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Christian Petzold

Die protestantische Methode

| Christoph Hochhäusler |
Das Österreichische Filmmuseum widmet Christian Petzold eine Retrospektive und offeriert ihm eine Carte blanche. Anmerkungen zu einem bedeutenden Filmemacher von einem Freund und Kollegen.

Christian. So heißen viele seiner Generation. Der sportliche Ehrgeiz, sich einen Namen zu machen, einen, der sich mit Recht abhebt, ist ein bestimmender Zug. Er hat Locken, schwarze Medusa-Schlangen, um die ich ihn als irgendwie blond und Glatthaariger beneide, die aber nie ihr Haupt recken dürfen. Er trägt die Haare so kurz, dass man die Adern über den Schläfen pumpen sieht, wenn er sich ärgert.

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Christian ist voller Ansprüche an sich. Da kommt viel zusammen. Er will fair sein, solidarisch, links, aber er will auch schnell sein. Erster. Anderen, die sich weniger leicht tun, die weniger klar sind, erzählt er gerne, wie viele Seiten er pro Tag schreibt. Vor den Dreharbeiten für Film A ist immer schon das Drehbuch für Film B fertig. Er präsentiert das als Vorzug, aber vielleicht hält er auch nur das Nichts nicht aus.

Und er schreibt gut. Schöne, federnde Prosa. Amerikanische Schule. Er hat mehr Kriminalromane und Short stories gelesen als, ich weiß nicht, als es Einwohner gibt in Hilden (seinem Geburtsort) oder Haan (wo er aufgewachsen ist). Ich glaube, der kriminalistische Blick zieht ihn an. Er will nicht wissen, wer der Mörder war, er will die Dinge sprechen hören, Indizien sammeln für das Leben.

Es ist schön, ihm zuzuhören. Zur Drehvorbereitung müssen alle aus dem Team ins „Proseminar Petzold” – sagen die Spötter. Er will sein Umfeld belehren, bestechen mit Einsichten. Mit Referenzen. Will den Gleichklang. Aber er will kein Guru sein. Die Gefühle dürfen nicht regieren.

Es gibt jene im deutschen Film, die ihn fallen sehen wollen. Schon aus Selbstschutz. Alles scheint ihm zu gelingen. Das geht manchmal auf die Nerven. Er weiß das auch. Vielleicht will er es so. Er fürchtet den Fall mindestens so, wie sie ihn wünschen. Es gibt da eine tiefe Angstlust, in den Abgrund zu schauen. „Warum, dachte ich, sinkt wohl das Gewölbe nicht ein, da es doch keine Stütze hat? Es steht, antwortete ich, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen.” Diesen Kleist-Satz hat er oft zitiert. Reste des Germanistik-Studiums. Funktioniert so Gesellschaft? Wollen wir alle fallen?

Manchmal gehen wir spazieren, und er testet neue Geschichten. Feilt sprechend an erzählerischen oder argumentativen Pointen. Er kann sehr lustvoll gemein sein, ein Aspekt, den man seinen Filmen nicht ansieht. Nicht ganz so schneidend wie sein Lehrer und Freund Harun Farocki vielleicht, aber mindestens so unterhaltsam. Ein ehemaliger Klassenclown, der heute auf Unterscheidung aus ist.

Seine Metaphern haben etwas Zirkuläres. Seine Poetik ist nicht wirklich offen für die Wirklichkeit, scheint mir. Sie speist sich aus seinen, ja, Dämonen, die sich im Wald der Referenzen zeigen.

Jeder Film ist eine Übermalung. Entlang multipler Vorbilder, sie dekonstruierend, erzählt er von vergeblichen Fluchten. So, wie vielleicht die Flucht seiner Eltern, von der „Zone” in den Westen, eine vergebliche war. So, wie die Lässigkeit des Kreuzberger Idylls in der Lausitzer Straße die Angst vor der Formlosigkeit nie ganz überdecken kann. Denn man entkommt nicht der eigenen Wirklichkeit. So weit in den Westen kann man gar nicht gehen, als dass man die Geister hinter sich ließe, die in einem wohnen.

Rainer Knepperges hat einmal geschrieben, der Film noir sei „eine Kunstform des Nachkriegs, die Mitleid hat mit Leuten, die ihre Seele verloren haben.“ Das könnte man auch über Christians Filme schreiben. Und es ist kein Zufall, dass unter den Filmen, die er für Wien ausgesucht hat, viele Noirs sind. Es ist keine Komödie dabei. „Filme handeln alle von Gesetzen oder von Kriminellen, die das Gesetz gebrochen haben. Das kann man auf den Plot übertragen. Es muss ein Gesetz geben, und man muss sich an diesem Gesetz reiben. Darum geht es“, hat er in unserem ersten Interview gesagt, das war 2003. Für eine Saison oder zwei war er ein Rollenmodell für mich, für uns. Inzwischen sind wir befreundet, das ist noch besser.

Die innere Sicherheit ist ein Schlüsselfilm geblieben, die schöne Konstruktion, die Härte seiner Schnitte … endlich ein Film, dachte ich damals, der zugänglich ist, ohne Anspruch aufzugeben. Der sich als dialektisches Werkzeug verwenden lässt, Geschichte und Gegenwart zu befragen. Der nicht gefallsüchtig ist. Ich habe ihn nach dem Kino begeistert angerufen, 2001, daran erinnere ich mich, „Revolver“, unsere damals noch junge Filmzeitschrift, war willkommener Vorwand. Christians Kinder waren klein damals, tönten im Hintergrund, sein Leben als Filmemacher in diesem Land noch im Entwurfsstadium. Für Heft 5 hat er dann über Modelleisenbahnen geschrieben, und inwieweit sich gesellschaftliche Erschütterungen in den Modellen, der Anordnung der Gleise niederschlagen (http://www.revolver-film.com/hefte/heft-05-tagebuch). Sein Polizeiruf 110 mit dem Titel Kreise war ein schönes Echo auf diesen Text, so wie zwei Szenen, die er im Interview beschrieben hat, später in Etwas besseres als den Tod, seinem Dreileben-Film, und in Barbara wieder aufgetaucht sind, zehn Jahre später. Kreise, auch hier.

Ich kenne niemanden, der so realistisch ist gegenüber den hiesigen Produktionsbedingungen. Er weiß, welche Geschichten, welche Szenen in den Plan passen, im Rahmen des Budgets darstellbar sind. Bei Dreileben, beim Über-die-Schulter-Schauen, habe ich gesehen, wie er sich vorbereitet: Einstellung für Einstellung wird durchdacht, lange bevor er in den Dreh geht. Seine Arbeit versteht sich als Kunst des Möglichen. Die kompaktere, machbarere Lösung wird bevorzugt. Das meine ich nicht im Sinne von Konfektion oder Anspruchslosigkeit. Aber wo ich permanent meinen Kopf stoße, weil meine Entwürfe regelmäßig zu groß sind für meine Produktionswirklichkeit, nimmt er Maß und arbeitet passgenau. Wie ein japanischer Tischler fügt er die Teile ohne Zwang. Das bewundere ich sehr, und auch wenn mein barockes Temperament manchmal den Überschuss vermisst: Es ist diese Genauigkeit, die ihn zum besten deutschen Regisseur der Gegenwart macht.

Zu Christians protestantischer Methode gehört unbedingt auch das „eingespielte” Team, die stabile Arbeitsfamilie. Produktion, Kamera, Schnitt, Szenenbild, Kostüm haben beinahe immer die gleichen Mitarbeiter verantwortet, selbst für Positionen wie Regieassistenz oder Skript gibt es fest gesetzte Partner. Und natürlich spricht auch die wiederholte Zusammenarbeit mit Nina Hoss (Wolfsburg, Toter Mann, Yella, Yerichow, Barbara, Phoenix) für eine gewisse Hermetik.

In unserem Mailwechsel mit Dominik Graf über „Berliner Schule” und das deutsche Kino hat Christian davon gesprochen, dass unsere Filme von der „Melancholie des neuen Bürgertums” erzählten und dabei, glaube ich, nicht nur seine Filme, sondern auch sein Filmemachen gemeint. Öffentliche Gelder, Verantwortung, vorbildliche Arbeitszeiten. Mit dem Fahrrad die Kinder zur Schule bringen und dann ans Set. Das skandinavische Modell. Aber man darf ihm da nicht auf den Leim gehen. Wie man überhaupt bezweifeln sollte, was Regisseure über ihre Filme sagen.

Nicht dass es falsch wäre. Aber es ist nicht alles, und nicht das Wesentliche. Auch deshalb war ich froh um Phoenix. Die Gediegenheit von Barbara, der erzählerische Klassiszismus, hatte mich mild enttäuscht. Wo war der modernistische Glanz geblieben, wo waren die „schlechten Eltern” der Vorlage? Barbara schien ganz „A-Picture” zu sein, pädagogisch wertvoll. Phoenix dagegen verschweigt die Frankenstein-Technik nicht, die Christians beste Filme ausmachen. Die spekulative Vorlage fasst der Film scharf an, formt sie zu einer riskanten Metapher über das zwiefache Verkennen der eigenen Schuld. Eine deutsche Geschichte, in der die Geister anderer Geschichten, realer, geträumter, gefilmter, aufscheinen. Ein Resonanzraum für das Unbehagen, das Unbehauste seiner eigenen Seele auch.

Harun Farockis Tod hat ein Loch gerissen. Das war, aus der Ferne betrachtet, eine sehr konstruktive Freundschaft. Ersatzvater, Ersatzsohn und das Erzählkino als ein gemeinsames „Spielzeug”. Später einmal wird man sagen können, ob der Verlust auch eine künstlerische Zäsur bedeutet. Christians nächster Kinofilm, eine moderne Anna Seghers Bearbeitung, zur Zeit in Vorbereitung, ist in jedem Falle ein Aufbruch. Ich bin gespannt.

Christian Petzold: Gesamtwerk und Carte blanche,
7. April bis 4. Mai

In Petzolds Auswahl von für ihn maßgeblichen Filmen finden sich u.a. Werke von Robert Siodmak, Anthony Mann, Douglas Sirk, Agnès Varda, Klaus Lemke, Don Siegel, Walter Hill, Paul Schrader, Robert Aldrich und Kathryn Bigelow. Christian Petzold wird von 7. bis 12. April im Filmmuseum anwesend sein. Außerdem zeigt das Filmmuseum in der Reihe „In Person“ Kurzfilmarbeiten von Kevin Lee (18. bis 20. April) und die Reihe „Unversöhnt“ mit Filmen von, mit und über Holger Meins – sowie von Roberto Rossellini, Peter Lorre, Jean-Marie Straub & Danièle Huillet, Günter Peter Straschek, Gerhard Friedl und anderen
(22. April bis 4. Mai).