ray Filmmagazin » Drama » Die Angst in den Köpfen

Freeheld

Die Angst in den Köpfen

| Kirsten Liese |
Ellen Page im Gespräch über „Freeheld“, über ihr Coming-out und ihre Bewunderung für Julianne Moore.

Nach einer wahren Geschichte erzählt Peter Sollett mit Starbesetzung das bewegende Drama der verdienten Polizistin Laurel Hester. 23 Jahre lang arbeitet sie im Bezirk Ocean County bis sie an Lungenkrebs erkrankt. Ihre geringen Überlebenschancen bedeuten einen großen Schicksalsschlag für ihre glückliche Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin Stacie Andree, mit der sie ein gemeinsames Haus bewohnt. Doch als wäre das nicht schon genug, muss sich Laurel in dieser schrecklichen Situation auch noch mit den Republikanern herumärgern, die ihr die Pensionsansprüche für ihre Partnerin verweigern wollen. Lesbische Liebe in der Provinz? Da müssen allerhand überholte Vorurteile überwunden werden, um Akzeptanz und Gerechtigkeit zu erreichen. Doch gemeinsam sind Laurel und Stacie stark. Julianne Moore brilliert in der Rolle der unerschütterlich für ihr Recht kämpfenden sterbenskranken Laurel, Ellen Page spielt ihre Partnerin Stacie.

Werbung

Die gebürtige Kanadierin entdeckte ihre Begeisterung für die Schauspielerei im zarten Alter von zehn Jahren. Nachdem sie schon als Jugendliche in zahlreichen TV-Produktionen mitgewirkt hatte, erregte sie 2005 erstmals in dem Film Hard Candy große Aufmerksamkeit für ihre Darstellung einer Jugendlichen, die via Internet Bekanntschaft mit einem dubiosen, Minderjährigen nachstellenden Mann macht. Ihren internationalen Durchbruch hatte Ellen Page ein Jahr später mit dem Blockbuster X Men: Der letzte Widerstand. Ihren bislang größten Erfolg bescherte ihr aber die Titelrolle in Jason Reitmans Juno. Ihre Darstellung als eines mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontierter Teenagers brachte ihr den Golden Globe, den BAFTA, den Independent Spirit Award und eine Nominierung für den Oscar ein.  Weitere wichtige Rollen waren die Traum-Architektin Ariadne an der Seite von Leonardo DiCaprio in dem Science Fiction-Thriller Inception und die verführerische Monica in Woody Allens Komödie To Rome With Love.

Im Februar 2014 outete sich Ellen Page auf einer Konferenz der Human Rights Campaign in Las Vegas öffentlich als lesbisch. Demnächst ist die 29-Jährige unter der Regie von Patricia Rozema in der Leinwandadaption von Jean Helands abenteuerreichem Jugendroman „Into the Forest“ zu sehen, die sie auch als Produzentin betreut hat. Aktuell produziert sie die Fernsehserie Gaycation. In dieser Dokumentation besucht Page zusammen mit Ian Daniel verschiedene Städte rund um die Welt, um dort die jeweilige Situation für Homo-, Bi- und Transsexuelle unter die Lupe zu nehmen.

 

Freeheld enthält eine politische Message. Was hat der Film damit auslösen können?
Im Juni 2015 gab es einen regelrechten Paukenschlag, als das höchste Gericht Amerikas die Ehe für Schwule und Lesben öffnete. Unser Film feiert diese Errungenschaft, die eine wahrlich große ist, wenn man bedenkt, wie sehr Laurel und Stacie diskriminiert wurden. Zugleich wird uns damit auch bewusst, was die beiden durchgemacht haben. Dass Laurel ihrem Krebs erliegen musste, ist schon tragisch genug, aber wenn es ihr vergönnt gewesen wäre, Stacie zu heiraten, hätten die beiden ihre letzte gemeinsame Zeit für sich gehabt, nicht noch so hart für ihre Rechte kämpfen und sich blöd belehren lassen müssen. Trotz ihres Erfolgs gibt es noch viel zu tun.

Zum Beispiel?
Allein in 31 Bundesstaaten kann jemand seinen Job wegen seiner Homosexualität verlieren. Wenn Schwule oder Lesben heiraten und ihre Hochzeitsfotos auf Facebook posten, kann ihr Arbeitgeber sie deswegen offiziell feuern. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Kinder können von der Schule geworfen werden, wenn sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „gay“ tragen. Und das kommt tatsächlich auch vor!

Als Tom Hanks 1993 in dem Drama Philadelphia einen an Aids erkrankten Schwulen spielte, war Homosexualität in Hollywood stark tabuisiert. Der um sein Image besorgte Hauptdarsteller betonte deshalb in Interviews, dass er selbst nicht schwul sei. Müsste er das heute auch noch?
Sagen wir es mal anders: Es gehört immer noch sehr großer Mut dazu, sich als schwul zu outen. Wenn das jemand riskiert, kann es passieren, dass er oder sie nicht mehr für eine heterosexuelle Rolle besetzt wird. Das könnte das Ende einer Karriere bedeuten.

Sie haben sich geoutet …
Und das war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe! Ich fühle mich wie neu geboren. Nun hatte ich allerdings auch das Glück, dass sich für mich daraus keine Nachteile ergaben, aber ich fühle umso mehr auch mit denjenigen, die gesellschaftlich geächtet werden und obendrein noch verwundbarer sind als ich. So wie ich offen lesbisch lebe, habe ich zwar verbal auch schon so manche Unverschämtheiten über mich ergehen lassen müssen, wenn ich mit meiner Freundin Arm in Arm gegangen bin. Auf mein Outing haben aber alle, mit denen ich zusammen gearbeitet habe, uneingeschränkt positiv reagiert. Deshalb gebe ich auch die Hoffnung nicht auf, dass sich Hollywood bald mal ändern könnte, denn eigentlich ist den meisten die sexuelle Orientierung doch egal. Nur diese schreckliche Angst in unseren Köpfen müssen wir noch überwinden.

In letzter Zeit kamen einige äußerst prominent besetzte Filme mit lesbischen Heldinnen ins Kino, denken wir zum Beispiel an Blau ist eine warme Farbe mit Léa Seydoux oder Carol mit Cate Blanchett und Rooney Mara. Das müsste doch auch dazu beitragen, in Hollywood den Blick auf Minderheiten zu verändern …
Das tut es ganz sicher auch. Blau ist eine warme Farbe ist sowieso ein wunderbarer Film! Ich könnte ihn immer wieder und wieder sehen.

Wie haben Sie sich auf die Rolle der Stacie vorbereitet?
Ich habe zusammen mit Julianne Moore und unserem Drehbuchautor einige Zeit mit der realen Stacie verbracht. Wir waren in dem gemeinsamen Haus, begleiteten sie auch zu ihrer Arbeit und lernten ihre Community kennen. Sie war sehr großzügig zu uns und, wie sich denken lässt, angesichts ihrer Erfahrungen, von denen sie erzählte, auch sehr verletzbar.

Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ihre Rollen aus?
Meine Spielfreude muss durch irgendetwas geweckt werden, das kann eine Figur sein, ein Skript, ein Regisseur, die übrige Besetzung oder eine besondere Herausforderung, ganz gleich um welches Genre es sich dabei handelt. Auch eine besondere Art des Drehens kann inspirieren. X-Men stellte zum Beispiel ungewöhnliche Anforderungen an mich, und sei es nur, von einem Tennisball erschreckt zu werden. (Lacht.)

In Freeheld spielen Sie an der Seite einer sehr berühmten Kollegin. Wie stehen Sie denn zu Julianne Moore?
Julianne ist für mich eine der Größten, und für unsere schwul-lesbische Community hat sie sich natürlich auch sehr verdient gemacht. Sie hat ja schon viel mehr lesbische Frauen gespielt als ich! Ich verehre sie sehr.

Julianne Moore hat im vergangenen Jahr für Still Alice einen Oscar erhalten. Da spielte sie auch eine Frau, die gegen eine schwere Krankheit kämpfen muss. Wie sie haben die meisten Leinwandheldinnen zu allen Zeiten einen Oscar für Frauenfiguren gewonnen, die im Leben leiden müssen, sei es an einer Krankheit, psychischen oder sozialen Problemen, männlicher Tyrannei oder Gewalterfahrungen. Warum gibt es im Kino so wenige selbstbewusste, gesunde, mutige oder angriffslustige Frauen?
Ich glaube, da müssen wir uns nicht wundern. Das Patriarchat ist auf der ganzen Welt noch weit verbreitet. Viele Frauen werden immer wieder mit Problemen konfrontiert, sexuelle Gewalt ist nach wie vor weit verbreitet, und es gibt viele Orte, an denen es sehr, sehr schwierig ist, als Frau zu leben und sich zu behaupten. Das ist natürlich sehr traurig, aber es ist wichtig, dass die Kunst die Realität auch widerspiegelt.

Sie treten neuerdings auch als Produzentin in Erscheinung. Wie kommt das?
Zunächst hat sich das einfach so ergeben, und inzwischen ist es sehr praktisch. Es fing damit an, dass Michael Shamberg, der Produzent von Freeheld, und Stacie mich in den Entstehungsprozess von Freeheld einbinden wollten, und das erwies sich als gute Idee. Es ist immer reizvoll, einen Film zu produzieren, wenn einem ein bestimmter Stoff oder eine Rolle vorschwebt, die man gerne übernehmen möchte. Zudem haben Frauen oft nicht die Gelegenheit, gemeinsam an einem Film zu arbeiten. Ich bin mit vielen Schauspielerinnen meiner Generation befreundet. Viele schätzen uns als Konkurrentinnen ein, aber so ist es nicht, wir helfen uns gut untereinander. Ich möchte noch viele Projekte mit vielen Frauen realisieren.