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Österreich/Diagonale

Auf Leinwand gemalt

| Daniela Gregori |
Edgar Honetschläger hat mit großer Liebe zum Detail seinen neuen Film „Los Feliz“ gedreht, ungewöhnlich und exquisit, wie man es von ihm kennt. Das Filmarchiv Austria zeigt außerdem eine Retrospektive seiner filmischen Arbeiten.

Der Klerus muss sich ganz buchstäblich zur (Wolken-) Decke strecken, damit die Dinge in ihrem Sinn am Laufen bleiben. Da stehen sie nun, die drei Kardinäle in rot-weißem Ornat, übereinandergestapelt in freier Wildbahn, der Oberste hat Mühe, eine Kurbel in Bewegung zu setzen, die anderen ächzen unter der Last auf ihren Schultern. Angetrieben wird durch das katholische Terzett eine Apparatur, die eine bemalte Leinwand vorbeiziehen lässt. Dies geschieht in Leserichtung, von links nach rechts und passend zu dem Pkw, der vor der eigens konstruierten Maschinerie platziert ist. Mit der richtigen Kameraeinstellung wird nun der Eindruck erweckt, das Auto sei in Bewegung in Richtung Westen. Und eben Westen ist das Ziel eines anderen, nicht ganz so einheitlichen Dreigespanns innerhalb des Autos. Kaya, die japanische Shinto-Göttin, möchte die Liebe verstehen lernen, Lydia, die französische Museumswärterin, zieht es des Ruhmes wegen in die Ferne, und auf der Rückbank hat ein nicht ganz so einnehmender britischer Geselle – der Teufel – Platz genommen. Angeheuert von den drei Kardinälen, soll er sich gegen den Bedeutungsverlust der Bildkultur der westlichen Welt einsetzen.

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Los Feliz heißt das im Februar 2016 präsentierte Langzeitprojekt von Edgar Honetschläger, und wenngleich es sich in das Genre „Roadmovie“ einordnen lässt, muss man bei der medialen Umsetzung des Films weiter ausholen. Neben den filmüblichen Elementen wie Dialog, Drama, Musik oder Ton zieht Honetschläger diesmal ebenso Malerei, Zeichnung, Bildhauerei und Performance hinzu, eine experimentelle Geste, die der Haltung des gebürtigen Linzers, der seit gut zwei Jahrzehnten als Filmemacher wie als Künstler weltweit erfolgreich ist, durchaus entspricht. Derlei eindeutige Kategorisierungen spielen bei Honetschläger ebenso wenig eine Rolle wie Sesshaftigkeit. Gelebt hat er viele Jahre in Japan, den USA, in Italien, Brasilien, zwischendurch immer wieder in Wien. Eben dort in der Fremde, wo man versucht ist, möglichst viel von einer anderen Kultur zu erfahren, musste er erkennen, wie wenig er eigentlich von der eigenen wusste. Los Feliz umfasst all diese Themen der Unterschiedlichkeit der Kulturkreise und der Religionen, das Streben nach Ruhm oder die Suche nach der romantischen Liebe, die Gegensätzlichkeit von Gut und Böse oder die visuellen Phänomene von Zentralperspektive und 3D. Und schließlich geht es um die Macht der Bilder. „Wer die Bilder macht, hat die Macht“, ist die zentrale These, die Honetschläger im Zusammenhang mit dem Film formuliert. Als einzige der Weltreligionen hat sich das Christentum Bilder zur Verbreitung und Manifestation seiner Glaubensinhalte zunutze gemacht und damit Bildtraditionen geschaffen, die heute noch in vielen Bereichen bis hinein in die Alltags- und Trivialkultur ihre globale Gültigkeit besitzen. Diese bildhaften Inhalte zu lesen, funktioniert freilich längst unabhängig von kultureller Herkunft oder Glaubenszugehörigkeit, und womöglich ist es genau das, was visuelle Bildung in der westlichen Bildwelt heute ausmacht.

Rom, beziehungsweise eine Ruine in Lazio, ist der Ausgangspunkt der filmischen Reise, deren Ziel Los Feliz, ein wohlhabender Stadtteil von Los Angeles, ist. Der Vatikan, der als Auftraggeber über Jahrhunderte hinweg die Bildproduktion des Abendlandes bestimmte, wurde vor gut hundert Jahren von Hollywood abgelöst. Jene Bilder mochten sich nun bewegen, ikonisch sind sie geblieben.

Allein Anfang und Ende des Abenteuers sind an Originalschauplätzen gedreht. In Rom ist es die steinerne Herrlichkeit aus einer längst vergangenen Glanzzeit, außerhalb deren ruinenhafte Reste in einer prachtvollen Landschaft, in der die Protagonisten erst zusammenfinden. In Kalifornien hingegen scheint die Zeit stillzustehen. Täglich Sonnenschein am blauen Himmel, nichts ändert sich wahrnehmbar, und Zeit scheint nicht im Sekundentakt, sondern durch das Stakkato einer Rasensprinkleranlage gemessen zu werden. Entsprechend sind auch die Menschen bestrebt, dem eigenen Alterungsprozess entgegenzuwirken. Am vermeintlichen Ziel angekommen, trifft Lydia nicht auf die reelle Chance, Ruhm zu erlangen, sondern auf ihr Alter Ego, ein sichtlich verjüngtes, älteres Mädchen in den Kleidern von Dorothy aus dem Wizard of Oz. Und dies ist nur eines von vielen Zitaten aus einem reichhaltigen Filmfundus.

Bereits 2002 hatte Honetschläger als Reaktion auf 9/11 mit Enduring Freedom einen Kurzfilm nach diesem Prinzip gedreht und noch im selben Jahr mit den Arbeiten zu Los Feliz begonnen. Aber die Signale seitens der Filmförderung waren wenig ermutigend, erst 2010 kam wieder Bewegung in das Projekt, das Honetschläger, wie er sagt, stets mit sich herumtrug. Der größte Teil des Films wurde in einem Wiener Studio gedreht, vor 18 riesigen, 16 x 4 Meter großen Leinwänden, allesamt vom Künstler in einem drei Jahre dauernden Schaffensprozess selbst bemalt, wobei er sich an der traditionellen japanischen Tuschezeichnung orientierte. Diese Leinwände dienen als von Hand bewegter Hintergrund – mittels einer in mühsamer Detailarbeit entworfenen Apparatur, die, des Originaltons wegen, nicht zu laut sein durfte. Dazu kommen szenische Aufbauten, die als papierene Versatzstücke nichts missen lassen, was ein amerikanisches Roadmovie ausmacht. Die Tankstelle, das Motel, der Deli, der Holzschuppen, Verkehrszeichen und gerade Straßen, die erst irgendwo am Horizont zu enden scheinen: Kein Detail ist überflüssig, die Farbpalette der Tusch- und Bleistiftzeichnungen verläuft naturgemäß zwischen Schwarz und Weiß. Es ist ein ironisches Spiel mit der Klischeehaftigkeit von Bildern und Landschaften eines Genres wie auch eines Landes, in dem sich die Träume und Sehnsüchte gern von Ost nach West bewegen. Zudem spricht es für die Gleichwertigkeit von Honetschläger filmischem und künstlerischem Œuvre, dass im Zuge der Weltpremiere von Los Feliz in Wien sämtliche Arbeiten aus dem Umfeld des Films, szenische Skizzen wie auch die zweidimensionalen Requisiten und großformatigen Hintergründe, im 21er Haus als Ausstellung gezeigt wurden.

Menschen aus 39 verschiedenen Nationen waren an der Produktion von Los Feliz beteiligt. Allein die budgetären, sprachlichen und logistischen Herausforderungen müssen enorm gewesen sein. Honetschläger hat in seinem Leben als Künstler wie als Filmemacher schon viel Erstaunliches gemacht, in der Verbindung von beidem ist es in diesem Ausmaß bislang womöglich das radikalste Werk. Kardinäle, eine Gottheit, eine Museumswärterin und der Teufel. Das Casting mag noch so perfekt sein, doch  der heimliche Star des Films ist deutsch und blau und musste als echte Diva von Drehort zu Drehort geschippert werden: „Bertha“, Honetschlägers eigener Mercedes Benz aus den fünfziger Jahren. Auch so eine Ikone des Westens.

Retroperspektive Edgar Honetschläger im Metro Kinokulturhaus

Ab dem 14. März ist Los Feliz in Kinos österreichweit sowie im Metro Kinokulturhaus des Filmarchivs Austria in Verbindung mit einer Retrospektive des filmischen Werks von Edgar Honetschläger zu sehen. Die Retrospektive zeigt 17 Kurz- und Langfilme von und mit Edgar Honetschläger.

Honetschläger ist einer der ganz wenigen österreichischen Film-Kunst-Schaffenden, den man guten Gewissens einen Kosmopoliten nennen kann, und das nicht nur, weil seine Werke zwischen Wien, Tokyo, New York, Beijing, Brasilia, auf italienischen Inseln und in in studiogleichen Räumlichkeiten erschaffenen Dschungeln entstehen. Ein Kosmopolit, Wanderer zwischen den Welten, ist er auch in seiner Ästhetik. Honetschlägers Filme sind alle inszenatorische Unikate, potenziell Inkunabeln – steckt doch in jedem seiner Werke die Geburt einer ganzen jeweils neuen Kinokunst. Wichtig ist auch die lustvolle Saftigkeit seiner Kunst, diese Freude an Spannungen wie Reibungen in der Form – als komplett konträr angesehene inszenatorische Herangehensweisen wie etwa Direct-Cinema-Aktualitätenkino und aufs höchste zugespitzte Stilisierungen stehen bei ihm nicht nur nebeneinander, sondern verweben sich ineinander. Barock wäre hier ein gutes Wort, ebenso eklektizistisch, polyedrisch, sowie furchtlos.

Der Name seiner eigenen Produktionsfirma ist da durchaus bezeichnend: Edoko, wohl eine Verballhornung des Wortes Edokko. Edokko ist erst einmal ein Einwohner von Edo (ein früherer Name Tokyos); wobei damit auch eine gewisse Kultur assoziiert wird: die der Kaufmannsschicht, deren Ideen wie Ideale geistiger wie fleischlicher Freuden. Der Edokko, wollte man einen Honetschlägers würdigen Spagat springen, ließe sich als so etwas wie ein entfernter japanischer Verwandter des Benjaminschen Flaneurs betrachten: ein aufmerksamer Beobachter der Welt, dem wenig fremd ist, doch der stets auch eine gewisse Distanz braucht zu den Dingen. Honetschläger hat an vielen Orten der Welt gefilmt, jedoch stets als einer, der gern ein Fremder bleibt, der sich selbst gehört, denn nur so kann er Bilder, Klänge, Einsichten artikulieren, die für andere von Interesse und Belang sind. Denn auch das darf man bei der freundlichen Verspieltheit seiner Filme nicht vergessen: Hier werden Werke geschaffen, nach denen die Dinge anders sein sollen.
Olaf Möller