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Risse im Beton

| Reinhard Bradatsch |

Gefangen in der Welt des Stärkeren: Umut Dag gelingt ein fesselndes Sozialdrama

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Es ist ein Wien abseits von Sisi-Klischee und Sachertorte. Ja, selbst Mundl Sackbauers verbautes Grätzl wirkt noch irgendwie heimelig gegen jene Winkel der Stadt, in die uns Regisseur Umut Dag (First Steps Award 2011 für den Kurzfilm Papa) in seinem Film Risse im Beton geradezu stößt. Das von Petra Ladinigg verfasste Drehbuch erzählt, oberflächlich betrachtet, die Geschichte einer schmerzvollen Vater-Sohn-Beziehung. Doch genauso viel Gewicht wie dem Plot misst der kurdischstämmige Filmemacher Ort und Milieu des Geschehens bei: ein grauer Mikrokosmos, ein brodelnder sozialer Kochtopf, in dem Teenager tagtäglich ums Überleben kämpfen. Im Mittelpunkt stehen Kinder von Einwanderern, die – mehr oder weniger unbehütet – ihren Platz finden müssen zwischen Gewalt und Drogen. Die Form der Sprache bestimmt die Handlungsweise der Menschen: In kurzen, stakkatoartigen Sätzen geht es um die ständige Provokation des Gegenübers, um einen Stellungskrieg, der nur Verlierer produziert. Konsequenterweise agieren fast ausschließlich Laiendarsteller als „Kids“ von der Straße.

In diese Welt wird Ertan (Murathan Muslu, der schon in Dags Kuma überzeugte) nach einem zehnjährigen Gefängnisaufenthalt hinausgespült. Als Jugendlicher wurde er wegen Totschlags verurteilt, jetzt ist er auf Bewährung „draußen“. Am liebsten möchte Ertan das Geschehene verdrängen und vergessen. Doch die gewonnene Freiheit entpuppt sich bald als Sackgasse. In kalten, neonfarbenen Bildern sehen wir ihn durch ein nicht enden wollendes Beton-Labyrinth laufen – gleichsam der visualisierte Versuch, seine eigene Vergangenheit abzuschütteln. Und selbst wenn sich Ertan geändert hat: Sein Umfeld hat es nicht. Da ist noch der 15-jährige Mikail, den Umut Dag als Spiegelbild Ertans inszeniert. Er steht knapp davor, die gleichen Fehler zu begehen: Mikail dealt mit Tabletten und wird vom lokalen Mafia-Boss bedroht – erst viel später wird er erfahren, dass er Ertans Sohn ist.

Dags Milieuschilderungen erinnern nicht zufällig an die Werke von Spike Lee und Ken Loach. Auch diese siedeln ihre Filme in einem Umfeld von gesellschaftlichen Außenseitern an, die diesem – trotz vehementer Anstrengungen – nicht entkommen können. In Risse im Beton agiert eine brutale Männerkaste, die sich in fortwährenden Rangkämpfen langsam selbst zermalmt. Vor allem sind es Dags realistische, klare Bilder, die den Film von anderen heimischen Arbeiten in einem ähnlichen Umfeld abheben. Und nicht zuletzt der immer aufkommende Optimismus. Denn am Ende werden sich Vater und Sohn so nahe wie nie zuvor sein.