung Regie, der in Teil 2 selber als Respekt einflößender Boss der größten Kung-Fu-Schule Hongkongs zwei hochspektakuläre Kampfduelle bestreitet.
The Grandmaster unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Wilson Yips konventionell inszeniertem, nichtsdestotrotz hervorragendem Kung-Fu-Film. Besonders ins Auge stechend: Wong besetzte die Titelrolle nicht mit einem echten Kampfsportler, sondern mit seinem Lieblingsschauspieler Tony Leung, dem er allerdings ein eineinhalbjähriges spezielles Kampftraining verordnete – unter der Anleitung des Wing-Chun-Meisters Duncan Leung, der einst gemeinsam mit Bruce Lee von Ip Man ausgebildet worden war. Für das Arrangement der Kämpfe engagierte Wong Kar-wai Altmeister Yuen Woo-ping, den renommiertesten Martial-Arts-Choreografen Hongkongs. Yuen und sein Team haben die Kämpfe, wie erwartet, hochprofessionell in Szene gesetzt. Wirklich Neues ist den Spezialisten dabei – was die Ausnutzung des Raumes, die Kamera-Einstellungen und die Perspektiven oder auch die Montagetechnik angeht – allerdings nicht eingefallen. Gefechte in Gasthäusern, in diesem Fall ist es ein Freudenhaus, hat schon King Hu virtuos inszeniert, und nächtliche Kung-Fu-Duelle im strömenden Regen sieht man auch nicht zum ersten Mal.
The Grandmaster ist denn auch kein klassisches Biopic über Ip Man. Über weite Strecken des Films verliert man den Großmeister ganz aus dem Blick, und die Handlung konzentriert sich auf eine weibliche, fiktive Hauptfigur (gespielt von Zhang Ziyi). So erfährt man wenig über Ips Lebenslauf, einige Episoden aus seinen mittleren Jahren werden collagenhaft präsentiert. Auch Ips  Persönlichkeitsstruktur bleibt eher unerschlossen; Tony Leungs ausdrucksarme Darstellung erlaubt wenig Rückschlüsse auf Ips Charakter. The Grandmaster ist eine aus Handlungsfragmenten zusammengesetzte, wortreiche  Mischung aus Kung-Fu-Film, Schicksals- und Liebesdrama, serviert mit bekannten Zutaten aus Wong Kar-wais Stilmittel- und Motiv-Fundus: Dazu gehören der stockende Bildlauf, Rückblenden, Spiegelbilder oder die unerfüllte Liebessehnsucht. Streckenweise wirken die visuellen Effekte selbstzweckhaft und kunstgewerblich, so die häufigen Über- oder Unterbelichtungen, oder wenn eine herannahende Kutsche in einer Regenpfütze gespiegelt wird.
Sehenswert ist Wong Kar-Wais optisch opulentes Opus dennoch: Es gibt einige beinhart und dynamisch ins Bild gesetzte Zweikämpfe, sowie Übungs- und Sparringsszenen, die einen Eindruck vermitteln von den Besonderheiten des Wing-Chun-Kampfstils mit den typischen Abblocktechniken. Die Kampfsequenz im Regen am Filmbeginn deutet an, dass Ip Mans bisherige Existenz in Auflösung begriffen ist, alles zerrinnt, nichts ist von Dauer, letztlich ist der Mensch existenziell allein. Eine brillante Bildmontage leitet von einem zerspringenden Familienfoto abrupt über ins Kriegsgeschehen. Es gibt bildschöne winterliche Außenaufnahmen in Eis und Schnee. Und nicht zuletzt agiert Zhang Ziyi bravourös: Mit Verve verkörpert sie eine streitbare Kung-Fu-Amazone, die zur rächenden Domina im schwarzen Pelz wird.
Wong Kar-wais visionär verklärendes Lichtspiel beginnt als Martial-Arts-Film mit visuell eindrucksvollen Trainings- und Kampfszenen, bei denen Ip Man seine Überlegenheit schlagend unter Beweis stellt und daraufhin zum führenden Vertreter der südchinesischen Kampfkunstschulen gekürt wird. Ip gerät in Bedrängnis, als er von Gong Er herausgefordert wird, der stolzen Tochter des nordchinesischen Großmeisters Gong Bao-sen (Wang Ching-xiang), die sich als formidable Gegnerin erweist. Die Kontrahenten kommen sich im Zuge des Kampfes nicht nur körperlich nahe.
Nach dem Einmarsch der japanischen Armee werden im Stil eines lyrischen Melodrams mit elegischer Musikuntermalung Schicksalsschläge und die per Briefkontakt geführte Liebesbeziehung Ip Mans mit der im fernen Norden lebenden Gong Er vor Augen geführt, wobei die Kamera das fotogene Antlitz von Zhang Ziyi immer wieder mit effektvoll aufbereiteten Großaufnahmen geradezu liebkost. Ohne den historischen Hintergrund genauer zu beleuchten, zeigt Wong Kar-wai, wie das Leben selbst starker Persönlichkeiten von der Kultur ihrer Heimat und vom Zeitgeschehen bestimmt wird, wie wenig man im Grunde seines eigenen Glückes Schmied ist.

ray zeigt „The Grandmaster“ als Österreich-Premiere
am 26. Juni um 20 Uhr im Wiener Admiral-Kino in
Originalfassung mit Untertiteln. Anmeldung: siehe S. 111.