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Loving

That Loving Feeling

| Pamela Jahn |
Mit seinem fünften Spielfilm zeigt Jeff Nichols, dass er auch ganz anders kann: „Loving“ ist diskretes Geschichtskino ohne große Worte und Konflikte, aber treffend und mit einer leisen Wut im Bauch.

Als sich Richard und Mildred Loving am 2. Juni 1958 in Washington D.C. das Jawort geben, ahnen sie noch nicht, welche Konsequenzen das für ihre gemeinsame Zukunft sowie  langfristig für den Kampf um Gleichberechtigung zwischen Schwarz und Weiß haben sollte. Noch sind sie frei, verliebt und sorgenlos in ihrer kleinen Gemeinde irgendwo im tiefsten Virginia, wo sie demnächst ihre eigene Familie gründen wollen. Doch die Ernüchterung kommt schnell und unverhofft. Bereits wenige Tage später werden die Frischvermählten mitten in der Nacht von der Realität aufs Brutalste aus dem Schlaf gerissen, verhaftet und hinter Gitter gesteckt. Denn wofür das junge Paar vom ersten Blickkontakt an blind war, ist der US-amerikanischen Justiz Ende der fünfziger Jahre noch immer ein scharfer Dorn im Auge: Die Lovings sind von verschiedener Hautfarbe. Um trotzdem weiterhin ein gemeinsames Leben führen zu können, bleibt ihnen keine andere Wahl, als ihren Heimatstaat, in dem gemischtrassige Ehen noch immer rechtswidrig und verboten sind, umgehend und bis auf weiteres zu verlassen.

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Mit diesem Tiefschlag für die Liebe beginnt Loving, der fünfte Spielfilm des talentierten Jeff Nichols (Take Shelter, Mud, Midnight Stories), der selbst aus den Südstaaten stammt und bereits in seinen  früheren Arbeiten ein sicheres Gespür für die räumlichen und psychischen Einschränkungen bewies, mit denen sich seine Figuren stets konfrontiert sehen. Und auf ihre ganz eigene Art  nehmen auch die Lovings irgendwann den Kampf auf gegen das System, das ihnen die Freiheit genommen hat, ihr Leben dort zu leben, wo sie am glücklichsten sind. Als Mildred nach Jahren im Exil in ihrer Verzweiflung einen Brief an den damaligen Justizminister Robert F. Kennedy schreibt, stößt sie damit plötzlich einen Stein ins Rollen, der den Fall 1967 bis vor den Obersten Gerichtshof bringt und schließlich zu einer Gesetzesänderung führt. Nichols inszeniert den Siegeszug der einfachen Eheleute jedoch nicht als offenkundiges Spektakel, sondern konzentriert sich ganz auf die Untertöne und seine Hauptfiguren, die mit Joel Edgerton und Ruth Negga von zwei hervorragenden Schauspielern getragen werden. Im Wesentlichen ist Loving ist ein stiller, aber kein ruhiger Film. Große Themen wie Rassismus und Ausgrenzung werden nur am Rande angedeutet, um den Blick freizuhalten auf eine tiefe, innige Beziehung, die sich in ihren Grundmauern durch nichts und niemanden erschüttern lässt, und in ihrer leisen Wucht am Ende umso nachhaltiger berührt.

 

Herr Nichols, Ihr Film ist von einer unterschwelligen Spannung geprägt, die nur selten an die Oberfläche drängt. Große Konflikte und Konfrontationen gibt es selten. Was hat Sie dazu bewogen, die Geschichte der Lovings auf diese Weise zu erzählen?

Bei jedem neuen Projekt, das man angeht, muss man sich recht früh entscheiden, welche Erzählperspektive man einnimmt, und in dem Fall habe ich mich ganz bewusst dafür entschieden, den Fokus auf das Privatleben der Lovings zu richten. Der Film konzentriert sich auf bestimmte Momente in ihrem Leben, ohne dass ein Haufen Steine fliegen oder sich die Leute rassistische Auseinandersetzungen liefen. Was nicht heißt, dass ich Konflikte wie diese unbedingt vermeiden wollte, ganz im Gegenteil. Aber anstatt die Handlung unnötig auszuschmücken, ging es mir eher darum, möglichst nahe an der wahren Geschichte zu bleiben, und Tatsache ist, dass die Lovings keinen Streit hatten, nicht untereinander und nicht mit anderen, so waren sie einfach nicht. Was in meiner Recherche dagegen recht schnell zum Vorschein trat, war diese immense psychische Gewalt, der sie permanent ausgesetzt waren. Ständig in der Angst zu leben, dass jeden Moment etwas passieren könnte, aber nicht zu wissen, wann und was genau das sein wird, und ob sie am Ende gelyncht werden. Das heißt, alles in allem war weniger meine persönliche Entscheidung, von einer eher klassischen Erzählstruktur abzusehen, als eine logische Konsequenz, die sich für mich im Laufe der Recherche immer deutlicher herausstellte, um die Geschichte möglichst authentisch wirken zu lassen.

Hat es Sie zunächst überrascht, festzustellen, dass die Lovings nicht mehr politisch engagiert waren?

In der HBO-Dokumentation The Loving Story, die mein erster Anhaltspunkt war, wird sehr schnell deutlich, dass die Lovings von Natur aus eher unpolitisch waren. Aber ich denke, das hat vor allem damit zu tun, dass die Zeit damals eine andere war. Außerdem stammten sie beide aus einer sehr ländlichen Gegend im tiefsten Virginia, das heißt, es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie recht wenig Interesse an den großen politischen Fragen hatten. Das Einzige, was ich allerdings lange nicht begreifen konnte, war, wie viel, oder besser gesagt wie wenig, sie tatsächlich darüber nachgedacht hatten, welche Konsequenzen die Heirat für sie haben könnte. Es gibt einen Moment in der Dokumentation, und ich habe den Satz auch im Film verwendet, wo Mildred sagt: „Rich meinte, in Washington wäre alles weniger bürokratisch, deshalb sind wir nach Washington gefahren.“ Zum Zeitpunkt der Hochzeit war Mildred gerade einmal 19 und offensichtlich so naiv, dass ihr tatsächlich nicht bewusst war, dass es hier nicht nur um die Abwicklung der Formalitäten ging, sondern um die Rechtswirksamkeit ihrer Ehe. Sie dachte sich zwar, dass die Leute in ihrer kleinen Gemeinde in Virginia ihre Vorurteile haben würden und dass sie und Rich es am Anfang vielleicht etwas schwerer hätten. Aber solange sie in ihrem kleinen Örtchen auf dem Lande bleiben würden, hätte sicher niemand etwas dagegen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich nichts weiter dabei dachte. Die große Frage für mich war, wie viel Richard tatsächlich wusste. Es gibt noch eine andere Dokumentation von Hope Ryden aus den sechziger Jahren, in der er gefragt wird, wie es schließlich zu der Gerichtsverhandlung kam. Daraufhin antwortet er: „ Na ja, sie hat einen Brief geschrieben. An wen hast du den Brief nochmal geschrieben?“ Und Mildred sagt: „Robert Kennedy“, woraufhin er nur mit dem Kopf nickt und den Namen wiederholt: „Ach ja, Robert Kennedy.“ Sie sehen also, Politik spielte in ihrem Leben wirklich nur marginal eine Rolle. Und für mich war genau das das Spannende an der Geschichte. Ich glaube, wäre ihre bedingungslose Zuneigung zueinander in irgendeiner Weise von politischen Motiven geprägt gewesen, hätte das etwas Entscheidendes von dem Zauber genommen, der über dem Ganzen liegt.

Martin Scorsese ist einer der Drahtzieher hinter dem Projekt. Wenn ich richtig informiert bin, hat er Sie persönlich gefragt, ob Sie den Film drehen wollen. Wie gehen Sie mit dem Druck um? Macht Sie so etwas noch nervös?

Auf jeden Fall. Mich macht alles nervös. Vor kurzem habe ich Jim Jarmusch zum ersten Mal getroffen, das war toll, nur habe ich kein vernünftiges Wort rausbekommen und stattdessen pausenlos wiederholt, wie großartig ich Mystery Train finde. Also, so viel dazu. Aber ganz im Ernst, Filmemachen ist kein Kinderspiel, manchmal bekommt ein Film gute Kritiken und spielt vielleicht sogar ein bisschen Geld ein, manchmal sind die Kritiken schlecht und man macht man Verluste. Allein in der Hinsicht ist es unheimlich hilfreich, mit jemandem zu reden, der weiß, wie es ist. So wie Scorsese. Er hat sich für das Projekt stark gemacht und wollte unbedingt, dass es realisiert wird. Und von jemandem wie ihm gefragt zu werden, ob ich mir vorstellen könnte, den Film zu drehen, war natürlich fantastisch.

In Ihren Filmen geht es oftmals um emotionale Konflikte innerhalb der Familie oder den Einfluss äußerer Widerstände auf bestimmte Familiendynamiken. Was hat es damit auf sich?

Ich weiß es auch nicht genau. Ich selbst komme aus einer stabilen Familie und habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen beiden Brüdern. Trotzdem denke ich, steckt etwas unheimlich Faszinierendes in Familienbeziehungen, nicht zuletzt weil Familie etwas ist, mit dem wir uns alle identifizieren können. Was mich interessiert, sind zwischenmenschliche Beziehungen an sich. Wobei man dazu sagen muss, dass Loving ein ganz spezieller Fall ist. Ich finde es schwer, über den Film als einen Jeff-Nichols-Film  zu sprechen, das ist er nicht. Der Film gehört den Lovings. Sie sind das Wichtigste. Mein Stil, oder meine Art Filme zu machen, wie immer man es nennen mag, ist in dem Fall irrelevant.

Nicht jeder Regisseur hätte sich für diesen Filmtitel entschieden. Haben Sie den Namen zunächst als Fluch oder als Segen empfunden?

Ein Freund von mir, dem ich den Film neulich gezeigt habe, meinte: „Ich wünschte, sie hätten Richard und Mildred Home geheißen, das hätte besser gepasst.“ Und ich gebe zu, am Anfang hatte ich mit dem Titel auch meine Probleme. Ich dachte, es könnte ein Nachteil sein, weil man mit dem Wort an sich im ersten Moment wahrscheinlich eher eine kitschige Liebesgeschichte assoziiert. Aber dann habe ich während der Recherche den Namen ständig auf dem Papier gesehen – Loving vs. Virginia – immer und immer wieder, bis er irgendwann ein Eigenleben annahm, als Rechtsbegriff, mehr als alles andere. Und irgendwann machte der Name deshalb auch als Filmtitel total Sinn für mich.

Als Ihr letzter Film „Midnight Special“ in die Kinos kam, haben Sie viel über den sogenannten Südstaaten-Charakter gesprochen, Menschen, die sehr verschlossen sind und recht wenig Ambitionen haben, die in ihrer eigenen kleinen Welt leben. Zumindest in der Hinsicht lässt sich auch Loving allemal als ein Jeff-Nichols-Film verstehen.

Ja, das stimmt. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Junge mit meinem Großvater stundenlang zusammensaß, ohne insgesamt mehr als drei, vier Worte zu wechseln. Aber das hat mich nie gestört, so war mein Großvater eben. Und Richard ist genauso ein Typ. Als ich die Dokumentation über die Lovings zum ersten Mal sah, hat er mich sofort an meinen Großvater erinnert und ich habe mir überlegt, wie er wohl in der Situation gehandelt hätte. Das erklärt auch, warum ich gut verstehen kann, dass Richard nicht derjenige ist, der mit dem Protestplakat auf die Straße zieht, um seinem Ärger Luft zu machen. Menschen wie er, haben in erster Linie eine Verantwortung gegenüber ihrer Familie. Er ist ein Maurer, der sechs Tage die Woche arbeitet, um seine Frau und Kinder durchzubringen, egal ob in D.C. oder in Virginia. Und das ist sein gutes Recht, nur wurde ihm dieses Recht versagt, weil er die Frau geheiratet hat, die er liebt. Allein der Gedanke daran hat mich sehr bewegt und wütend gemacht, und diese Wut ist der emotionale Kern des Films. Da steckt alles drin.