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Stories We Tell

| Alexandra Seitz |

Wie wir wurden, was wir sind. Schlaue Antworten auf schwierige Fragen.

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Erst als Erwachsene und eher zufällig erfährt die 1979 in Toronto geborene Sarah Polley – Schauspielerin seit ihrer Kindheit, später dann auch Drehbuchautorin und Regisseurin unter anderem der beiden Filme Away from Her und Take This Waltz –, dass ihr Vater Michael nicht auch ihr Erzeuger ist. Das ist vielmehr der Produzent Harry Gulkin, mit dem Sarahs längst verstorbene Mutter Diane während der Arbeiten an einem Theaterstück in Montreal eine Affäre hatte. In die Polley-Familie platzt diese Entdeckung wie eine Bombe. Jahrelang hatten Vater und Geschwister Witze über die mögliche Abstammung ihres ein wenig anders als die anderen aussehenden Nesthäkchens gemacht, mit einem Mal werden sie von der Realität eingeholt, vergeht ihnen das Lachen.

Doch wie es sich für eine Künstlersippe gehört, geraten die Versuche der Aufarbeitung des gelüfteten Familiengeheimnisses komplex und reflektiert. Zahllose Briefe werden geschrieben, Debatten geführt, Überlegungen angestellt. Schließlich beschließt Sarah, einen Film über die ganze Sache zu drehen, der möglichst allen Meinungen und Standpunkten gerecht werden soll. Stories We Tell ist ein dementsprechend facettenreiches, multiperspektivisches Unterfangen, das den Beteiligten die Möglichkeit gibt, ihre jeweilige Sicht der Dinge darzulegen – die sich, wie sollte es anders sein, bei dieser Gelegenheit als weitaus komplizierter erweisen als zunächst angenommen.

Vergleichbares gilt für die von Polley gewählte Form: Über die bruchlose Montage von im familiären Rahmen geführten Interviews, im Studio vorgetragenen Memoiren, Homemovie-Authentizität vorgaukelnden, dabei jedoch nach-inszenierten Super-8-Aufnahmen und persönlichem Voice-over stellt sie unterschiedliche Ebenen der Abstraktion her und lässt verschiedene Versionen des Geschehens entstehen. Wahr sind sie alle. Wenn man mittendrin stecke, sagt Polley an einer Stelle, dann stelle sich eine Geschichte weniger als eine Geschichte dar, denn als Verwirrung und Chaos, vergleichbar etwa einem Haus in einem Wirbelsturm oder einem Schiff in Seenot.

Was ihr mit Stories We Tell gelingt, ist die Gleichzeitigkeit dieser beiden unterschiedlichen Aggregatzustände von Geschichte begreiflich zu machen, indem sie, weniger rational als empathisch, das Bemühen um und den Vorgang von Sinnstiftung nachvollzieht. Wie nebenher macht sie damit klar, dass es auf die Frage, wie wir wurden, was wir sind, keine einfache Antwort gibt. Nie.