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Her

Metaphysik und Menschlichkeit

| Marietta Steinhart |
Spike Jonze treibt die Technikeuphorie auf die Spitze: In seinem Film „Her“ verliebt sich Joaquin Phoenix in das Betriebssystem eines Computers.

Zunächst entsprach unser kollektiver Begriff von Computern monumentalen Elektronengehirnen mit wild blinkenden Lämpchen, in etwa so wie es Jean-Luc Godard in seiner gefühlsarmen Dystopie Alphalville (Lemmy Caution gegen Alpha 60, 1965) in Szene setzte. Die von dieser Wirklichkeit inspirierten Phantasien wurden allmählich abgelöst von omnipotenten Mikrochips, die unterstützend in unserem Alltag verschwanden. Wie verhält man sich nun aber gegenüber einer Künstlichen Intelligenz, die Gefühle hat? Dieser in der Science-Fiction beliebten Frage widmet sich der US-amerikanische Autor und Regisseur Spike Jonze in seiner wehmütigen Liebeskomödie Her (2013), einer klassischen Romanze, die – begründet in Technikeuphorie – in einer Liaison zwischen einem Mann und einer weiblichen Computerstimme kulminiert.

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Die Geschichte wird projiziert ins Los Angeles der Zukunft. Es ist eine nicht allzu ferne, pastellfarbene und komfortable Welt mit vertrauten Attributen und futuristischen Akzenten, die sich durch ihre Schlichtheit auszeichnet und durch einen regressiven Modestil besticht. Autos sind Fragmente der Vergangenheit, und Tastaturen wurden durch Spracherkennung ersetzt. Die Menschen laufen, ihre elektronischen Endgeräte umklammernd und vertieft in ihre vermeintlich schizophrenen Selbstgespräche, aneinander vorbei. Intime Nachrichten werden ausgelagert an „BeautifulHandwrittenLetters.com“, eine Firma, für die auch unser Held und einsames Häufchen Elend arbeitet. Theodore Twombly, gespielt von Joaquin Phoenix, verdient sein Geld damit, für andere Menschen begnadete, persönliche Briefe zu „schreiben“. Die Ironie ist, wir lernen ihn kennen als verträumten, sozial verkümmerten, aber liebenswerten Einsiedler. „Play melancholy song“, instruiert er sein Smartphone auf dem Weg nach Hause. Hornbrille, Schnurrbart und eine haltlose Erscheinung erinnern ähnlich einer Karikatur an Groucho Marx und Charlie Chaplin. Abends bewegen sich seine Optionen zwischen einem eigensinnigen, holografischen Videospiel und satirisch schrägem Cybersex.

Die bevorstehende Scheidung von seiner Ehefrau (Rooney Mara) macht ihm ganz offenkundig zu schaffen, bis er auf die neueste technische Revolution aufmerksam wird, ein personalisiertes Computersystem („OS1“), das nicht nur mit einer Künstlichen Intelligenz ausgestattet ist, sondern auch, so sagt „sie“, Intuition besitzt und mit jeder Erfahrung wächst. In Samanthas (so ihr Name) Stimme, die im Original von Scarlett Johansson „verkörpert“ wird, steckt eine Natürlichkeit, die ihre virtuelle Herkunft verbirgt. Zunächst ordnet sie seine Emails, erinnert ihn an Termine und editiert seine Briefe, doch schon bald führen die beiden intime und philosophische Konversationen über das Leben und die Liebe. Sie schmeichelt ihm, bringt ihn zum Lachen, komponiert Klavierstücke, säuselt ihm nachts Liebesschwüre ins Ohr und kann ihn mit „Telefonsex“ beglücken. Das ist der Stoff, aus dem Pygmalion-Träume gemacht sind. Es wundert deshalb nicht, dass er in seiner devoten digitalen Freundin die große Liebe findet. Ein mobiles Endgerät und ein Knopf in Theodores Ohr erlauben es den beiden, miteinander zu kommunizieren. Mit Hilfe eines kleinen Monitors in seiner Brusttasche kann sie die Welt mit seinen Augen sehen und so nimmt er sie mit an den Strand, auf Parties und Double Dates. Aber ist es eine „echte“ Beziehung? „Am I in this because I‘m not strong enough for a real relationship?”, hegt er Bedenken gegenüber seiner Freundin Amy (sehr sympathisch: Amy Adams), die ebenfalls eine Freundschaft zu einer weiblichen Computerstimme pflegt. Währenddessen nimmt Samanthas Erfahrungshorizont schnell neue Dimensionen an. Es dauert nicht lange, bis aus einem vermeintlichen Resonanzkörper eine komplexe Persönlichkeit wird und aus einer neuartigen Beziehung altbekannte Probleme erwachsen. Ist sie anfangs noch enttäuscht über ihre körperlose Existenz, so steht sie bald vor dem Rätsel, ob es vielleicht nicht doch etwas Erhabeneres gibt als ein Mensch zu sein.

A Spike Jonze Love Story

Her ist ferner die Emanzipationsgeschichte von Spike Jonze, der sich nach zweimaliger Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Charlie Kaufman in den Orbit schizophrener, einzigartiger Filme geschossen hat, sich hinter seinem erfolgreichen Kollegen aber nicht verstecken muss. Dass er eine Vorliebe für Identitätskrisen hegt, hat er mit seinem Regiedebüt Being John Malkovich (1999) bewiesen und mit Adaptation (2002) konsequent fortgesetzt. Beide Projekte trugen jedoch die Handschrift des Autors und so ist Her der erste Film (beworben als „A Spike Jonze Love Story“), den er sowohl geschrieben als auch gedreht hat. Vor zwei Jahrzehnten, als er sich als Regisseur von Musikvideos für Björk, die Beastie Boys oder Fatboy Slim und der Inszenierung außergewöhnlicher Werbungen einen Namen zu machen begann, hätte man dem Mitbegründer des Jackass-Franchises so viel Sensibilität vermutlich nicht zugetraut. Nach seiner Arbeit als Regisseur und Koautor an Where The Wild Things Are (2009), hat das 44-jährige Wunderkind nun endgültig seinen wohl verdienten Platz im Kreise akkreditierter Autoren eingenommen. Mit Her beweist er visionäres Geschick, emotionale Intelligenz und ein perfektes Timing.

Zu verdanken ist der Erfolg aber auch seinem Haus-Produktionsdesigner K.K. Barrett, der sich bewusst gegen eine hyper-realistische Ästhetik und für natürliche Texturen entschied, die Holzrahmen für Computer mit einschließen. Die im Hintergrund elektrisch vibrierende Klangwelt von Arcade Fire umschmeichelt die melancholischen Innenwelten, die im Einklang mit einer blaugrauen Skyline und im Kontrast zu farblich warm arrangierten Inneneinrichtungen – mit Reminiszenzen an die vierziger, fünfziger und siebziger Jahre – und subtil komischen, retro-futuristischen Modeerscheinungen stehen (allen voran das inoffizielle Highlight des Films: die hochbündige Tweed-Männerhose). Das Farbspektrum der fantastisch unaufdringlichen Kinematografie von Hoyte van Hoytema (Tinker Tailor Soldier Spy) ist reich an loderndem Rot, stillem Gelb und lauschiger Koralle.

Joaquin Phoenix, abgekoppelt von seinem Markenzeichen, dem exaltierten emotionalen Meltdown in The Master (2012) oder Walk the Line (2005), stemmt die Rolle des Theodore mit leiser Intensität und lauter Verletzlichkeit. Ihm und seinem ausdrucksstarken Gesicht ist es auch zu verdanken, dass diese ungewöhnliche Prämisse so unglaublich gut funktioniert. Über weite Strecken hinweg bewohnt er diesen Film allein in Gesellschaft einer Off-Screen-Stimme und erschafft für die beiden (und das Publikum) einen wohlig warmen Kokon. Dank Scarlett Johanssons mal unschuldig, mal verführerisch anmutender Stimme (interessantes Detail: sie ersetzte in der Postproduktion Samantha Morton) zweifelt man keinen Moment lang an der „Menschlichkeit“ ihrer Metaphysik. „Our machines are disturbingly lively, and we ourselves frighteningly inert“, schrieb einst Donna Haraway in ihrem Essay „A Cyborg Manifesto“ und prophezeite damit ein Szenario, in dem Maschinen menschlicher als Menschen sind.

Vom Überwinden des Maschinenpessimismus

Die künstlichen bzw. mechanischen Menschen sind eine Phantasie aus der antiken Frühgeschichte der Automatisierung. Mit ihr kamen verheißungsvolle Versprechen und monströse Albträume. Die Wahrnehmung des Computers als menschenähnliche und misanthrope Maschine wird an dieser Stelle abgelöst von der Idee eines beseelten, einfühlsamen, immateriellen Softwaresystems als ernst zu nehmender Konkurrenz für den Menschen. Anders formuliert, Jonze verabschiedet sich in seiner Phantasie von destruktiven Computersystemen (2001: A Space Odyssey), humanoiden Kampfmaschinen (The Terminator), böswilligen Programmen (The Matrix) und einer megalomanen Künstlichen Intelligenz (ab April im Kino: Transcendence).

Im Gegenzug dazu bietet Her eine logische Schlussfolgerung an. Täglich posaunen wir hoch frequentiert und ungefragt neue „Status-Updates“ in die Welt, nutzen Sprachassistenten wie Siri, installieren Dating Apps wie Tinder (Slogan: „It‘s like real life but better“) und schweben glückselig auf einer digitalen Datenwolke. Nicht selten gaffen wir auf Displays anstatt in Gesichter zu schauen. Gerade in diesem Sinn mutet Her sehr nachvollziehbar an: Der Film kreiert das philanthrope Porträt einer möglichen Zukunft, die irgendwo zwischen Utopie und Dystopie verortet werden kann. Mit der Hadeslandschaft in Blade Runner (1982) hat dieses lichterfüllte Los Angeles (Shanghai diente als zweiter Drehort) nichts mehr gemein.

Mit seinem Geniestreich unterwandert Spike Jonze die Grenzen von Natürlichkeit und Künstlichkeit und treibt damit das latente libidinöse Begehren, das der Mensch zur Maschine unterhält, auf die Spitze – ohne sich einem Kulturpessimismus zu unterwerfen. Her ist gleichzeitig subtile Technologiekritik und technophile Bestandsaufnahme. Man muss sich aber nicht dazu verleiten lassen, den Film in seine kleinst möglichen binären Bausteine zu zerlegen. Tatsächlich handelt Her schlichtweg von der Kunst, eine liebevolle Beziehung einzugehen und erzählt auf die womöglich zeitgerechteste zeitlose Weise von der Phantasie eines Mannes, der auf der Suche nach der perfekten Frau am Ende bei sich selbst ankommt.