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Amy - Asif Kapadia:

Interview | Amy

Lost Soul

| Pamela Jahn |

Asif Kapadia im Gespräch über sein intimes Künstlerportrait Amy, ungeklärte Schuldfragen, verblüffende Offenbarungen und  die Faszination, die die Retro-Soul-Diva auch über ihren Tod hinaus ausstrahlt.

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Herr Kapadia, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie zum ersten Mal einen Song von Amy Winehouse gehört haben?
Asif Kapadia: Ganz ehrlich? Nein, tue ich nicht. Ich vermute mal, es war „Stronger than me“ von ihrem Debütalbum, Frank, aber beschwören kann ich das nicht. Ich hatte die Platte von irgendjemandem geschenkt bekommen und den Song fand ich großartig. Dabei war es kein Hit, zumindest nicht so wie „Back to Black“, aber ich mochte die leicht verschrobene Art, die ihr ganzes erstes Album auszeichnet. „Back to Black“ ist genial, aber man merkt auch, dass da viel Produktion dahintersteckt. Was mich hingegen immer am meisten fasziniert hat, war, einfach ihre Stimme und Gitarre zu hören, ohne viel Drumherum. Aber wie gesagt, ich muss gestehen, dass ich beide Alben eigentlich erst so richtig und in ihrer ganzen Brillanz wahrgenommen habe, als feststand, dass wir den Film machen würden.

Was war dann der Anreiz für Sie, nach Ihrem großen Erfolg mit Senna nun ausgerechnet einen Film über Amy Winehouse zu machen?
Asif Kapadia: Ich wollte auf keinen Fall noch einen Sportfilm nachlegen, wobei das relativ einfach gewesen wäre. Nach Senna bekam ich unzählige Anfragen von Sportlern, die alle wollten, dass ich einen Film über sie mache. Aber das wollte ich nicht, das Thema Sport war für mich abgehakt, gerade weil Senna eine so tolle und außergewöhnliche Erfahrung für mich war – wer hätte das toppen sollen? Eines Tages meldete sich dann mein Produzent James Gay-Rees und meinte, dass Universal Music sich bei ihm gemeldet habe und ob ich nicht einen Film über Amy Winehouse machen wolle. Ich muss an der Stelle vielleicht dazu sagen, dass ich ein geborener Londoner bin. Mehr noch, ich bin sogar in der gleichen Gegend wie Amy aufgewachsen, und irgendwie hat das in mir etwas ausgelöst. Senna war für mich wie von einem anderen Stern, aber Amy; Amy war das Mädchen von nebenan. Theoretisch hätten wir zusammen zur Schule gehen oder uns später in Camden im Pub über den Weg laufen können. Was ich damit sagen will, ist, dass sich Amys Geschichte in unmittelbarer Nähe zu mir abgespielt hat, aber wenn wir und nicht persönlich kannten.

Wie haben Sie seinen Tod aufgenommen?
Asif Kapadia: Wirklich schockiert war ich nicht. Ihr Tod schien eher eine logische Konsequenz zu sein, so brutal wie das jetzt klingt. Und ich weiß noch, dass ich damals schon dachte: Wie schrecklich, dass jetzt alle sagen, na ja, wahrscheinlich war es besser für sie. Wie kann man so etwas über einen Menschen sagen, der mit 27 Jahren aus dem Leben geht? Und auch das ist letztlich ein Grund dafür, warum ich den Film machen wollte. Einerseits, weil ich mich dem London, von dem Amy ein Teil war, sehr verbunden fühle, und andererseits, um zu zeigen, welche Rolle die Medien und die Öffentlichkeit in dem Ganzen spielten, viel mehr noch als bei Senna. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Senna so ein cooler Macho-Typ war, ein Rennfahrer mit südländischem Blut in den Adern, nicht so leicht angreifbar wie das Mädchen, das zu schnell zu berühmt geworden war und die mit dem Erfolg, den sie hatte, nicht umgehen konnte.

In welcher Hinsicht hat der Film Ihre Wahrnehmung von Amy
Winehouse geändert?

Asif Kapadia: In zweierlei Hinsicht sogar. Zunächst einmal war mir nicht bewusst, dass sie alle ihre Songs selbst geschrieben hat beziehungsweise wie persönlich ihre Songtexte waren. In dem Moment, wo man genau hinhört, macht das alles Sinn. Die Antworten lagen auf der Hand, ich hab nur am Anfang nicht richtig hingehört. Daher kam auch die Idee, ihre Songtexte im Film auf der Leinwand sichtbar zu machen, weil man sonst zu sehr abgelenkt ist von der Musik. Wenn man die Texte liest, versteht man schnell, worum es geht. Und sie hatte großes Talent, Lieder zu schreiben. Das erste Album schrieb sie mit 16, beim zweiten war sie kaum 22 Jahre alt. Danach kam nichts mehr, das war‘s. Was mich aber fast noch mehr überrascht hat, war, wie witzig Amy Winehouse von Natur aus war, und wie klug und aufgeweckt und unbeschwert sie sein konnte. Als ich ein paar Freunden eine Rohfassung des Films zeigte, schossen den Frauen im Publikum gleich nach den ersten zwei Minuten die Tränen in die Augen, weil sie Amy nie so ausgelassen und fröhlich gesehen hatten. Und da wurde mir erst bewusst, wie wichtig das Material ist, das am Anfang steht. Das Ende ist bekannt, da weiß man, wie’s ausgeht. Der Anfang hingegen ist die Offenbarung: Wenn sie „Happy Birthday“ singt, einfach so, und Spaß daran hat. In dem Moment wirkt sie total normal und gleichzeitig hat sie diese Wahnsinnsstimme, wenn sie singt. Unglaublich. Als ich dieses Footage von ihr als Teenager zum ersten Mal sah, wusste ich, dass wir einen Film haben.

In Ihrem Film kommen sehr viele Menschen zu Wort, die Amy in den verschiedenen Phasen ihres Lebens mehr oder weniger Nahe standen. Wie sind Sie an die Leute herangetreten? Wie offen war man Ihnen gegenüber zu Beginn?
Asif Kapadia: In den meisten Fällen lief es so, dass wir die Leute aus Amys näherem Umfeld zunächst einmal kontaktierten und um ein kurzes Gespräch baten – fünf Minuten, mehr nicht. Daraus würde sich eventuell ein kurzes Telefonat ergeben oder ein Treffen auf einen Kaffee. Manche von ihnen hatten Senna gesehen, was die Sache etwas einfacher machte. Bei anderen dauerte es Monate, bis sie bereit waren, mir zu vertrauen, und nicht jedes Treffen wieder absagten. Als es darum ging, die Gespräche aufzuzeichnen, habe ich versucht, eine Situation zu schaffen, die sie alles um sie herum vergessen ließ. Nur die Person und ich in einem kleinen Tonstudio in Soho. Ein Mikrofon auf dem Tisch, das Licht gedämpft oder ganz aus. der Mixer saß im Nebenzimmer. Und so haben wir uns dann unterhalten, eine Stunde, zwei Stunden, manchmal bis an die fünf Stunden am Stück, und nicht wenige von Ihnen wollten sogar wiederkommen, weil sie das Gefühl hatten, nicht alles gesagt zu haben. Oder sie gaben mir Tipps, mit wem ich unbedingt noch sprechen sollte. Und allmählich wurde mich bewusst, dass ein nicht unwesentlicher Teil von Amys Freunden eine Art Pakt geschlossen hatte, weil unmittelbar nach ihren Tod so viel Unsinn verbreitet wurde und einige Menschen damit sehr viel Geld verdient hatten. Und es gab wie gesagt eine Gruppe von Freunden, die sich geschworen hatte, das niemals zu tun – und plötzlich komme ich daher und stelle unangenehme Fragen.

Wer hat sich Ihnen als Erster anvertraut?
Asif Kapadia: Das war Nick Shymansky, ihr erster Manager. Und der einzige Grund, warum er das Schweigen brach, war, dass er vor ein paar Jahren mit seiner Freundin zusammen Senna gesehen hatte und damals zu ihr meinte: „Wäre es nicht großartig, wenn irgendwann einmal einer so einen tollen Film über Amy drehen würde!“ Er erzählte mir die Geschichte während unseres ersten Telefonats und sagte am Ende zu mir: „Verstehen sie mich nicht falsch, ich glaube immer noch, dass es zu früh ist, um über Amy zu reden. Das alles tut noch zu sehr weh. Aber weil ich das damals zu meiner Freundin gesagt habe, werde ich mich mit ihnen treffen.“

Die Frage nach der Schuld am Tod von Amy Winehouse steht im Film zu jeder Zeit im Raum. Im Grunde fühlen sich fast alle Ihre Gesprächspartner auf gewisse Weise mitverantwortlich oder sie sollten es zumindest tun …
Asif Kapadia: Genau das war meiner Meinung nach für die meisten auch der Grund, überhaupt mitzuwirken. Für viele waren unsere Gespräche wie Therapie, eine Art kathartische Erfahrung, denn jeder Einzelne von ihnen hatte etwas, das er oder sie sich von der Seele reden wollten, aber all diese Gefühle von Trauer, Wut oder Angst mussten erst einmal beiseite geschoben werden. Und viele tragen bis heute eine gewisse Wut und Schuld im Bauch mit sich herum. Aber auch das Publikum ist nicht unschuldig. Wir alle haben schließlich Amys Schicksal in den Medien verfolgt, ihre Fehltritte und Konzertblamagen auf Facebook und YouTube verbreitet und damit immer wieder neues Feuer in die Wunde gegossen. Von daher war es durchaus beabsichtigt, dass das Thema der Verantwortung im Film spürbar ist und wir ein Gefühl dafür vermitteln, dass alle irgendwie involviert sind. Dabei muss es noch nicht einmal nur um Amy gehen. Wir haben schließlich alle dummes Zeug gemacht, als wir jung waren, allerdings hat man uns dafür nicht gleich an den Pranger gestellt beziehungsweise Videos im Internet verbreitet.

Wie stehen Sie zu der Kritik von Seiten der Familie Winehouse, allen voran ihr Vater Mitch, der Ihnen unter anderem Irreführung und Verfälschung der Tatsachen vorwirft?
Asif Kapadia: Der Schlüssel dazu liegt eigentlich schon im Titel des Films. Mir ging es um Amy – und nur um sie. Ich wollte ihre Geschichte erzählen und die Aufmerksamkeit wieder zurück auf sie lenken. Denn nicht erst mit ihrem Tod hatten zahlreiche Menschen um sie herum die Gelegenheit genutzt, sich über Amys Prominenz selbst ins Rampenlicht zu drängen. Das war schon zu ihren Lebzeiten so, und man merkt in vielen der privaten Aufnahmen, wie schwer es für sie gewesen sein muss, einfach nur Amy Winehouse zu sein. Alle wollten was anderes von ihr, alle zerrten sie in die unterschiedlichsten Richtungen. Und vielen ging es dabei in erster Linie um sich selbst, nicht um Amys Wohlergehen.

Enttäuscht Sie das, dass nicht alle Beteiligten am Ende auch zufrieden sind mit dem Ergebnis?
Asif Kapadia: Nein, gar nicht. Wir wussten ja schon ziemlich genau, worauf wir uns da einlassen. Und ich hatte immer das Gefühl, dass ich es Amy schuldig bin, so wie auch ihren Freunden und Bekannten, die alle vorher nicht den Mut oder die Kraft hatten, darüber zu sprechen. Von den rund 100 Personen, mit denen ich letztlich gesprochen habe, hat niemand ein Interview abgebrochen oder sich über die Gesprächsrichtung beschwert. Alle haben danach die Interviews frei gegeben. Und auch alles andere, was ich zeige, habe ich mir ja nicht ausgedacht. Das ist Archivmaterial und war alles so im britischen Fernsehen zu sehen. Man kann mir also nicht vorwerfen, dass ich mir etwas ausgedacht habe oder spekulieren würde.

Haben Sie persönlich eine Lieblingsszene im Film?
Asif Kapadia: Ich finde es immer am schönsten, wenn sie direkt in die Kamera spricht, zum Beispiel, wenn sie uns in ihrem Ferienapartment auf Mallorca herumführt und verschiedene Stimmen imitiert. Als ich das zum ersten Mal sah, wusste ich, dass das unbedingt in den Film sollte, egal wie, ob es passt oder nicht.

Gegen Ende des Films gibt es eine wundervolle Sequenz mit Amy und Tony Bennet, als sie in den Abbey Studios gemeinsam einen Sog aufnehmen. Bennet war Amys großer Held, aber es scheint, dass auch sie einen ziemlichen Eindruck bei ihm hinterlassen hat.
Asif Kapadia: Ja, auf jeden Fall. Tony Bennet war der Größte für sie und dass sie mit ihm zusammen singen durfte, hat ihr unheimlich viel bedeutet. Das spürt man, wenn man sich die Aufnahmen von damals ansieht, wie sie in ihm die Vaterfigur findet, die sie immer gesucht zu haben scheint. Nach dem Treffen hat er sie noch einmal kontaktiert und meinte, er würde eine Platte mit ihr aufnehmen wollen. Er verstand Amy und ihre Probleme, ihm ging es in seiner Jugend nicht viel anders, auch er hatte Suchtprobleme und war irgendwann am absoluten Tiefpunkt angekommen, von dem er lange nicht wieder loskam. Rockmusik hatte seine Karriere zerstört und erst im Laufe der Arbeit am Film hat er sein großes Comeback gefeiert. Jetzt singt er Duette mit großen Popstars und hat ein Album mit Lady Gaga aufgenommen, dass er eigentlich mit Amy machen wollte. Nur hat sie das nicht mehr erleben dürfen und dafür fühlt auch Bennet sich in gewisser Weise mitverantwortlich, weil er es nicht geschafft hat, sie rechtzeitig aus ihrem Sumpf zu ziehen – aber er hat es zumindest versucht!