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Colonia Dignidad

| Jörg Schiffauer |

Chile 1973: Ein deutscher Fotograf gerät in die Fänge eines unfassbaren Systems. Plus: Ein Interview mit Emma Watson, die die weibliche Hauptrolle spielt.

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Daniel (Daniel Brühl), ein junger deutscher Fotograf, hat sich 1973 vorübergehend in Chile niedergelassen, engagiert sich dort in einer politisch aktiven Bewegung um Präsident Salvador Allende. Während eines Besuchs seiner Freundin Lena (Emma Watson), die als Stewardess bei der Lufthansa arbeitet, putscht jedoch das Militär gegen den Hoffnungsträger der Linken, und General Augusto Pinochet übernimmt die Macht. Wie viele Gegner des gewaltsamen Umsturzes werden auch die beiden verhaftet.
Lena wird zwar bald wieder freigelassen, doch ihr Freund bleibt verschwunden. Als sie erfährt, dass Daniel auf dem Areal einer streng abgeschotteten Sekte namens „Colonia Dignidad“ festgehalten wird, fasst sie einen riskanten Plan: Sie gibt vor, sich der Gemeinde anzuschließen, um so einen Weg zu finden, Daniel zu befreien. Was sich wie ein etwas verwegener Plot anhört, beruht jedoch auf kaum fassbaren Fakten. Paul Schäfer, ein evangelikaler Laienprediger aus Deutschland, gründete in den sechziger Jahren besagte „Kolonie der Würde“, eine fundamentalistisch-christliche Sekte, die er im Stil eines tyrannischen Alleinherrschers autoritär führte. Die Gruppe pflegte nicht nur enge Kontakte zu rechtsextremen Zirkeln, sondern unterstützte die Junta auch tatkräftig bei Folterung und Ermordung Oppositioneller.

Florian Gallenberger, der sich bereits mit John Rabe eines brisanten zeitgeschichtlichen Themas angenommen hatte, setzt Colonia Dignidad im Stil eines klassischen Politthrillers in Szene. Seine beiden Protagonisten sind zwar fiktive Figuren, doch sonst orientiert sich sein Film erschreckend präzise an realen Ereignissen. Seine Inszenierung macht deutlich, wie die Mechanismen aus psychischer Abhängigkeit, Gehirnwäsche und blanker Gewalt innerhalb einer solchen Gruppierung ein irrwitziges System von Befehl und Gehorsam etablieren konnte, das wie unter einem Brennglas auf das Funktionieren autoritärer Systeme verweist. Dass Gallenberger gegen Ende auf etwas reißerische Elemente setzt, um Spannungsbögen – allerdings mit höchster Effektivität – zu generieren, rückt zwar den Thriller ein wenig auf Kosten der politischen Dimension in den Vordergrund. Das mindert jedoch nicht jene wütende Empörung über unfassbare Zustände, von der Colonia Dignidad getragen wird und aus der der Film seine Intensität schöpft. Eine mehr als berechtigte Empörung, durfte sich „Colonia Dignidad“ doch nicht nur der schützenden Hand der Militärjunta sicher sein, sondern auch der Unterstützung durch hohe politische Kreise der Bundesrepublik Deutschland.

Die Aktivistin

Emma Watson ist die Frau von heute: klug, stets engagiert und ausgelassen zugleich. Ob als Schauspielerin, die ihr Leinwandpotenzial nach Harry Potter erkundet, oder als beherzte UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte, die 25-jährige Britin ist auf dem besten Weg, zu einem der spannendsten weiblichen Stars überhaupt zu werden.

Text und Interview – Pamela Jahn

Als Hermine in den Harry-Potter-Filmen ist Emma Watson nicht nur berühmt, sondern vor den Augen des Publikums auch erwachsen geworden. Danach drückte sie zunächst die Schulbank, absolvierte ein Literaturstudium an der Brown University in Rhode Island, und blieb trotzdem nie lange von der Leinwand fern. Nach Alejandro Amenábars Gruselthriller Regression im vergangen Herbst, kann man sie nun in Florian Gallenbergers Drama Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück erneut in Aktion erleben. Darin beeindruckt sie an der Seite von Daniel Brühl in der Rolle der jungen Stewardess Lena, die zu Zeiten des Militärputsches in Chile im Jahre 1973 gemeinsam mit ihrem politisch aktiven Fotografenfreund Daniel zwischen die Fronten gerät. Während sie dem Pinochet-Regime zunächst entkommt, wird er in eine mysteriöse Kolonie in der Einöde des Landes verschleppt und gefoltert. Dorthin folgt ihm Lena und muss schnell feststellen, dass sich hinter den Mauern des Areals in Wirklichkeit eine gefährliche Sekte verbirgt, aus deren Fängen sie sich selbst und Daniel zu befreien versucht.

Miss Watson, der Film scheint eine klare Ansage Ihrerseits zu sein, was Ihren Wunsch betrifft, nach Harry Potter nun anspruchsvollere Filme zu drehen. Filme für Erwachsene, wie Sie selbst sagen, die Sie auch aus dem Rom-Com-Terrain befreien.
Der Film ist definitiv kein Rom-Com-Terrain, das stimmt. Was nicht heißt, dass ich etwas gegen romantische Komödien habe. Aber der Film ist doch ziemlich düster. Was mich daran gereizt hat, war der Paradigmenwechsel: Mädchen rettet Junge, nicht umgekehrt, wie es sonst immer ist. Das ist mir bis jetzt noch nie angeboten worden. Außerdem wird darin ein Teil Historie beleuchtet, über den ich bisher wenig wusste, der mich aber schon immer sehr fasziniert hat. Florian Gallenberger hat fünf Jahre lang für den Film recherchiert, hat ehemalige Mitglieder der Kolonie getroffen, und man spürt, dass ihm die Geschichte sehr am Herzen liegt, was dem Ganzen eine gewisse Integrität verleiht – auch das war mir sehr wichtig. Ganz zu schweigen von Daniel Brühl, mit dem ich unheimlich gerne mal zusammenarbeiten wollte. Es war also eher ein Mix an guten Gründen, warum ich mich für den Film entschieden habe.

Denken Sie, dass unterbewusst jetzt ein neuer Druck auf Ihnen liegt, was die Wahl Ihrer Filmrollen angeht. Dass Sie als UN-Sonderbotschafterin vielleicht eher politisch engagierte Figuren spielen sollten?
Nein, ganz sicher nicht. Ich denke, die Leute sehen mich als Schauspielerin, und sie wissen ganz genau, wo da die Linie zu ziehen ist zwischen dem, was Realität ist und was nicht. Seit dem Ende von Harry Potter habe ich stets versucht, mein Repertoire zu erweitern und möglichst verschiedenartige Rollen zu spielen, und das versuche ich auch weiterhin.

Eleanor Roosevelt hat mal gesagt, dass man jeden Tag etwas tun sollte, wovor man Angst hat. Hatten Sie bei den Dreharbeiten zu Colonia auch manchmal Muffensausen?
Ich hatte schreckliche Angst. Nach Chile zu gehen und die Kolonie mit eigenen Augen zu sehen, die Leute zu treffen, die das durchlebt haben, und mich dann in die Lage dieser jungen Frau zu versetzen und dem Ganzen die Intensität zu verleihen, die ihrer Erfahrung gebührt, das alles hat mich ziemlich beunruhigt. Ich hab in den letzten sechs Monaten definitiv besser geschlafen, als vor und während der Dreharbeiten zu dem Film.

Eigentlich spielen Sie auch gar nicht gerne Figuren, die in irgendeiner Weise aufmüpfig sind oder wütend, stimmt das?
Ja, das stimmt.

Versuchen Sie sich auch in der Richtung jetzt mehr selbst herauszufordern, mit den Rollen, die Sie annehmen?
Ja, es ist interessant, dass Sie das ansprechen. Vielleicht liegt es daran, dass ich älter werde, oder es hat etwas mit meinem Interesse am Feminismus zu tun, aber es scheint, als hätte ich mir selbst die Erlaubnis dazu gegeben, jetzt eine ganze Bandbreite an Emotionen vor der Kamera ausleben zu dürfen, die ich mir vorher vielleicht nicht zugetraut hätte. Auch in meinem nächsten Film, The Circle, gibt es eine Szene, in der ich ziemlich in Rage gerate. Das ist ganz schön befreiend, jetzt auch diese Seite von mir zu zeigen.

Wann sind Sie privat das letzte Mal so richtig wütend geworden?
Gestern! Es war einfach einer dieser Tage, an denen nichts klappen wollte, wissen Sie? Erst habe ich mir das Knie gestoßen, dann den Kopf an der Zimmertür, wovon ich jetzt einen blauen Fleck habe. Manchmal ist es eben so, dass nichts kappen will. So ist das Leben.

Ihr Leben und Ihre Karriere waren viele Jahre von Harry Potter bestimmt. Ab wann hatten Sie das Gefühl, dass Sie tatsächlich selbst die Kontrolle darüber haben, welche Entscheidungen Sie in beruflicher Hinsicht treffen?
Perks of Being a Wallflower
, würde ich sagen. Das war der erste Film, bei dem ich gesagt habe: “Ich will das auf jeden Fall machen! Ich will Sam spielen, unbedingt.“ Ich hatte sehr schnell unheimlich viel investiert in den Film, und in die Rolle.

The Circle, in dem Sie an der Seite von Tom Hanks spielen, haben Sie bereits angesprochen. Daneben werden Sie demnächst auch in Beauty and the Beast zu sehen sein. Ist der Rückzug in die Märchenwelt eine Art Verschnaufpause für Sie?
Ich wünschte, wir Schauspieler hätten die Freiheit, das Ganze so taktisch und klug zu planen, wie Sie es sagen. Tatsache ist aber, dass man nimmt ,was man kriegt, je nachdem, was einem angeboten wird. Natürlich entscheidet man immer selbst, ob man das eine oder das andere machen will, aber ein Großteil der Karriere ist davon abhängig, was man zu einem bestimmten Zeitpunkt angeboten bekommt und ob es einem zusagt oder nicht. Ich bin längst nicht so weit, dass ich sagen könnte: „OK, jetzt mache ich einen politischen Film.“ Und dann liegt sofort das richtige Drehbuch parat. Das wäre schön, aber den Luxus habe ich nicht. Beauty and the Beastkam allerdings tatsächlich genau zur richtigen Zeit, denn nach Regression und Colonia hätte ich nicht noch einen Thriller drehen können. Ich sage das jetzt im Spaß, aber meine Nerven lagen total blank. Und Beauty schien mir das perfekte Gegenstück zu sein: Schamlos romantisch, optimistisch, voller Freude, Musik und tanzenden Teetassen. Kurzum: Perfekt! Genau das, was ich brauchte.

Und ganz nebenbei haben Sie gerade einen Buchklub gegründet.
Ja, das stimmt. Einen feministischen Buchklub.

Wie kam es dazu?
Na ja, einerseits lag es daran, dass ich so viel für meine Arbeit für die UN gelesen habe, und das auch weiterhin tue, und dass ich gerne mit jemandem darüber reden wollte. Nur leider haben die meisten Leute, die ich kenne, die Bücher nicht gelesen. Daraufhin habe ich meine Freunde belagert und ständig versucht, sie zu überreden, dieses oder jedes Buch zu lesen. Manchmal hat das ganz gut funktioniert und manchmal eben nicht. Und dann dachte ich: Warum gründe ich nicht einfach einen Buchklub, dann habe ich Tausende von Leuten, mit denen ich darüber diskutieren kann, welches Buch mich gerade beschäftigt. Ich lese leidenschaftlich gern, und das schien mir eine großartige Möglichkeit zu sein, die Arbeit, die ich bisher getan habe, auf eine ganz natürliche Art und Weise weiter auszubauen. Und es macht einfach unheimlich Spaß! Ich habe große Freude daran, anderer Leute Gedanken zu lesen, mich darüber auszutauschen, Bücher auszuwählen und die Autoren aufzuspüren, um ihnen Fragen zu stellen. Das ist so etwas wie meine kleine Mission. Das gefällt mir.

Wie sieht‘s mit Schreiben aus? Haben Sie schon mal dran gedacht, Ihre eigenen Gedanken zu Papier zu bringen?
Das wäre schön, nur leider fällt mir das Schreiben nicht so leicht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich ganz schön damit zu kämpfen. Ich habe große Angst davor. Aus irgendeinem mysteriösen Grund ging mir meine UN-Rede am Ende relativ einfach von der Hand. Allerdings habe ich auch eine halbe Ewigkeit darüber nachgedacht, was ich sagen sollte und hatte mir die Sätze schon lange zuvor im Kopf zurechtgelegt. Grundsätzlich fällt es mir leichter, denke ich, wenn ich Sachen aufschreibe, die ich spreche, im Gegensatz zu Sachen, die zum Lesen bestimmt sind. Vielleicht hat das wiederum etwas mit meiner Arbeit als Schauspielerin zu tun. Aber ich wünschte, ich wäre eine bessere Schreiberin. Ich wünschte, ich könnte Songs schreiben und sie dann singen, oder Drehbücher für Filme, in denen ich selbst spielen kann – das wäre ganz wunderbar. Aber im Moment beschränke ich mich darauf, mich über die Bücher anderer auszutauschen und Dinge aufzuschreiben, über die ich in der Öffentlichkeit reden kann. Mal sehen, wie sich das in Zukunft entwickelt.

 

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