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Breaking Bad

Breaking Bad

Remember My Name

| Benjamin Moldenhauer |
Eine der großen Erzählungen über Leben, Leiden und Sterben im Spätkapitalismus, ein Lehrstück über die belebende Wirkung von entgrenzter Verfügungsgewalt und Macht. Zum Erscheinen der Sammelbox auf DVD bzw. Blu-ray: „Breaking Bad“, die abschließende Analyse.

Vor fünf Jahren, als die erste Season von Breaking Bad startete, ließ sich noch nicht erahnen, was da kommen würde. Die ersten Folgen machten Spaß, erforderten aber auch vom gutwilligen Zuschauer eine gute Portion „suspension of disbelief“: Der Chemielehrer Walter White entschließt sich nach einer Krebsdiagnose (im Verbund mit einer gleichfalls tödlichen Krankenversicherungslage) spontan dazu, in der Wüste vor Albuquerque ein Crystal-Meth-Labor zu eröffnen. Als Walter dann gleich zu Anfang ohne Hose verloren in der Weite herumstand, drängte sich die Vermutung auf, man habe es hier mit einer zwar schwarzhumorigen, tendenziell aber doch eher juxigen Variante des im aktuellen US-amerikanischen Serienfernsehen virulenten Antihelden zu tun; zumal Bryan Cranston Kennern noch aus seiner Slapstick-affinen Rolle des hysterischen Familienvaters in Malcolm in the Middle (Malcolm Mittendrin) präsent war.

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Breaking Bad ließ sich ohne weiteres als subtextlastiges Krisenfernsehen rezipieren. Und tatsächlich wuchs sich die Serie spätestens ab der zweiten Season zu einer vielschichtigen Dekonstruktion des homo oeconomicus aus. Die Krise rechtfertigt alles, und irgendwann wird Walter White, zumindest für kurze Zeit, zum Alleinherrscher über den Drogenmarkt von New Mexico. Wie es der Serie gelang, das Abseitige in einer Weise mit dem Alltäglichen zu verbinden, dass man Ersteres immer mit Bekanntem und mitunter auch Eigenem verknüpfen konnte, das war schon große Drehbuchkunst; man verstand intuitiv, dass man selbst, als weißer Mittelstandsmensch, gemeint war. Alles war hier größer und dunkler als vor dem Bildschirm und erschien mit einem Mal so klar und analytisch zurechtgelegt wie unter einem Mikroskop: die kleinen und großen Lügen während einer langjährigen Ehe (hier nun notwendig wegen des Crystal-Meth-Labors, das man betreibt), die falschen Karriereentscheidungen, die man sein Leben lang bereut (nur, dass hier jemand sich von seinen ehemaligen Kompagnons mit ein paar tausend Dollar hat abfinden lassen, wo er wenig später Millionen hätte bekommen können), die zermürbenden Rang- und Konkurrenzkämpfe nicht nur, aber vor allem unter Männern (nur, dass einen die Nervensäge von Schwager hier, wüsste sie Bescheid, sofort verhaften würde), die moralischen Dilemmata, die einen dazu zwingen, Ethik und den sogenannten Sachzwang abzuwägen (hier beispielsweise: Wie geht man mit einem Komplizen um, der einen Zeugen, ein Kind, getötet hat?).

Warum das alles? Ein kurzer Exkurs: „Man kann noch so viel wissen über Mechanismen und Metaphysik des Kapitalismus, über den Fetisch, dem er dient, und die Lüge, mit der er die Welt beherrscht“, schreibt der Medienkritiker Kay Sokolowsky. „Wirklich verstehen, warum die Menschheit sich diesen Riesenirrsinn antut, wird man damit noch nicht. Es ist deshalb recht hilfreich, sich gelegentlich mit der Vita jener zu beschäftigen, die vom Kapitalismus alles erfüllt bekamen, was er verspricht, das heißt, mit dem Leben der Tellerwäscher, die zu Millionären wurden.“ In Sokolowskys Text geht es um Martin Scorseses The Wolf of Wall Street, den eindrücklichsten Kinofilm über die „Metaphysik des Kapitalismus“ der letzten Jahre.

Das ist die eine Seite, und man tut gut daran, nicht zu vergessen, welche wundervollen Exzesse der deregulierte Markt den Gewinnern verheißt. In Breaking Bad konnte man hingegen über fünf Jahre hinweg miterleben, wie ein Mensch vom, na ja, Tellerwäscher zur Leiche und auf diesem Weg zum Millionär wird. Ein Lehrstück in Sachen Markterschließung und Expansion, und ein Experiment: Es ging um den Versuch, den Zuschauer gleichsam an der Hand des Protagonisten aus dem Bereich der, um Nietzsche zu bemühen, „Sklavenmoral“ hinauszuführen, um ihn dann spüren zu lassen, was auf diesem Weg so alles passieren kann. Die Serie dockte an die große Mythologie des US-amerikanischen Gangsterfilms an, die Erzählung des Verbrechens, an dem sich das Wesen des großen Ganzen kristallisieren soll. Nur dass sich hier, rigoroser noch als bei den in dieser Hinsicht ähnlich konstruierten Sopranos, Verbrechen und Ökonomie übereinander legten und durchmischten.

Das ließ sich ohne weiteres übertragen auf die Wahnwelten des Ökonomischen und ihre Imperien. In seiner nicht-legalisierten Ausformung zeigt sich der freie Markt in seiner ganzen Pracht. Dass Blut nicht nur im übertragenen Sinn am Profit klebt, weiß man nicht erst seit dem Fabrikeinsturz in Bangladesch im Mai 2013; oder seit bekannt ist, unter welchen Arbeitsbedingungen das Material gewonnen wird, aus dem die Displays für unsere Smartphones hergestellt werden. In Breaking Bad wurde der Konnex von Blut und Profit ganz buchstäblich verstanden. Wo der Markt ungehemmt regiert, wird Leben zerstört, und von diesem Zerstörungspotenzial lässt sich besonders klar erzählen, wenn die Ökonomie auf ihren Glutkern reduziert wird: Profit generieren, Marktanteile erschließen, Konkurrenten aus- oder abstechen und die, die auf der Strecke bleiben, verschwinden lassen oder vergessen.

Der seit der dritten Season sukzessiv Tempo aufnehmenden Höllenfahrt Walter Whites wurde, auch in dieser Hinsicht verfuhr Breaking Bad zuerst ganz klassisch, die Welt der Familie gegenübergestellt: als Motivation und Legitimation der Figur. Ein Mann tut, was ein Mann tun muss, um seine Frau und seine Kinder vor dem sozialen Niedergang zu bewahren. Auf diese Weise löste die Serie zunächst elegant das immer wieder diskutierte Paradox, wie es gelingen kann, dass man als Zuschauer auch mit Figuren mitfiebert, die Dinge tun, die man in der Wirklichkeit jenseits des Bildschirms ohne Frage ablehnen und verabscheuen würde. In den ersten vier Seasons wurde ausgetestet, wie weit man es treiben kann, ohne dass der Zuschauer und der Held einander verlieren.

In der fünften aber wurde Walter White mit einer Konsequenz zerlegt, die mit vergleichsweise verschämten Bestrafungs-
aktionen klassischer US-Gangsterfilme wie Little Caesar oder Public Enemy nur noch wenig zu tun hat. In diesem Zuge löste sich auch die nachvollziehbare Sorge um die eigene Familie als Legitimation noch der größten Schweinerei auf: Kurz vor Schluss geht Skyler White auf ihren Mann mit dem Messer los, der verzweifelte Sohn, dessen Welt ein paar Minuten zuvor restlos zusammengekracht ist, geht dazwischen, der Vater entführt das Baby und setzt sich ab. Anstatt zu warten, bis der panisch antizipierte soziale Abstieg die Familie ins Elend stürzt, erledigt Walter das lieber selbst.

Warum also das alles? Der Held in The Wolf of Wall Street weiß was er will: nicht einmal Macht, sondern Frauen, Geld und Drogen, Enthemmung. Die Zuschauer und Kritiker, die Scorseses Film nicht mochten, waren vielleicht auch einfach erschöpft von der Anstrengung, derer es bedarf, um die Wahrnehmung abzuwehren, dass man dieses Wollen affektiv nachvollziehen und die Bilder des Exzesses genießen kann. In Breaking Bad dagegen bildet die Rache an Leuten, die nicht einmal wissen, dass man sich an ihnen rächt, den unerbittlichen Antrieb und den Grund für den ganzen Aufwand und all die Toten. „Remember my

name“ lautet die Tagline der letzten Season; die Krebserkrankung scheint da retrospektiv eher wie eine vorübergehende moralische Rechtfertigung nicht nur für die Figur, sondern auch für den Zuschauer. In der letzten Season wies Jesse Pinkman, Komplize und Schüler Walter Whites, seinen Lehrer darauf hin, dass die Genugtuung in diesem Fall vielleicht doch eher eine geringe Halbwertszeit haben wird:
Walter: „You asked me if I was in the meth business or the money business. Neither. I’m in the empire business.“ Jesse: „Is a meth empire really something to be that proud of?“

Versteht man Breaking Bad als Versuch, von der Metaphysik des Kapitalismus zu erzählen, wird er hier mit einem weitgehend unbewussten Streben nach Macht und Verfügungsgewalt verzahnt; da ist der besinnungslose Hedonismus bei Scorsese doch um einiges sympathischer.

Die angebliche Rationalität, die dem freien Markt von seinen Verfechtern immer wieder angedichtet wird, findet so in der Figur ein schönes Bild. Den Glauben, er hätte die Situation im Griff, erhält sich Walter White (mehr homo oeconomicus in einem Namen ist nicht möglich) bis kurz vor Schluss. Dass sich die Gewalt nicht kontrollieren lässt und nicht nach den Regeln der Vernunft spielt, dass man also beispielsweise mit Nazis keine Zweckbündnisse eingeht, weiß der gnadenlose Rationalist nicht und muss für diesen Fehler zahlen.

In meiner Lieblingsszene der letzten Season erinnert Breaking Bad an den Anfang. Der Kreis schließt sich, Walter ist an den Ort seines ersten Crystal-Meth-Kochversuchs zurückgekehrt, er (und damit auch der Zuschauer) erinnert sich, eine Rückblende zeigt, wie alles begann: ein Telefonat mit seiner Frau darüber, wie viele Pizzen er auf dem Rückweg von der Arbeit mit nach Hause bringen solle. Sie ist schwanger, das Gespräch liebevoll, und zugleich fällt hier die erste Lüge; das, was ab diesem Moment verlorengeht, wird am Ende noch einmal aufgerufen, bevor in der Schlusskurve das Tor zur selbstgemachten Hölle sich vollends öffnet. Wenig später kommt in einem eher unspektakulär inszenierten Dialog die simple Wahrheit ans Licht, die man als Zuschauer ab dem Moment, in dem der Held sich sein Gangsterhütchen aufsetzt, eigentlich schon gekannt oder zumindest intuitiv erfasst hatte. Walter White gesteht seiner Frau, warum alles kaputtgehen musste: „I did it for me. I liked it. I was good at it. And I was really … I was alive.“ Das zur Frage, warum das empire business trotz all seiner Destruktivität den Lauf der Welt auf unbestimmte Zeit weiter bestimmen wird.