Im Keller

| Roman Scheiber |

Ulrich Seidl, Österreichs großer Szenenbildner des Verdrängten, stößt wieder einmal unnachahmlich in die intimen Katakomben seiner Mitbürgerseelen vor.

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Härter, tiefer und lustiger als je zuvor“ nennt der „Falter“ den neuen Film von Ulrich Seidl. Mitnichten: Der „tiefste“ Seidl bleibt Tierische Liebe (1995), in dem zärtlichkeitshungrige Menschen mit ihren Haustieren sämtliche Schamgrenzen überschreiten. Der „härteste“ ist der neue auch nicht, Seidls stärker narrativ strukturierte Werke wie Hundstage (2000), Import Export (2007) oder Paradies: Liebe (2012) attackieren die Psyche des Publikums an Stellen weit brutaler. Was Seidl mit Im Keller allerdings eindrucksvoll beweist, ist, dass er auch nach 35 Jahren Filmarbeit das weite hiesige Land der beschädigten Seele noch nicht annähernd flächendeckend beackert hat. Und vielleicht ist diese Rückkehr zum eher Dokumentarischen tatsächlich der bislang gewitzteste Film des großen Regisseurs, der – immer noch bevorzugt in frontalen Tafelbildern arrangiert – die Verschrobenen und Marginalisierten, die Deformierten und Verhaltensoriginellen in den Mittelpunkt stellt.

Die meisten genießen die ehrliche Aufmerksamkeit, die Seidl ihnen im Austausch für ein paar aussagekräftige Szenen aus ihrer Lebenswirklichkeit entgegenbringt. Hier sind es u.a. ein verhinderter Arienschmetterer, der sich am liebsten in seinem Schießkeller aufhält; eine üppige Sexarbeiterin, der als Verkäuferin zu fad war; ihr entzückend von der Lust der Damen auf seinen „starken Samenstrahl“ berichtender Kollege; ein etwas zu ausführlich ins Bild gerücktes Ehepaar, das sich nicht nur im Keller seines Hauses dem expliziten Unterwerfungs-Rollenspielmodus verschreibt; ein Trophäenfetischist, bei dem einem der Witz in den Sinn kommt: „Treffen sich zwei Jäger. Beide tot.“

Immer schon schlafwandlerisch zwischen grotesk rituellem Drama und tragischem Lustspiel unterwegs, erreicht Seidl mit Im Keller einen neuen Fusionsgrad von Ernst und Ironie. Da hängt die hantige Herrin ihren „Ehesklaven“ per Flaschenzug an den Hoden auf und kann dabei selbst das Schmunzeln kaum unterdrücken. Da sehen wir aber auch eine gefesselte nackte Frau, die mit ihrer Missbrauchsgeschichte bewegt. Es wäre ja nicht Seidl, würde er uns im Souterrain nicht die Hölle malen: Witzfiguren wie unterirdische Führer-Verehrer haben ihm mediale Beachtung programmiert – dabei könnte einen das symbolkräftige Bild einer einsamen Frau, die im Keller täuschend echt wirkende Baby-Puppen in Schachteln aufhebt und täglich streichelt, mehr irritieren als das Hitler-Gemälde eines hohlen Saufkopfs. Im Keller wird nicht nur gehobelt, geschwitzt, gesoffen und gezüchtigt. Im Keller wurde auch schon kriminelle Kontrollenergie an Kindern ausgelebt.