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Erster Weltkrieg im Kino

Erster Weltkrieg

Der unsichtbare Krieg im Kino

| Jörg Becker |

Der erste industrialisierte Massen- und Maschinenkrieg war auch der erste umfassende „Medienkrieg“ des 20. Jahrhunderts. Schon kurz nach Beendigung hielt der Weltkrieg auch als Thema im Spielfilm Einzug.

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Ein englischer Film vom grausamen Höhepunkt der Materialschlacht im Stellungskrieg, The Battle of the Somme, uraufgeführt im August 1916, schockierte sein Publikum mit sterbenden Soldaten; er zeigte zerfetzte Leichen (sachliche Zwischentitel: „German Dead on the Field of Battle“) und stellte Kriegsgefangene dar, denen die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Die Organisation des Filmmaterials, die eine realistische Abfolge suggerierte, und der Einbau sogenannter Reenactments, die den Zeitgenossen die Kriegshandlung realistisch und in gelungener Dramatik auf Spielfilmlänge vermittelten, sollen dem Film vom Frontschauplatz in den Folgemonaten allein im Inland ein Publikum von an die 20 Millionen Zuschauern eingebracht haben. Natürlich hinterlässt der Film den Eindruck, der gescheiterte Durchbruchsversuch, in Wahrheit ein militärisches Fiasko, sei ein britischer Sieg gewesen; eine „Propaganda der Fakten“ wurde zur offiziellen Leitlinie erklärt. Das „Bild- und Filmamt“ (BuFA) der reichsdeutschen Obersten Heeresleitung (OHL) antwortete mit dem Film Bei unseren Helden an der Somme (1916), der ein halbes Jahr später jene Schlacht als großen deutschen Triumph ausgab. Hier wird nicht gestorben, sondern konsequent vorwärtsmarschiert, in Bildern, die meistens als Nachinszenierungen in der Etappe aufgenommen worden waren, die Zwischentitel sind ungleich tendenziöser.

Der erste industrialisierte Massen- und Maschinenkrieg war auch der erste umfassende Medienkrieg des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt ging der Filmkonzern Ufa im Dezember 1917 aus dem „BuFA“ der deutschen OHL hervor, die relativ spät versuchte, die Filmproduktion der Alliierten abzuwehren, welche aufgrund der zentralistischen Organisationen die Nase vorn hatte und etwa seitens der Vereinigten Staaten nach deren Kriegseintritt mit dem Topos des „deutschen Hunnen“ oder „Barbaren“ stereotype Feindbilder kreierte. In Werbefilmen für Kriegsanleihen traten „Prominente“ auf, doch die immer gleichen Inszenierungen unter Ausschluss eigener Opfer ermüdeten zunehmend die heimischen Betrachter. Die Erkenntnis der kontrollierten Filmberichterstattung aus der ersten Hälfte des Weltkriegs könnte lauten, dass Propaganda zugunsten einer unterstützenden Grundstimmung in der Bevölkerung (ging es doch um Arbeitsleistungen und finanzielle Beiträge zum Krieg, der Millionen Zivilisten „in Mitleidenschaft“ zog) nur um den Preis eines Mindestmaßes an realistischer Darstellung des Frontgeschehens wirksam werden konnte. Das Muster eines mystischen „Kriegserlebnisses“, an dem ein Soldat „nationaler Größe“ teilhaftig wird, wurde aus dem wilhelminischen Alltag auf die Front projiziert und zur kollektiven Erfahrung der Frontsoldaten stilisiert.

Ein Jahrzehnt nach der Kapitulation und dem Versailler Vertrag, der in Deutschland schon zu Zeiten der ersten, der Weimarer Republik als ideologische Reaktion den Weg in den Zweiten Weltkrieg ebnete (für die nationale Rechte war Versailles immer ein zu tilgender „Schandfrieden“ geblieben), hielt der Weltkrieg als Thema im Spielfilm Einzug. Mit einem zeitlichen Abstand also, der mit dem Kriegstrauma sowie einer klaffenden Diskrepanz zwischen der Erfahrungswelt der Soldaten, die sich der Mitteilung verweigerte, und jener der Heimat zusammenhing, deren Wunsch nach „emotionaler Stimulierung“ ernüchtert worden war. Vorherrschend sind das „männliche“ Kriegserlebnis an der Front und das Motiv der „Kameradschaft“ innerhalb der militärischen Einheit. Der aufwändige „Frontspielfilm“ nach Erich Maria Remarques Bestseller „Im Westen nichts Neues“ von 1929 (1930 von Lewis Milestone als All Quiet on the Western Front verfilmt) hatte den wohl größten Eindruck hinterlassen; am Tag nach der Berliner Premiere im Dezember 1930 organisierten die Nazis unter Leitung von Joseph Goebbels massive Proteste und ließen mit weißen Mäusen und Stinkbomben die Aufführung platzen. Das Verbot des Films durch die Filmoberprüfstelle Tage später  – Begründung: der Film schade dem deutschen Ansehen im Ausland – feierte der spätere Propagandaminister als „Beginn der Revolution“, tatsächlich wurde es als symbolkräftiger Sieg der Nazis gewertet, die als Einzige die Ehre der deutschen Frontkämpfer zu verteidigen vorgaben.

Schnelle Überblendungen und streckenweise Montagen im Stil des Russenfilms übertragen in Niemandsland (1931) von Victor Trivas die lehrhafte Bloßstellung grausamer Sinnlosigkeiten des Krieges auf die Leinwand. Fünf Soldaten verschiedener Nationalitäten finden sich in einem zerschossenen Unterstand zwischen den Fronten wieder und entdecken, dass sie, nur durch die Sprachen und Uniformen getrennt, dieselben Gedanken und Gefühle haben. In einem erhabenen Schlussbild marschieren sie einem gemeinsamen Feind entgegen. Man erfahre nichts über die Ursachen des imperialistischen Krieges, monierte die kommunistische „Rote Fahne“, doch sei sowohl eine pazifistische wie auch eine revolutionäre Deutung zugelassen.

Neben einer wiedererkennbaren Ikonografie von Ereignissen des Stellungskriegs spielt die Einführung der Tonspur für eine größere Authentizität und Wahrhaftigkeit der Inszenierung eine wesentliche Rolle, vor allem auch in einem weiteren pazifistischen Hauptwerk, G.W. Pabsts Westfront 1918 (1930), dem ersten modernen Kriegsfilm der deutschen Filmgeschichte. Parallel zu Milestones All Quiet on the Western Front entstanden, macht Westfront 1918 das traumatisierende Trommelfeuer aus den Todeszonen der Materialschlachten sinnlich erfahrbar, mutet dem Zuschauer die unaushaltbar nervenzerrüttende Akustik des Stellungskrieges zu, wohingegen als Finale doch ein Händedruck zwischen dem verwundeten Franzosen und dem gestorbenen Deutschen die Idee von Klassensolidarität behauptet – „Wir sind keine Feinde, wir sind Kameraden!“

Gegenüber jenen Anti-Kriegsfilmen, die zum Ende der Weimarer Republik heftige Auseinandersetzungen auslösten, wirkt Die andere Seite (Heinz Paul, 1931) wie ein „Kammerspiel im Schützengraben“, das die Auswirkung des Stellungskriegs auf die Psyche der Soldaten verdeutlich: Fünf britische Offiziere warten 1918 auf die deutsche Schlussoffensive. Der „vornehmste aller bisherigen Kriegsfilme“, befand der Kritiker Paul Ickes über einen Film, der ohne breit ausgeführte grausame Kampfhandlungen auskommt; umso mehr sichtbar macht, wie seine Auswirkungen das Gesicht des Menschen verändern. Nach der NS-Machtübernahme wurde der Film auf Veranlassung von Joseph Goebbels wegen eines „zersetzenden Einflusses auf den Wehrwillen des Volkes“ verboten.

Visuelles Repertoire des Weltkriegs

Der Krieg hinterließ eine Signatur in der scheinbaren Normalität zeitgenössischer Stummfilme, die sich mit dem Zivilleben in der Heimat, speziell dem Arbeitseinsatz von Frauen beschäftigten, die vormalige Männerberufe einzunehmen hatten. Das bot Stoff für komödiantische, frivole Situationen, erzählte aber auch Kriegsheimkehrergeschichten (in Deutschland z.B. Leopold Jess­ners Hintertreppe, 1921, oder Joe Mays Heimkehr, 1928), die sich an mythische Gestalten (Odysseus) oder literarische Vorlagen („Oberst Chabert“ bei Honoré de Balzac) anlehnen. Erst in den letzten Jahren hat zudem die Filmgeschichtsschreibung über das Weimarer Kino als „Kino der Neurosen“, ein „Shell Shock Cinema“ diskutiert, in dem der Krieg im Nachkrieg fortdauerte.

Noch im letzten Kriegsjahr entsteht ein Fliegerfilm, der 1919 unter dem Titel Ikarus (Regie: Carl Froelich) erscheint und ein Merkmal vieler späterer Kriegsfilme aufweist: Die Verwendung dokumentarischer Aufnahmen vom „Theatre of War“ im Rahmen einer fiktionalen Handlung. Deren Wiederverwendung wurde im Verlauf der zwanziger Jahre zu einer eigenen filmästhetischen Praxis. Das Filmmaterial wurde geschichtspolitisch vereinnahmt und in den Dienst einer umkämpften Erinnerungshoheit gegenüber dem Weltkrieg genommen. Ein Hauptmerkmal jener Filme, die Archiv-Footage einsetzen, ist ein festes „visuelles Repertoire des Weltkriegs“. Meist erschien es teurer, bestimmte Kampfsituationen nachzudrehen, also suchte man sie im behördlich verwalteten Bildmaterial; ein weiteres Merkmal ist der Anspruch der Filme, aufgrund dieses historischen Materials ein „Zeitdokument“ abzugeben.

Amerikanische Weltkriegsfilme, die seit Mitte der zwanziger Jahre in die deutschen Kinos kamen – prominente Beispiele: King Vidors The Big Parade (1925) und What Price Glory (1926) von Raoul Walsh – bieten ein ungleich höheres Maß an Schauwerten, Komparserie und Glamour als die deutschen, enthalten meist melodramatische Handlungslinien und verzichten komplett auf historische Aufnahmen. Insgesamt zwölf das gesamte Frontgebiet vor Ort in Hollywood nachstellende US-Weltkriegsfilme bestimmen den Diskurs über Kriegsfilme im Reich, der Realismus ihrer Inszenierungen übertrifft den der heimischen Filme bei weitem.

Eine Unterabteilung spektakulärer Weltkriegsschau bildete der Fliegerfilm, in dem eine technische Elite maschinenbedienender Ritter der Lüfte mit Reflexen moderner Duellanten in zehntausend Fuß Höhe den erdgebundenen Materialschlachten – wenn nicht im Luft-Boden-Einsatz – eine tödliche Action Mann gegen Mann entgegensetzte, die in Öl, Blut und am Boden zerschellten, brennenden Maschinen endete. Auf dem französischen Kriegsschauplatz muss der Kommandant einer britischen Fliegerstaffel täglich schlecht ausgerüstete Flugzeuge mit neuen, unerfahrenen Piloten in den Kampf schicken, wohl wissend, dass nur wenige zurückkehren werden. Der erste Tonfilm von Howard Hawks, The Dawn Patrol (1930), wurde berühmt wegen seiner spektakulären Luftaufnahmen, die beim Remake, The Road to Glory (1938), erneut verwendet wurden. Regisseur Hawks, selbst Weltkriegspilot, flog eine der Maschinen, auf deren Bug eine Kamera montiert war. Die wichtigsten Weltkriegsfliegerfilme mit den authentischsten Luftkampfszenen („Dogfight“) in Hunderten von Originalflugzeugen stammen aus diesen frühen Jahren: der erste Oscar-Preisträger, Wings (1927) von Weltkriegspilot William Wellman, der den Luftkampffilm zu einer Trilogie erweitern sollte (die Fassung für den deutschen Markt wurde durch die Ufa im patriotischen Sinne der deutschen Ritterlichkeit umgeschnitten!), und Howard Hughes’ an fliegerischem Aufwand unübertroffener Hell’s Angels (1930).

Der vaterländisch-rechte Film bevorzugte Mythen des Weltkriegs, verbürgte Ereignisse und Personen und melodramatische Erzählmuster zu den zahlreichen nicht mehr erhaltenen Werken gehören etwa Volk in Not (1925) um die Schlacht bei Tannenberg oder die Selbstversenkung der deutschen Flotte in Scapa Flow (1930). Im NS-Weltkriegsfilm ab 1933 wird der Rückgriff auf die Frontkämpfer Teil einer ideologischen Konstruktion, mit der sich die an die Macht gekommene Partei in einen größeren Kontext zu stellen suchte. Mit dem heroisch geführten Krieg als Leistung, das Unerträgliche ausgehalten zu haben, verband man zugleich dessen sittliche Legitimation, Sinnstiftung. Aufgerichtet in der Todesminute durch den „Glauben an Deutschland“ ist der Sinn – hier in Stosstrupp 1917 (1934) – im Opfer angelegt, so die Lehre für die junge Generation, der Stahlgewitter-gehärtetes Freund-Feind-Denken zum Leitbild werden sollte. Das gemeinsame Fronterlebnis scheint der Weiheakt nationaler Identität, und im Selbstopfer – so legt es Unternehmen Michael (1937) von Karl Ritter nahe, ein Film, in dem Heinrich George einen General in unverkennbarer Hindenburg-Attitüde spielt – kollabieren letztlich alle Widersprüche zwischen Befehlsgebern und -empfängern. So lässt sich ein von Franzosen eingeschlossenes Bataillon auf Befehl des Kommandeurs von den eigenen Leuten beschießen. „Nicht nach der Größe unseres Sieges wird man uns einmal messen, sondern nach der Tiefe unseres Opfers.“

Nachdem es in den USA während des Krieges eine Menge an filmischer Mobilmachung („reel patriotism“) gegeben hatte, folgten nunmehr spektakuläre Fliegerfilme und ein paar bedeutende entheroisierende Werke über das Fronterlebnis jener sogenannten „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts. In seiner Betrachtung über den Ersten Weltkrieg im amerikanischen Film hat sich Horst Tonn vor allem auf Stanley Kubricks Paths of Glory (1957) und Dalton Trumbos Johnny Got His Gun (1971) konzentriert, an denen sich antimilitaristische Positionen reflektieren ließen, woran im Fall des alliierten Einsatzes gegen Hitlers Okkupationsarmee selbstverständlich nicht zu denken war. Beiden Filmen, ob am Film noir oder am literarischen Drama orientiert, geht es um zentrale Paradigmen des modernen Krieges, die Zerstörungsmaschinerie, das hierarchische System und seine eigene verhängnisvolle Logik.

La Grande Guerre

Der große Krieg im französischen Nachkriegsfilm: Erst 1917 wurde in Frankreich eine Filmabteilung des Heeres gegründet, mit der Aufgabe, Aktualität aufzuzeichnen und Erinnerungsmaterial des Krieges zu sichern. Vorherrschend war im Nachkrieg die pazifistische Tendenz der Betrachtung, etwa in der Beschwörung von Verdun als filmischem Großereignis, dem Film Verdun, visions d’histoire (1928) von Léon Poirier, der seine Erzählung durchsetzt mit Archivbildern aus jenem Dokumentarmaterial. In Le Film du Poilu (1928) und Poiriers Fortsetzung, Verdun, souvenirs d’histoire (1931), wird ein Kriegsveteran, der in Flashbacks von der Schlacht berichtet, als Erinnerungsinstanz eingeführt. Abel Gance, dem der Weltkrieg zwischen Les Gaz mortels (1916), mit dem er auf den ersten deutschen Giftgaseinsatz bei Ypern im April 1915 reagierte, und seinem pazifistischen Paradis perdu (1940) zentrales Anliegen war, wurde für die erste Fassung seines Films J’accuse (1919) von der „Grande Armée“ mit Frontdokumenten unterstützt, allerdings unter der Voraussetzung, seinen Protest gegen die Barbarei des Krieges mit einer gezielten Anklage gegen den deutschen Feind zu verknüpfen. J’accuse bleibt jedoch eine moralische Anklage, der es nicht um Historisierung von Kriegsverlauf, Ereignissen und Daten zu tun ist. Schließlich illustriert der Regisseur von Napoléon das Problem der Konversion des Frontsoldaten ins Zivilleben, und er versetzt Kriegsversehrte des Weltkriegs in die Rolle „lebendiger Archive“.

Für manchen Historiker gilt der Erste Weltkrieg als das bis dahin „komplexeste Ereignis aller Zeiten“ (Christopher Clark, „Die Schlafwandler“, 2013, in: „Krieg der Bilder“), Resultat wechselseitig eskalierender Reaktionen von sechs Großmächten zuzüglich des Osmanischen Reichs und der Balkanstaaten aufeinander in real time. Dieser Krieg war ohne die Medienfront nicht zu führen, schließlich gab es 1913 bereits mehr als 10.000 Kinos in Europa. Die verbreiteten Bilder wurden zu stereotypen Ikonen, darin die Lüge fest implementiert war. Es gab Ausnahmen, etwa die prophetischen Bilder aus dem noch im September 1914 in Wien uraufgeführten Film Die Waffen nieder! (Dänemark, Regie: Holger Madsen) nach Romanvorlage von Bertha von Suttner, mit denen sich eine ausdrückliche Warnung vor den Gefahren eines europäischen Vernichtungskrieges verband. Die Kriegsbegeisterung vor allem des städtischen Bürgertums ließ sich dadurch nicht irritieren. Die erhaltenen Archivbilder von Mobilmachung und Kriegsgeschehen repräsentieren primär Herrschaftsgeschichte, inszenieren Majestät, feiern zum Beispiel König Karl als „ersten österreichisch-ungarischen Soldaten“. Noch einmal stehen die Herrschenden der untergehenden Donaumonarchie im Zentrum, während im Kontext des Krieges eine Scheinwelt aufgebaut wird, die dessen eigentliche Gegenwart selten hervortreten lässt, den Feind, wie zur Beruhigung, kaum zu sehen gibt und die eigenen Verluste vollends außer Acht lässt.

Armut und Elend an der Front und im Hinterland werden ebenso ausgeklammert wie Massensterben und Nationalitätenkonflikte. Wohldosierte Kampfaufnahmen waren in der Regel nicht authentisch, etwa die inszenierte Bombardierung aus ersten Jagdflugzeugen von Hand (Mit Herz und Hand fürs Vaterland, 1915); maximal geschätzte 20 Prozent des Materials zeigen direkte Kriegshandlungen, der Rest wurde bei Manövern auf Vorrat gefilmt und durchweg inszeniert, was sich meist daraus verrät, dass die Kameraperspektive oft von Orten ausgeht, die erst erreicht werden sollen, zum Beispiel angesichts Montantruppen beim Aufstieg. Die Kamera ist immer schon da. Auch „Over-the-top“-Einstellungen – der massenhafte Sprung der Soldaten aus den Gräben heraus zum Angriff – sind in der Regel (selbst in dem ersten stark dokumentarisch gehaltenen Battle of the Somme) für die Kamera gespielt, denn im realen Front- und Grabenkampf hätte der Operateur, überdies belastet mit einer 35 Kilo schweren Kamera, solche Aufnahmen zu drehen wahrscheinlich nicht überlebt.

Mit der Kriegsdauer nimmt das Unterhaltungsbedürfnis zu, eine robuste, unauslöschliche Größe, die sich biologisch wie der Sexualtrieb zu erneuern scheint. So gelangt der Heimatfilm in den Krieg, der melodramatischen Rührstücken nur mehr als Kulisse dient, und Front und „Heimatfront“ rücken zusammen. Einerseits komödiantische Musterung gemäß dem Genre „Lustig ist das Soldatenleben“ – andererseits bergen die Fotografien, die in Magazinen, etwa des Österreichischen Staatsarchivs, die Zeit überdauert haben, den größten Schreckenskontrast. In ihnen findet sich ein Grauen dokumentiert, vor dem der Film das Objektiv verschließen muss und das der Fotografie zu publizieren strikt untersagt war. Zu denken an eine „Ästhetik des Schreckens“ (Titel von Karl-Heinz Bohrers Studie über Ernst Jünger), die in Werken der nachgeborenen Regisseure Kubrick oder Coppola auffindbar ist. Eine Welle der Gewalt gegen Zivilisten nimmt den Zweiten Weltkrieg vorweg, über Vertreibung und Flucht werden Kriegsschauplätze „freigemacht“, viele bezahlen die aufkommenden Identitätskonflikte im multinationalen Reich mit dem Leben. Aufgrund aufgepeitschter „Spionagehysterie“ und massenhafter Denunziation werden wahllos slawische Untertanen der k.u.k Monarchie hingerichtet – anfangs soll die Veröffentlichung solcher Exekutionsfotos zur Abschreckung dienen, ab 1916 jedoch beginnt man Abstand davon zu nehmen und zensurierte solche Aufnahmen, massenhafte Abbildungen von Aufgehängten mit einem Schild um den Hals, Fotos aus den Magazinen, die heute erstmals an die Öffentlichkeit gelangen.

Vorkriegsvisionen

Im ersten Teil der Archivedition des Deutschen Filminstituts Frankfurt am Main „Das alte Europa am Vorabend seines Untergangs“ findet man eine Auswahl von Filmen seit 1900, in denen der zukünftige Krieg bereits angelegt erscheint, in „transnationaler Perspektivierung“, so wie sie damals international vertrieben wurden, ehe der Weltkrieg den Fokus auf nationale Märkte verengte. Man trifft auf Szenarien von erstaunlicher Prophetie: Mit Spezialeffekten führt The Airship Destroyer (Der Luftkrieg der Zukunft, Walter R. Booth, Großbritannien 1909) Luftangriffe künftiger Kriege vor Augen. Luftschiffe, tatsächlich ab 1910 für militärische Zwecke entwickelt, bombardieren England; im Januar 1915 wurde diese Fantasie mit den ersten Angriffen deutscher Zeppeline auf britische Städte Wirklichkeit. In Lusitania (1914) sieht man Bilder von einer letzten regulären Linienfahrt des gleichnamigen britischen Passagierschiffs, das ein Jahr darauf von deutschen U-Booten versenkt wurde, was die öffentliche Meinung in den USA gegen das Reich wendete und somit den späteren amerikanischen Kriegseintritt vorbereitete. Ein Scharmützel mit den Buren nahe Kimberley … stellt den frühesten Beitrag der Filmauswahl dar, eine Aktualität aus dem Krieg zwischen südafrikanischen Buren und der britischen Kolonialmacht, aufgenommen im Jahr 1900. Wenngleich es sich „nur“ um Manöveraufnahmen handelt, die aber als Gefechtsaufnahmen vertrieben wurden, sind hier erstmals bewegte Bilder von galoppierender Kavallerie und einem Maschinengewehr zu sehen.

1912 griff Italien im Kolonialkrieg gegen das Osmanische Reich einen Stützpunkt an der Küste des heutigen Libyens an – La gloriosa battaglia di Misrata (8 luglio 1912). Die italienische Tripoli Films inszeniert einen Angriff als kriegerisch-patriotischen Dokumentarfilm, abseits des eigentlichen Kriegsgeschehens: Das Kampfereignis wird zwar per Montage und Zwischentitel konstruiert, den Aufnahmen von Schützengräben, Drahtverhauen, MGs und moderner Artillerie, für den heutigen Betrachter eindeutige Indizien des Weltkriegs, wohnt jedoch eine unheimliche Ahnung bevorstehender Ereignisse inne. Die gewissermaßen asymmetrischen Kolonialkämpfe nehmen etwas von den Schlachten auf europäischem Schauplatz vorweg, als würde an einer Peripherie ohne großes Aufsehen geprobt.

Jungen aus Berlin bei patriotisch-militärischen Übungen im Jahr des Kriegsausbruchs zeigt die Deutsche Bioscop (Lieb Vaterland, magst ruhig sein, 1914), eine andere Demonstration von Kriegsbereitschaft vermittelt der ästhetisch ehrgeizige Film L’Armée française en campagne (Pathé Frères, 1912); mehr als die üblichen Paraden und Übungen dreht die Kamera verschiedene Waffengattungen inklusive Luftstreitkräfte beim Manöver, ungewöhnlich dynamisch in rascher Schnittfolge und nahen Einstellungen – das totale Gegenstück zum statischen Stellungskampf, in dem der Krieg bis 1916 an vielen Fronten zum Stillstand kommen sollte.

Wahrnehmungswaffe, Propagandainstrument

Am 22. August 1914 kam ein vor dem Krieg produzierter Film in die amerikanischen Kinos – The Last Volunteer (Oscar C. Apfel) von der Pathéscope Company of America –, in dem der Horror einer noch unvorstellbaren, aber nahen Zukunft vorweggenommen scheint. Ein Europa phantasierter Feudalreiche gerät über Spionage, Verschwörung und eine Liebesgeschichte in einen unvermeidlichen Krieg: „Ein Angriff der austranischen Kavallerie scheitert an der Unwegsamkeit des Terrains. Schließlich startet ein Doppeldecker, Bomben kommen zum Einsatz. Die Kamera zeigt in halbnahen Einstellungen, wie der Kopilot die todbringenden Waffen in beide Hände nimmt, mit bloßem Auge das Ziel am Boden anvisiert und nacheinander drei Bomben fallen lässt. Die austranischen Artilleriestellungen sind zerstört, Rauch verhüllt die Sterbenden, die Armee von Saxe-Thoburg kann jetzt die feindlichen Linien überrennen. Der Sieg ist perfekt.“ (Klaus Kreimeier, „Traum und Exzess. Die Kulturgeschichte des frühen Kinos“, 2011). Eine erstaunliche Prophetie, die deutlich macht, dass die Ikonografie des „Großen Krieges“ im Kopfkino der Epoche bereits angelegt war, und nicht allein im „Futuristischen Manifest“ oder dem Angriffsplan Von Schlieffens für die deutschen Streitkräfte. Fotografische Aufnahmeapparate im Krieg werden zunächst als Wahrnehmungswaffe für die Aufklärung in Dienst genommen, zum Beispiel Oskar Messters Maschinengewehr-Kamera, welche die Trefferwirkung der eigenen Schützen dokumentiert, und die fotografischen Reihenbildner, mit denen man große Geländeabschnitte maßstabgerecht aus großer Höhe abbilden konnte. In zweiter Linie kommt ihre Funktion als nützliches Bildpropagandainstrument zum Zuge.

Für das erste Kriegsjahr beklagten Kritiker noch den „feldgrauen Filmkitsch“ (Oskar Kalbus, 1935), der herkömmliche Genremuster mit Verweisen auf die Kriegswirklichkeit ergänzte. Obwohl das Massenpublikum im Kino Entspannung suchte, blieb die Nachfrage nach Aktualitäten bestehen, durchsichtige Ablenkungen und Faked-war-Darstellungen verlieren in der Gunst der Kinobesucher. Im Kriegszustand hatten die Militärs Befehlsgewalt gegenüber den Medien – im Deutschen Reich die Oberste Heeresleitung (OHL), in Österreich-Ungarn das Kriegspressequartier (KPQ) beim k.u.k. Armeeoberkommando, das mit der Einrichtung eines Netzes von „Feldkinos“ die „geistige Mobilmachung“ betrieb. Man war um Erziehung der „Heimatfront“ bemüht, aktuelle Frontereignisse mit ihren Opfern sowie Bilddokumente moderner Kriegstechnologien blieben Tabu. Bilder vom Schlachtfeld, so stellte die Zeitschrift „Kinematograph“ bereits zu Anfang des Krieges fest, ließen kaum etwas erkennen. Das „Theatre of War“ wirkte wie ein ausgestorbener Landstrich. „Die Prophezeiung des Generalfeldmarschalls Alfred von Schlieffen von 1909, das Schlachtfeld werde von enormer Größe, der Krieg aber unsichtbar sein, hat sich erfüllt.“ (Kreimeier) Insofern stellt der Weltkrieg, zu dessen Militarisierung der Wahrnehmung die Kinematografie beitrug, eine frühe Probe dessen, was rückblickend, und nach wie vor gültig, als „Krise der Repräsentation“ (Bernd Hüppauf, 1993) definiert wurde.

Im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts EFG („European Film Gateway“) 1914, das Ende Februar 2014 abgeschlossen wurde, wurden etwa 650 Stunden Filmmaterial aus 21 europäischen Archiven und Kinematheken, darunter das Imperial War Museum und die Deutsche Kinemathek Berlin, digitalisiert und über das Internet verfügbar gemacht; der thematische Schwerpunkt liegt dabei auf Filmen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und Spielfilmen über den Krieg.
Jüngste DVD-Editionen zum Thema
– Erster Weltkrieg Archivedition (14 Teile). Teil 1: Das alte Europa am Vorabend seines Untergangs. Hg.: Deutsches Filminstitut, Frankfurt/M., Kuration und Redaktion: Felix Schürmann (erscheint am 28. Juli 2014).
– Die Schlacht an der Somme. Restaurierte Fassung, herausgegeben vom Imperial War Museum, London. 75 Min. + 59 Min. Extras; Absolut Medien

– Thomas Ballhausen/Günter Kaindlstorfer/Ernst Kieninger/Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/Nikolaus Wostry (Hg.): Krieg der Bilder. Filmdokumente zur Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg. Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2014  (3 DVDs, 299 Min.)

– Heinz Bütler (nzz.tv)/ Alexander Kluge (dctp.tv): Bilderwelten vom großen Krieg 1914.1918. Aus der Schweiz / Von den Fronten / Aus dem Herzen. dctp/nzz 2014 (90 Min.; (Uraufführung: 3. Juli 2014, Berlin: Deutsches Historisches Museum Berlin)
– Heinz Bütler (nzz.tv)/ Alexander Kluge (dctp.tv): Der Erste Weltkrieg. Kunst und Krieg (DVD 1+2, 344 Min.), Die Abwesenheit von Kriegskunst (DVD 3+4, 350 Min.). (4 DVDs, ca. 700 Min., 100-seitiges Begleitheft), dctp/nzz 2010