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Justified

Verbrecher und andere Idioten

| Roman Scheiber |
Mit Milieukenntnis, Figurentreue und Dialogwitz reiht sich „Justified“, nach Quellen von Elmore Leonard, in die großen amerikanischen Serien unserer Tage.

Räuber-und-Gendarm-Geschichten spielen gern in der Großstadt. Die Zeit ist knapper, der Raum geballter als in der Provinz, bei Tag herrscht die Anonymität der Masse, nachts gibt es die dunkle Gasse. Justified indes, obwohl die Zahl der Gesetzesbrecher darin Legion ist, hält sich nicht lang in der Großstadt auf. In der ersten Szene folgen wir Deputy Givens (Timothy Olyphant), gerahmt von einem crèmefarbenen Stetson und Cowboy-Boots, wie er lässig am Rand eines Swimmingpools auf einem belebten Strandhoteldach in Miami entlang geht – John Wayne mag einem in den Sinn kommen – und vis-a-vis einem Mittag essenden Mann an einem Ecktisch Platz nimmt. Den Auftrag des Cops, binnen 24 Stunden die Stadt zu verlassen, widrigenfalls er von ihm erschossen würde, hat der Mann, ein mutmaßlicher Mörder, nicht ernst genommen. Das war sein vorletzter Fehler. Nun läuft das Ultimatum in zwei Minuten ab, und der folgende Dialog mit dem Deputy verführt ihn dazu, seinen letzten zu machen. Givens‘ spätere Rechtfertigung, welche die Aufsichtsbehörde nicht im Geringsten beeindruckt, denn immerhin leben wir im 21. Jahrhundert: „He pulled first“.

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Eine coole, vielleicht nicht allseits sympathiefördernde Art, den maßgebenden Protagonisten einer Serie einzuführen. Doch Justified (2010–2015) ist eine ziemlich unkonventionelle Crime-Serie und hat daher einen recht eigenwilligen Gesetzeshüter als Helden. Welchen Eindruck Deputy U.S. Marshal Raylan Givens bei anderen hinterlässt, spielt für sein Handeln kaum eine Rolle. Er ist smart, mutig und konsequent, hat einen klaren moralischen Code, allerdings auch eine locker im Holster hängende Pistole und kein Problem damit, Menschen zu töten, wenn es aus seiner Sicht gerechtfertigt, eben „justified“ ist. Er hat eine dunkle Seite, von der er selbst wenig wissen will. „I think you are the angriest man I‘ve ever known“, wird seine Exfrau am Ende der Pilotfolge zu Raylan sagen und ihn damit sogar ein bisschen verstören. Umgekehrt hat sein wichtigster Gegenspieler eine helle Seite, auch wenn man zu Beginn davon nichts merkt: Boyd Crowder (Walton Goggins), sein Kumpel aus Jugendtagen und wie Raylan der Sohn eines Kriminellen, aktuell dringend des Bankraubs verdächtig, bläst gerade in East Kentucky per Panzerabwehrrohr eine Kirche in die Luft.

Ebendorthin, nach Harlan County, wird Raylan nun aus disziplinären Gründen versetzt. Dass er den Ort seiner Herkunft im Hinterland schon lange hinter sich gelassen hat, wirkt dabei strafverschärfend. Raylan wird viele alte Bekannte treffen und eine Menge zu tun kriegen in Kentucky, dem Land der blauen Wiesen und dunklen Wälder und, für seine Beziehung zu Boyd wichtiger, dem Land der Kohlereviere. Mit Boyd, der einem Hakenkreuz-Tattoo zum Trotz erstaunliche Chamäleon-Kompetenzen hat, verbindet ihn etwas, das Raylan selbst öfter mit dem Satz „We dug coal together“ zusammenfasst. In den finalen Folgen von Justified fechten die beiden einen würdigen letzten Strauß aus, und wer bis zum Ende dabei geblieben ist, durfte neben diesen kongenial besetzten Charakteren u.a. einen herrlich onkelhaften Chief Inspector (Nick Searcy), zwei hinreißende Southern Ladies (Joelle Carter, Nathalie Zea) und weitere attraktive Liebhaberinnen Raylans, ein paar korrupte und ein paar sympathische Cops (Erica Tazel, Jacob Pitts) näher kennenlernen, vor allem aber eine formidabel gecastete, erinnerungswürdige Schurkengalerie betrachten.

Divided we fall

Im Lauf der langen, kurzweiligen Erzählung erscheinen hier mehr seltsame Kreaturen als aus einem einzelnen Soziotop eigentlich herauswachsen können, doch jede einzelne hat das Potenzial, das Interesse des Publikums zu wecken – betrügerische Geschäftsleute, skurrile Hitmen, idiotische Nazi-Rednecks (der erbarmungswürdigste heißt Dewey Crowe und wird stets in Shorts und Boots dargestellt von Damon Herriman), ehrliche weiße Hackler, Ex-Soldaten und Spekulanten, ungeschickte Drogendealer und Junkie-Dirnen, Kleinganoven aller Couleurs, Versicherungsbetrüger und Dixie-Mafia-Gangster (darunter z.B. Neal McDonough als blonder Bösewicht, der ganz anders endet, als seine genial versteckte Faustfeuerwaffe es vermuten lässt, oder Sam Elliott als rauchig-sonor nuschelnder Immobilienmogul an der Seite von Mary Steenburgen). Unter all diesen Figuren, die ein Milieu in Summe zur Kenntlichkeit entstellen, macht eine öfter wiederkehrende ganz besonderen Spaß: Wynn Duffy (Jere Burns), ein öliger Wendehals, der, wenn er nicht gerade brutal Kreditschulden eintreibt oder reichen Leuten Alarmsysteme andreht, am liebsten in seinem Wohnmobil Frauentennis schaut. „Deputy Givens, I guess you don’t call me at this late hour to discuss Azarenkas match with me“, begrüßt er Raylan einmal am Telefon. Duffy ist eine Nebenfigur, die auch ein Quentin Tarantino nicht sardonischer hätte erfinden können.

Kentuckys Wahlspruch „United We Stand, Divided We Fall“ erhält in Justified, heruntergebrochen auf die Gruppe der Gesetzesbrecher, eine schlagende Ausformung. Wenn sie sich denn einmal verbrüdern, kommen sie auch eher durch. Kleinbürgerlicher Opportunismus, Gier oder Größenwahn siegt freilich regelmäßig über realistische Situations-Einschätzung, bevor man gegen Mafia oder Polizei den Kürzeren zieht. Shootout-Situationen wie die eingangs beschriebene sind keine Seltenheit in dieser Serie. Atavistische Kopfbedeckung und distinguierte Attitüde lassen im Fall Raylans (einen U.S. Marshal spielte Olyphant schon in der exquisiten Westernserie Deadwood) oder in der letzten Season auch bei der „Marlboro Man“-Figur Sam Elliotts an wortkarge Männer denken, welche sich im Staub vor whiskeyschwangeren Saloons duellieren oder sonst tun müssen, was sie eben tun müssen. Nichtsdestotrotz ist Justified – das lässt sich nach der Sichtung aller sechs Jahrgänge bzw. 78 Episoden sagen – viel eher das aus den Dynamiken zwischen diversen Charakteren gezeichnete Sittenbild einer provinziellen „Heartland“-Gesellschaft als ein moderner Western.

Dieser Meinung war auch einer, der es wissen musste, stammen doch die Kurzgeschichte „Fire in the Hole“ (2001), auf welcher der Pilot basiert, und viele oft wörtlich übernommene Dialoge inklusive häufiger Film- und Serienzitate aus seiner Feder: Elmore Leonard (1925–2013), erst im Herbst seiner Karriere gefeierter Western- und Kriminalautor, der auch viele Drehbücher geschrieben hat. Viele seiner Kurzgeschichten und Romane, in denen er immer neue Milieus und deren Soziolekte durchforschte, wurden verfilmt; einen regelrechten Hype um die Vorlagen Leonards gab es Mitte der neunziger Jahre, als Get Shorty (1995, Barry Sonnenfeld) mit John Travolta, Danny DeVito und Gene Hackman gedreht wurde, Tarantinos Jackie Brown (1997) und Out of Sight (1998) von Steven Soderbergh mit George Clooney.

What Would Elmore Do?

Die Figur des Raylan Givens taucht u.a. in Leonards Romanen „Pronto“ („Jede Wette“, 1993) und „Riding the Rap“ („Volles Risiko“, 1995) auf. Für Justified hat Showrunner Graham Yost das Familienumfeld des Marshals klug modifiziert: Raylan hat hier keine Kinder und entsprechend mehr Bewegungsfreiheit, dennoch einen derart starken Draht zu seiner Exfrau Winona, dass die beiden mit niemand anderem so vertraut reden wie miteinander. Raylans Vater Arlo (Raymond J. Barry) wiederum ist nicht wie bei Leonard an der Arbeit in der hiesigen Kohlemiene zugrunde gegangen, sondern leidet an einer Art bipolaren Demenz, die sich mit einer lebenslangen Affinität zu Ärgersuche und Selbstjustiz zu einer bis zum eigenen Herzinfarkt ausgelebten Krawall-Mentalität bündelt. Was Raylan nämlich mehr Kopfschmerzen bereitet als Boyd Crowder und jeder Profikiller, ist – neben seinen Frauengeschichten – die unaufgearbeitete Beziehung zu seinem sturen alten Herrn. Ja, und dazu der Konflikt Boyds mit dessen Vater Bowman (M.C. Gainey) bzw. das komplizierte Verhältnis der beiden delinquenten Väter zueinander, das schlägt ohnehin fast alles, was im zeitgenössischen Serienfernsehen unter dem Etikett „Familiendrama“ läuft.

Elmore Leonard war ein großer Chronist der Ränder seiner Gesellschaft und der Gewalt, mit der an diesen Rändern Konflikte ausgetragen werden. In seinen Geschichten gerinnen umfassende Orts- und Milieukenntnis, Action und akurat gesprochene Sprache zu individuellen Porträts der Schrulligen und Egomanen, der schweren Jungs und leichten Mädchen, der Eigenbrötler und der Möchtegern-Alphamännchen dies- und jenseits des Gesetzes. Mit den Leinwandversionen seiner Werke, die eine hintergründige Figurengestaltung zumeist vermissen ließen, war Leonard entsprechend selten zufrieden. Von Justified hingegen war er so angetan, dass er das letzte seiner 45 Bücher dem Zentralgestirn der Serie quasi retour widmete. Auf dem Cover des Romans „Raylan“ (2012) hält Timothy Olyphant im Schatten seines Stetsons die Waffe im Anschlag. Den von den FX-Serienmachern um Graham Yost wesentlich weiterentwickelten Ermittler mochte Leonard so gern, dass er ihn ins Zentrum des eigenen Romans rückte, obwohl Polizisten und Detektive in seinen früheren Krimis bestenfalls auf Nebenrollen abonniert waren.

In „Raylan“ schickt Leonard seinen Marshal Givens also auf eine letzte Tour de Force durch ein fiktives Kentucky, in die zunehmend klaustrophobisch anmutende „war zone“ Harlan County, wo ein an der Kippe befindlicher Drogenmarkt durch den aussichtsreicheren Handel mit menschlichen Organen ersetzt wird. Justfied greift diesen Faden erneut auf in der höchst unterhaltsamen Episode 305 „Thick as Mud“. Darin fühlt sich der oben erwähnte Redneck Dewey Crowe um eine Niere betrogen und braucht plötzlich Raylans Schutz. An diesem Punkt der Erzählung hatten sich die Geister übrigens längst geschieden. Ein Teil der US-Fernsehkritik blieb dran und stark gewogen, die Mehrheit war – vielleicht wegen Überlastung durch das damals exponenziell wachsende Serien-Gesamtangebot – schon vor der zweiten Season ausgestiegen. In der Gunst der Hardcore-Fans rangeln sich die zweite und die sechste Season um die Spitze, das Serienfinale wurde als eines der besten der US-Horizontalseriengeschichte empfunden. Um zuletzt noch das Offenkundige zu erwähnen: Sämtliche Werke Leonards und selbstverständlich auch Justified müssen in der amerikanischen Originalfassung genossen werden, will man sich nicht selbst um reiche Sprachfärbung und Dialogwitz bringen. Letzterer funkelt zumal in jenen Fällen, wenn Figuren in höflich-gepflegtem Umgangston konversieren, bevor sie einander über den Haufen schießen oder mindestens die Fäuste fliegen.