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American Sniper

Cowboy im Wilden Osten

| Ralph Umard |
Clint Eastwood hat mit „American Sniper“ die nicht unproblematische Geschichte eines legendären Scharfschützen verfilmt.

In Clint Eastwoods Unforgiven (1992) werden berühmte Revolverhelden als gemeine Killer dargestellt, ihre „Arbeit“ mit der Waffe hat nichts Glorioses, vielmehr gleicht sie einer widerlichen Schlachterei. In Flags Of Our Fathers (2006) setzte sich Eastwood kritisch mit der pompös inszenierten Kriegsheldenverehrung und der sozialen Not von Veteranen auseinander; Letters From Iwo Jima (2006) zeigt den Wahnsinn des Kriegsgeschehens aus dem Blickwinkel des japanischen Feindes. Was veranlasste Eastwood nun, im hohen Alter – er wird am 31. Mai 85 – noch einmal die Strapazen eines Kriegsfilmdrehs auf sich zu nehmen, um dem „erfolgreichsten“ Scharfschützen der US-Militärgeschichte ein filmisches Denkmal zu setzen? Rund 160 Menschen hat der Texaner Chris Kyle als Heckenschütze im Irak erschossen, was ihn in den Augen mancher Patrioten zum Helden macht, während Kriegsgegner in ihm eher einen staatlich legitimierten Serienkiller im Dienste US-amerikanischer Wirtschafts- und Machtinteressen sehen.

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Ein Experte
Ihm sei es um die Darstellung von Kyles Taten auf dem Kriegsschauplatz in Verbindung mit persönlichen, menschlichen Aspekten des Lebens gegangen, erklärt Eastwood im Pressetext zum Film. „The toll war takes on a person, but also the pressure it puts on the whole family.“ Eastwood heroisiert nicht, wie es beispielsweise Peter Bergs Lone Survivor (2013) macht, in dem sich vier US-Elitesoldaten beim Geheimeinsatz in Afghanistan durch männliche Härte, eisernen Willen und kameradschaftliche Treue auszeichnen. American Sniper verbindet packend inszenierte, realistisch wirkende Szenen vom Häuserkampf im Irakkrieg mit einer herausragenden, überaus virilen Charakterdarstellung des Protagonisten durch Bradley Cooper – ein krasser Kontrast zu seiner komischen Rolle als FBI-Agent mit Minipli-Frisur in American Hustle. Chris Kyles Kriegskameraden hingegen werden nicht näher charakterisiert. Sein Antagonist, ein Heckenschütze aus Syrien, erscheint wie ein Phantom und spricht im ganzen Film kein Wort. Abgesehen von einem barbarischen, „Der Schlächter“ genannten Terroristen, bleiben die feindlichen Kämpfer anonym. Über Hintergründe und Ziele des Krieges erfährt man nichts.

In der prägnanten Eröffnungssequenz des Films nimmt Kyle beim ersten Kampfeinsatz eine Frau mit einer Handgranate und einen Knaben ins Visier. Ein harter Schnitt führt zurück in seine Kindheit, seine soziale Prägung unter einem despotischen Vater wird kurz skizziert, sein Naturtalent als Schütze angedeutet. Er verdingt sich zunächst als Rodeo-Reiter, absolviert eine Ausbildung zum Scharfschützen bei den US-Navy-SEALS, wird Berufssoldat, lernt seine zukünftige Frau Taya kennen und fliegt 2006 erstmals in den Irak. Drei weitere Einsätze werden folgen. Die Treffsicherheit mit  Präzisionsgewehren bringen Kyle unter Kameraden den Spitznamen „Legend“ ein, von den Irakern wird er als „Teufel von Ramadi“ geschmäht.

Die Außenaufnahmen fanden zum großen Teil in Marokko statt. Die desaströse Schlacht um einen Gebäudekomplex, wo Kyle und seine Truppe von Rebellen eingekesselt werden, wurde im Wüstenort El Centro in Südkalifornien gefilmt. Eastwood drehte wieder hoch effizient mit altbewährter Filmcrew: Cutter Joel Cox arbeitet seit fast 40 Jahren für ihn, Tom Stern ist seit Bloodwork Chefkameramann, Production Designer James J. Murakami war schon bei Unforgiven als Set-Designer im Team. Großen Wert legte Eastwood auf eine authentische Darstellung der Kampfhandlungen, ohne dabei wie Regisseur Luis Llosa beim Film Sniper (1992) zu sehr auf die Techniken der Waffenlogistik zu fokussieren. Kyles einstiger Kriegskamerad Kevin Lacz, selbst ein Scharfschütze, wirkte als technischer Berater und auch vor der Kamera in einer Nebenrolle mit. Drehbuchautor Jason Hall stand in engem Kontakt mit Chris Kyles Familie und verarbeitete Kyles mit Scott McEwen und Jim DeFelice verfasste Autobiografie – ein Bestseller in den USA – für das Skript.

Was verrät uns das Kinoporträt über den Menschen Chris Kyle (der, bittere Ironie des Schicksals, den Kriegseinsatz überlebte, und am 2. Februar 2013 in der Heimat von einem anderen Veteranen erschossen wurde)? Eine intellektuell eher einfach strukturierte Persönlichkeit, schon als Kind vom Vater auf Disziplin, Gehorsam und Härte geeicht. Einerseits ein treu liebender Ehemann und Familienvater, andererseits ein kaltblütiger Killer, der vorzugsweise auf Hausdächern bis zu acht Stunden im Hinterhalt lauerte und ohne zu zucken Männer, Frauen und Kinder tötete, wenn er sie als Gefahr für die in den Straßen patrouillierenden US-Truppen ansah. Er war ein glühender Patriot, von extremem Pflichgefühl beseelt, stolz auf sein Land, auf sein besonderes Talent und seine Professionalität. Die Zerstörung des World Trade Centers wurde auch für ihn zu einem motivierenden Schlüsselerlebnis. Er tötete offenkundig reinen Gewissens, im Bewusstsein, damit das Leben von Landsleuten zu schützen. Unbewusst mag er seelisch durchaus anders gestimmt gewesen sein. Die Gegner betrachtete er, wie es im Film heißt, als „savages“, also Wilde. Da fällt das Töten, zumal aus der Distanz von bisweilen weit über einem Kilometer, leichter. In jungen Jahren betrachtete Kyle sich gern als Cowboy. Ein Typ wie er hätte im Wilden Westen Karriere als Indianerjäger in der US-Kavallerie machen können.

Eastwood präsentiert Chris Kyle, der trotz seiner mörderischen Tätigkeit im Grunde des Herzens kein schlechter, nur ein fehlgeleiteter Kerl zu sein scheint, mit offenkundiger Sympathie, hütet sich jedoch, sein Tun moralisch zu rechtfertigen. Er verzichtet auch völlig darauf, die zeitgeschichtlichen Umstände zu erhellen und enthält sich der Kritik am Vorgehen des Militärs oder an Missständen im Dienstalltag, wie sie in Jarhead dargestellt werden (der ebenfalls auf der Autobiografie eines Irakkriegs-Veteranen basiert). Aber wenn Kyle mitten im Schlachtgetümmel per Satellitentelefon mit seiner Frau daheim flirtet, kann das als Sinnbild für die Absurdität des Krieges angesehen werden; und es werden verstümmelte Kriegsheimkehrer gezeigt. Eastwood hat in seinen Filmen immer wieder deutlich gemacht, dass es keine klare Trennung zwischen Gut und Böse gibt. Im sozialkritischen Roadmovie-Drama A Perfect World (1993) propagierte er Gewaltverzicht und zeigte, dass der Gebrauch von Schusswaffen zur Problemlösung nicht taugt und den Menschen nur unnötig Leid und Tod bringt. Er demontierte auf subtile Weise den Mythos von einer heilen Welt in der „guten alten Zeit“, als Präsident Kennedy regierte, bevor er durch eine Kugel aus dem Hinterhalt starb.

Chris Kyle überlebte den Krieg körperlich unversehrt, aber mit psychischen Wunden, wie eine Filmszene eindrücklich zeigt: Wenn er nach Beendigung seiner Dienstzeit regungslos daheim vor dem ausgeschalteteten Fernsehschirm sitzt, sind aus dem Off Schüsse und Explosionen zu hören: In Kyles Innerem tobt der Krieg noch weiter.