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Venus im Pelz: Gewitterwarnung

Venus im Pelz

| Roman Scheiber |

Nach „Der Gott des Gemetzels“ begeistert Altmeister  Roman Polanski erneut mit einer amüsanten Bühnenadaption, nämlich der des Broadway-Hits „Venus im Pelz“: leichthändig inszeniert, von Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric fulminant gespielt.

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Mit einer subjektiven Kamerafahrt und dick aufgetragener Orchestermusik im griechischen Neunvierteltakt hebt der Film an. Die Kamera schlägt einen Haken und fährt hinein in den Ort des Geschehens, ein heruntergekommenes Pariser Privattheater. Zum Ende hin kehrt die Musik (Alexandre Desplat) zu einem finalen Tanz wieder, fährt die Kamera (Pawel Edelman, Marburger Kamerapreisträger 2014) im Rückwärtsgang wieder heraus. Was sich vor dem für Roman Polanskis Arbeit so charakteristischen Zirkelschluss abspielt, ist furios: ein Vorsprechen als Machtspiel, ein Duell der Geschlechter, ein verwirrendes Lustspiel oder lustvolles Verwirrspiel der Obsessionen, ein Verwischen von Realität und Phantasie, ein Schelmenstück im Stück im Film. Balken, die sich biegen vor Lügen und Lachen über diese burleske Parodie auf erotische Dominanz und Unterwerfung – Reminiszenzen an Polanskis früheres Schaffen inklusive. Schon über die Off-Broadway-Vorlage „Venus in Fur“, die wegen ihres großen Erfolgs gleich zweimal auf größere Bühnen verlegt wurde, schrieb die „New York Times“: „ein äußerst cleveres und sehr lustiges Bühnenseminar über die destabilisierende Eigenschaft des sexuellen Verlangens“.
Das Energiebündel Roman Polanski zeigt sich mit 80 Jahren auf einem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Vor drei Jahren überzeugte sein Spionage-Thriller The Ghost (Der Ghostwriter, mit Ewan McGregor und Pierce Brosnan), der in seiner politischen Paranoia an Alan J. Pakula in Bestform erinnert. Im Jahr darauf legte Polanski mit der Yasmina-Reza-Adaption Carnage (Der Gott des Gemetzels, „ray“ 11/11) nach, wo zwei ungleiche Pärchen nicht nur miteinander köstlich kollidieren, sondern auch untereinander. Und nun verwirklichte er, was er seit 50 Jahren vorgehabt hatte, seit seinem Spielfilmdebüt Das Messer im Wasser, das ausschließlich um ein Figurendreieck kreist: einmal einen Film mit nur zwei Figuren zu machen.

Matroschka-Puppen

Der Bühnenautor Thomas Novacheck telefoniert, er ist enttäuscht von den „Schnepfen“, die gerade für sein Debüt als Regisseur vorgesprochen haben, allesamt untauglich, die Figur der Wanda von Dunajew, der Venus im Pelz in seiner eigenen Adaption der Novelle von Leopold Sacher-Masoch aus dem Jahr 1870, zu inkarnieren. Das Casting ist vorbei, da stolpert noch eine Kandidatin herein, die auf den ersten Blick alles repräsentiert, was er nicht leiden kann: Sie ist laut, trampelhaft, scheint ordinär und ungebildet. Angeblich habe sie einmal Hedda Gabler gespielt (und angeblich findet sich dieser augenzwinkernde Verweis auf eine Bühnenzusammenarbeit Emmanuelle Seigners mit ihrem Ehemann Polanski vor zehn Jahren schon in David Ives’ Originaltext). Außer ihrem Hintern, den sie ihm gleich einmal dekorativ zudreht, gefällt Thomas an dieser verlebten Frau so gut wie nichts. Dennoch kann Vanda, zufällig heißt sie wie die begehrte Rolle, ihn überreden. Als sie ihren Text in einem überraschend erotisierenden Timbre zu sprechen beginnt, ist Novacheck wie elektrisiert.
Diese Stelle markiert nur die erste von mehreren Verwandlungen, die mal abrupt, zumeist aber unmerklich fließend über die Bühne gehen. Einmal schmeichelt Vanda dem Regisseur, er sei so talentiert, er möge doch selbst den Part des Severin von Kusiemski übernehmen. Dann wiederum beschwert sie sich rüde über den in ihren Augen pornografischen, sexistischen Stoff. Es geht hin und her, Begierde wächst, Verführung greift, der Theaterraum um die beiden herum scheint sich mitunter im Halbdunkel aufzulösen. Nach dem Prinzip von Matroschka-Puppen entsteigen immer kleinere Kusiemskis / Novachecks (Polanskis?) der vorherigen Rolle, bis der Rest der von Mathieu Amalric toll gespielten Persönlichkeit sich in einem übersteigerten, auf das absurde Theater anspielenden Finale in einer so phallischen wie grotesken Situation wiederfindet.

Rückschau

Mit literarischen Klassikern hat Polanski sich früher schon gern beschäftigt, ob Shakespeare (Macbeth, 1971), Beckett (Cul-de-Sac / Wenn Katelbach kommt, 1965) oder Kafka. Wer The Tenant (Der Mieter, 1976) kennt, diesen kafkaesken klaustrophobischen Alptraum von einem Film mit Polanski in der Titelrolle des Trelkovsky, wird sich gegen Ende von Venus im Pelz daran erinnern. Der Regisseur zeigt sich nach eigener Aussage „nicht überrascht, dass die alten Geister oder die alten Dämonen zurückkommen“, bewusst sei ihm das aber nicht gewesen.
Das Machtgefälle zwischen Herr und Knecht (bzw. dessen Umkehrung) ist ein Leibthema Polanskis, von seinen frühen Kurzfilmen bis zur präzisen Sozialpsychologie des Kammerspiels Der Tod und das Mädchen (1994, mit Sigourney Weaver und Ben Kingsley). Seigners Kleid wiederum erinnert stark an jenes von Nastassja Kinski im Historiendrama Tess (1979), ein weiterer quasi „feministischer“ Stoff, den Polanski aus dem 19. Jahrhundert in die Moderne geholt hat. Noch ein Kleidungsstück scheint direkt dem Kostümfundus eines früheren Films entnommen: Amalric trägt eine grüne Samtjacke, wie Polanski selbst in The Fearless Vampire Killers (Tanz der Vampire, 1967), wohl ein Hinweis auf die selbstironisierende, persiflierende Schlagseite von Venus im Pelz. Und in der damals als Erotik-Thriller vermarkteten Zwangsfixierungsstudie Bitter Moon (1992), dem zweiten Film, den Polanski mit seiner Frau gedreht hat, finden sado-masochistische Elemente sich zuhauf.

Missbrauch

Auf verschlungenen Wegen, selten so deutlich wie in The Pianist (2002), finden Polanskis Traumata und Lebenskrisen Niederschlag in seinem Werk. Je mehr darüber gedeutelt wurde, desto vehementer hat er private Bezüge geleugnet. Dass die Rückschau auf frühe Filme gerade hier so üppig ausfällt, vor allem aber, dass man in Mathieu Amalric äußerlich einen jüngeren Verwandten des polnisch-französischen Altmeisters erkennen könnte, lädt erneut zu weitschweifigen Interpretationen ein. Obwohl Polanski beteuert, die physiognomische Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Hauptdarsteller sei ihm nicht einmal aufgefallen – man kommt schwer umhin, ein Stück weit seine Person in der Rolle zu sehen. Wenn in Venus im Pelz dann noch das Wort Kindesmissbrauch fällt (Sacher-Masochs Herr Kusiemski genoss als Kind die Schläge seiner Tante im Pelz), und Thomas recht allergisch darauf reagiert, drängt sich ein Zusammenhang auf: die Anklage des Missbrauchs einer Minderjährigen, die Polanski nun schon seit bald 37 Jahren verfolgt und wegen eines Haftbefehls die Einreise in die USA verunmöglicht. Immer noch geht die Fama, Polanski habe damals ein Kind vergewaltigt und sei nur aufgrund seines Prominentenstatus davongekommen. Erst vor vier Jahren war er anlässlich eines Besuchs des Züricher Filmfestivals von den Schweizer Behörden aufgegriffen worden und musste nach zehn Wochen Auslieferungshaft noch sieben Monate lang in Fußfesseln warten, ob er an die USA ausgeliefert wird. Absurdes Theater, nur leider nicht auf der Bühne. Zur Aufklärung der verzwickten Geschichte trug wesentlich der Dokumentarfilm Roman Polanski: Wanted and Desired (2008) von Marina Zenovich bei. Dieser ist ebenso empfehlenswert wie Polanskis jüngster Geniestreich, den man sich unbedingt in der fesselnden Originalversion anschauen sollte. Der letzte Blick auf Thomas Novacheck lässt alles zu und doch nichts offen.