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Im Zweifel schuldig / Heroes For A Semster

| Jörg Schiffauer |

Im Zweifel schuldig / Heroes for a Semester

Ein kritischer Blick auf die Mühlen des US-Justizsystems

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Umstrittene Urteile finden bevorzugt öffentliche Resonanz und mediale Aufmerksamkeit, wenn die Betroffenen prominent oder die Taten spektakulär sind. Doch ganz gleich wie stark einzelne solcher Verfahren das Interesse der Öffentlichkeit wecken, sie sind im Fall des US-amerikanischen Justizsystems vor allem eines – untypisch. Denn die große Zahl jener Fälle, die in einem – vorsichtig formuliert – nicht ganz unangreifbaren Verdikt münden, sind nicht das Ergebnis eines langwierigen, akribischen Verfahrens, wie man es aus großen Gerichtssaaldramen kennt. Die meisten dieser Fälle werden eher zügig verhandelt, wobei die meisten Angeklagten es sich gar nicht leisten können, eine hochqualifizierte – und deshalb kostspielige – Verteidigertruppe aufzubieten. Wer in den Vereinigten Staaten – und das lässt sich empirisch belegen – arm ist, hat schon einmal ganz schlechte Karten, wenn er Justitia ausgeliefert ist. Und hat die einmal ihr Urteil gefällt, stehen die Chancen für solche Verurteilten ganz übel.

An der renommierten Northwestern University wurde deshalb 1998 das „Center on Wrongful Convictions“ eingerichtet, das sich offensichtlicher Justizirrtümer annimmt. Die Hauptarbeit leisten dabei Jura-Studenten, die in mühevoller Kleinarbeit Prozessakten durchforsten und neue Ermittlungsansätze suchen, um die extrem hohen Hürden, die vor einem Wiederaufnahmeverfahren liegen, zu bewältigen. Axel Breuer hat eine Gruppe dieser Studenten während ihrer Arbeit für das Center begleitet und sich dabei auf einen Fall konzentriert, der im Lauf der Zeit an besonderer Brisanz gewinnen sollte. Marcus Wiggins war nach einer Schießerei in seinem Viertel in Chicago rasch verhaftet und trotz dürftiger Beweislage verurteilt worden. Wiggins war jedoch schon als Jugendlicher von Polizisten während einer Befragung misshandelt und gefoltert worden, was Konsequenzen für einige Beamte nach sich zog. Die Mordanklage, die Wiggins eine Verurteilung eintrug, könnte also ein Racheakt der Chicagoer Polizei sein. Und im Lauf ihrer Untersuchungen kommen die Studenten dann einem Polizeiskandal auf die Spur, dessen Dimension Stoff für einen Sidney-Lumet-Film hätte sein können.

Im Zweifel schuldig besticht vor allem durch die Auswahl und Verfolgung eines Sujets, das spannender nicht sein könnte und deutlich macht, welch schreiende Ungerechtigkeiten im Justizwesen der USA auch im 21. Jahrhundert noch möglich sind. Einen streckenweise zu schnittigen Erzählduktus im Stil einer TV-Krimiserie samt reißerischem Score hätte es freilich nicht gebraucht, um dem Thema Dramatik zu verleihen. Die ist ohnehin reichlich vorhanden, bei geschätzten 30.000 Häftlingen, die in den USA wie Marcus Wiggins vermutlich unschuldig im Gefängnis sitzen.