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Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

Filmkritik

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

| Oliver Stangl |

Wir sind alle arme Teufel.

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Roy Andersson gehört zu jenen Filmemachern, deren Filme man auf den ersten Blick erkennt: Statische Tableaus, die Verweigerung einer konventionellen Handlungsstruktur, stark geschminkte und in ihren Bewegungen bewusst langsam agierende Schauspieler, das alles garniert mit einem düsteren, gelegentlich schwarzhumorigen Blick auf die Conditio humana. Ja, Andersson hätte sich zweifelsohne gut als Regisseur der österreichischen TV-Serie Tohuwabohu gemacht. Sein neuer Film, Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach im Original En duva satt på en gren och funderade på tillvaron, ist der Abschluss einer „Trilogie über das Menschsein“ die der Auteur 2000 mit Songs from the Second Floor (Jury-Preis in Cannes) begann und der er 2007 mit Das jüngste Gewitter einen Mittelteil hinzufügte.

Die Handlung des heuer in Venedig mit dem Goldenen Löwen prämierten Werks könnte man am ehesten am Vertreterduo Jonathan und Sam festmachen, das sich damit abmüht, in Göteborg Vampirzähne, Lachsäcke und Plastikmasken an den Mann zu bringen. Doch die Kundschaft ist rar und die Gläubiger lästig, die materielle Not wird zur Härteprobe für die Freundschaft des Duos, das in einem Hybrid aus sozialem Wohnbau und Anstalt haust. Aber auch den anderen, sporadisch auftretenden Figuren geht es nicht besser: So ist eine Flamenco-Lehrerin unglücklich in einen Eleven verliebt, und ein Leutnant wird versetzt. Andersson kreiert One-Take-Vignetten, die sich um zwischenmenschliche Grausamkeiten, enttäuschte Liebe und Machtausübung drehen – manchmal sorgen sie beim Betrachter für grimmiges Lächeln (wenn sich eine Wirtin den Schnaps von einer Gruppe Matrosen mit Küssen bezahlen lässt), manchmal für Beklemmung (wenn in einer Traumsequenz britische Kolonialsoldaten afrikanische Gefangene in eine heiße Kupferorgel zwingen und sich die Wehklagen in Musik verwandeln).

In jedem Fall ein ästhetischer Genuss sind die von Gemälden inspirierten Sets (bereits der Titel bezieht sich auf Bruegels „Jäger im Schnee“), deren Raumtiefe Andersson meisterlich zu nutzen weiß und die in ihrem Retrolook und ihrer Tristesse eine gewisse Seelenverwandtschaft mit Kaurismäki verraten. Ein Höhepunkt ist dabei eine visionäre, die Zeitebenen vermischende Sequenz, in der König Karl XII. (1697–1718) mit Gefolge in eine Kneipe einreitet, die Frauen verscheuchen lässt und einem jungen Kellner Avancen macht. Im Hintergrund marschiert eine scheinbar endlose Reihe von Soldaten dem desaströsen Russlandfeldzug entgegen. Die grausame Realität, hier ist sie zur Kenntlichkeit entstellt.