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Die Frau im Mond / Mal de Pierres

DIE FRAU IM MOND / MAL DE PIERRES

| Kirsten Liese |

Roman-Adaption um eine romantische, liebeshungrige Frau

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Gabrielle windet sich vor Schmerzen, sie leidet an Krämpfen im Unterleib, an der sogenannten Steinkrankheit. Aber mehr noch als die harten kleinen Gebilde in ihren Nieren quält die junge Französin ihre ungestillte Sehnsucht nach der vollkommenen, bedingungslosen Liebe.

In den fünfziger Jahren gilt ein solch stark ausgeprägtes, libidinöses Verlangen bei Frauen als unnormal. Um nicht in der Psychiatrie zu landen, muss die „mannstolle“ Bauerntochter dem Willen ihrer Mutter nach José heiraten, einen emigrierten spanischen Arbeiter (Alex Brendemühl). Wiewohl seine frisch angetraute Frau sich diesem Stoffel sexuell verweigert, zeigt er sich ihr gegenüber generös und verständnisvoll, konzediert er ihr immerhin eine Kur in den Schweizer Alpen, die sie von ihren körperlichen Beschwerden erlösen soll. Und dort, an diesem weltentrückten Ort, kommt endlich auch die lang unterdrückte Leidenschaft zum Ausbruch.

Mal de pierres, eine freie Adaption des gleichnamigen Romans von Milena Agus, die darin aus dem Leben ihrer Großmutter erzählt, erinnert entfernt an die jüngst vom rumänischen Kino wiederentdeckte Autobiografie „Vernarbte Herzen“ des 1938 verstorbenen jüdischen Autors Max Blecher, der ebenfalls in einem Sanatorium seinen Hunger nach Liebe und Lust stillte.

Nur hat Nicole Garcia, die sich weniger in wortreichen Kontemplationen ergeht und ihre Handlung bisweilen dicht an einen Thriller heranführt, ungleich mehr zu erzählen, dies gleichwohl in bester Arthaus-Manier. Subtile Blicke und Gesten,  eine stimmige, berührende Musik, Bilder von nostalgischer Schönheit, Poesie und eine psychologisch spannungsreiche Dramaturgie prägen ihr Melodrama, das raffiniert zwischen Wirklichkeit, Träumen und Halluzinationen oszilliert.

Bei alledem hat es sich gelohnt, dass die Regisseurin lange darauf gewartet hat, die treffliche, viel beschäftigte Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard für die tragende Rolle zu gewinnen. Ihre Gabrielle ist eine unangepasste Frau, die ihren Schmerz in sich hineinfrisst, sich nach außen verschließt, unnahbar bleibt, aber auch ihren eigenen Weg geht. Dass der sterbenskranke, aus dem Indochinakrieg zurückgekehrte André (Louis Garrel), an den sie ihr Herz verliert, kein dauerhaftes Glück bieten kann, ist freilich absehbar. Aber das plötzliche Verschwinden dieses Mannes birgt auch Geheimnisse, die der Film sich lange aufbewahrt. Und die berühmte „Barcarole“ von Tschaikowski aus den „Jahreszeiten“ spielt der Schöngeist so sehnsuchtsvoll auf dem Klavier, dass sie noch lange nachklingt.

 

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