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Alicia Vikander in Tulpenfieber
Tulpenfieber

Leading Ladies: Ein Dossier

Alicia Vikander: Eine Frau für jede Epoche

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Trotz ihres im August startenden Historiendramas Tulip Fever (Tulpenfieber): Die schwedische Ausnahme-Actrice Alicia Vikander lässt sich nicht in ein Rollenkorsett schnüren. Im kommenden Jahr wird sie als Lara Croft zu sehen sein.

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Gleich sieben Filme, in denen Alicia Vikander mitgespielt hat, kamen im Jahr 2015 in den USA ins Kino. Die International Movie Database wollte von ihren registrierten Nutzern wissen, welcher davon ihnen am besten gefallen habe. Das Ergebnis war eindeutig: 57 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden IMDb-User wählten das Science-Fiction-Kammerspiel Ex Machina zu ihrem Lieblingsfilm, mit großem Abstand auf den Plätzen landeten die Spionage-Actionkomödie The Man from U.N.C.L.E. und das von einer wahren Geschichte inspirierte Transgender-Melodram The Danish Girl. In den genannten Filmen spielt Vikander sehr konträre Figuren, umso augenfälliger wird an diesen Rollen ihre stupende Wandlungsfähigkeit: eine anmutige Künstliche Intelligenz, die sich von ihrem Schöpfer emanzipiert; eine kecke Automechanikerin als verdeckt-feministische Agentin in eigener Sache im Kalten Krieg 1963; im Kopenhagen der 1920er Jahre die verständnisvolle Hälfte eines Künstlerpaars, deren Mann im Körper einer Frau leben will – nur drei Beispiele für die Bandbreite, welche sich die nunmehr 28-jährige Actrice schon früh in ihrer Karriere erarbeitet hat.

Seither läuft es dramatisch gut für Alicia Amanda Vikander, Tochter einer Bühnenschauspielerin und eines Psychiaters aus Göteborg. Am Set des historischen Dramas The Light Between Oceans / Liebe zwischen den Meeren lernte sie den irisch-deutschen Schauspielstar Michael Fassbender kennen und lieben. Statt mit ihm gemeinsam an der Computerspiel-Adaption Assassin’s Creed mitzuwirken, entschied Vikander, stattdessen unter der Regie von Paul Greengrass eine CIA-Cyberspezialistin und Gegenspielerin von Matt Damon in Jason Bourne zu geben. Gute Intuition, wie sich später herausstellte, denn während Fassbenders Film verunglückte und dementsprechend heftig floppte, konnte die jüngste Lieferung aus dem Bourne-Actionthriller-Franchise recht gute Kritiken und immerhin deutlich mehr als die Produktionskosten verbuchen. Bei der Oscarverleihung 2016 holte Vikander sich für The Danish Girl (Tom Hooper) wie programmiert und völlig zurecht den Preis als beste Nebendarstellerin ab (die britische Filmakademie hatte sie für diese Rolle übrigens, treffender als die US-amerikanische, als beste Hauptdarstellerin nominiert), und wenig später wurde dann auch noch bekannt, dass sie quasi die Nachfolge von Angelina Jolie als Videogame-Ikone Lara Croft antritt. „Ich mag Computer“, sagt Vikander, „als ich aufgewachsen bin, mochte ich Computerspiele, doch außer mir schien sich kaum ein anderes Mädchen dafür zu interessieren.“

Nun könnte man sich fragen, warum ausgerechnet diese Frau mit ihrer zierlichen Figur und dem immer noch eher mädchenhaften Antlitz eine moderne Superheldin verkörpern soll. Oberflächliche Antworten zur Auswahl: Ihr olivfarbener Teint braucht dafür nicht, wie für viele ihrer historischen Rollen, künstlich aufgehellt werden. Dass sie als Teenager eine klassische Tanzausbildung an der Stockholmer Royal Swedish Ballet School genossen hat, schadet nicht für die einer Actionheldin würdige Körperbeherrschung. Im Übrigen zeigen bereits veröffentlichte Setfotos, wie auch ein feingliedriger Leib zu einem Muskelpaket trainiert werden kann. Die eigentliche Antwort aber ist eine Gegenfrage: Wer passt besser zu einer postfeministischen Powerfigur als eine Charakterdarstellerin, die schon bei ihrer bisherigen Rollenwahl stark auf emanzipatorische und Gender-Komponenten geachtet hat? Der Kinostart des Tomb Raider Reboots ist für März 2018 geplant. Es bedarf nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, dass im Erfolgsfall aus Alicia Vikander ein Superstar wird – und nebenbei alle Welt kapiert, dass aus schwedischen Familien stammende Menschen nicht grundsätzlich blass, blond, blauäugig und groß gewachsen sind.

Dea Ex Humana

Eine Riesenbegabung vor sich auf der Leinwand zu haben, ließ sich schon angesichts der auf historischen Ereignissen basierenden Bestseller-Verfilmung En kongelig affære / Die Königin und der Leibarzt (Nikolaj Arcel, 2012) erahnen. Wie nuanciert Vikander sich da im Alter von 23 Jahren die dänische Sprache und das Format einer Königin anverwandelt, sich innert 130 Filmminuten vom schüchternen, pausbäckigen Mädchen zu einer höfischen Dame und schließlich zu einem mutigen Freigeist entwickelt (an der Seite von Mads Mikkelsen als Arzt des minderbemittelten Königs Christian VII), beeindruckt nachhaltig. Als En kongelig affære von Dänemark ins Rennen um den Fremdsprachen-Oscar geschickt wurde, war Vikander über den Umweg England (Joe Wright besetzte sie als Kitty in seiner Anna-Karenina-Adaption mit Keira Knightly) bereits gut sichtbar auf Hollywoods Talentradar – nur drei Jahre, nachdem die schwedische Regisseurin Lisa Langseth sie von der Musicalbühne auf die Leinwand geholt hatte (Till det som är vackert / Die innere Schönheit des Universums, 2010).

Alicia Vikanders natürliche Grazie und ihre Verletzlichkeit scheinen in jedes Land, in jede Epoche, in jedes Kostüm zu passen, aber auch in jedes Genre. Science Fiction zum Beispiel. Wenn sie als Ava, als schon dem Namen nach lang ersehntes Kind des Computergenies Nathan (nicht minder grandios: Oscar Isaac) und als Testobjekt des IT-Nerds Caleb (Domhnall Gleeson, auf Augenhöhe), mit dessen naivem Blick wir der Mensch-Maschine Ava verfallen, wenn diese gewissermaßen göttliche Kreatur am Ende ihre Jungs hinter sich lässt, ist sie zum überzeugendsten Menetekel für den unaufhaltsamen Aufstieg Künstlicher Intelligenz geworden, das man sich denken kann. Tolles Produktionsdesign, tolle visuelle Effekte, eine tolle Inszenierung bis hin zu einem gehörigen Twist in der Spiegelszene gegen Ende tragen das Ihre bei, doch ohne Vikanders kongenial grobnervige Verkörperung will man sich Ex Machina (Alex Garland, 2014) nicht vorstellen.

In nur acht Jahren Filmarbeit hat Alicia Vikander eine Versiertheit erreicht, die so manche ihrer Hollywood-Kolleginnen ein Berufsleben lang vermissen lassen. Ihre wundersam ausdrucksstarken, großen braunen Augen können lachen, strahlen, kilometerweit ins Leere schauen oder sich binnen Sekunden mit Tränen füllen. Allein auf welch verschiedene Weisen sie weinen kann, wäre ein Kapitel wert, und das Wort Augentropfen hätte darin keinen Platz. Dass sie es bereits auf mehr als hundert Nominierungen für Preise gebracht hat, von denen ihr fast die Hälfte auch zuerkannt wurde; dass ein Produzent wie Harvey Weinstein sich derart in sie verliebt, dass er extra eine Rolle für sie schreiben lässt (für die Dramedy Burnt, 2015): es kann nicht verwundern, wer sich die Filme dieser bezaubernden Verwandlungskünstlerin ansieht. Sie hat eine natürliche, mitunter erotische, oft aber auch eine kindliche Ausstrahlung, die jederzeit – wie in Testament of Youth (James Kent, 2014) – in erwachsenen Zorn kippen oder – wie in The Light Between Oceans (Derek Cianfrance, 2016) – allmählich in komplette Verzweiflung münden kann. Das sind Adaptionen historischer Romane, in denen Vikander viel Schmerz ertragen muss, denn ihre Charaktere leiden unter den Folgen des von einer patriarchalen Männerwelt ausgelösten Ersten Weltkriegs. Beide Filme sind im Grunde emotional überladen, sie leben und atmen und werden regelrecht getragen von Vikanders Darbietungen.

Zartfühlend und zornig

In der Mitte von Testament of Youth bekommt ihre Figur einen überraschenden Heiratsantrag, da erstarrt sie zunächst, es stockt ihr der Atem, bis plötzlich ein kleines Lachen aus ihr hervorschnappt und ihr Gesicht in Freude übergeht. Eine einprägsame, helle Szene in einem über weite Strecken dunklen Film, der auch zeigt, dass Vikander aufmüpfig, zartfühlend und zornig zugleich kann. Sie spielt die englische Schriftstellerin Vera Brittain, die im Krieg freiwillig als Krankenschwester hinter die Front nach Frankreich ging, doch ihren geliebten Bruder, einen engen Freund und ihren (von Kit „Jon Snow“ Harrington gespielten) Verlobten verlor und darüber zu einer feministischen Ikone des Pazifismus wurde.

Ende August kommt nun Tulip Fever (Tulpenfieber, 2017) ins Kino. In den USA wird der schon länger fertig gestellte Film des englischen Schauspieler-Regisseurs Justin Chadwick von den legendären, einstigen Miramax-Mitgründern Bob und Harvey Weinstein verliehen. Wieder ein historisches Drama, wieder ein Kostümfilm, wieder eine Literaturadaption und wieder einmal kann man sich an Alicia Vikander, die hier wieder einmal keine Scheu vor Nacktszenen hat, nicht satt sehen. Fast schon eine Paraderolle für sie (eine intime Szene scheint wie geklaut aus Die Königin und ihr Leibarzt) transportiert Vikander die häufig wechselnden Stimmungslagen ihrer Figur Sophia gekonnt und darf nebenbei ihr komödiantisches Talent unter Beweis stellen. Christoph Waltz spielt einen Edelmann, der Sophia aus dem Waisenhaus holt, um mit ihr einen Erben zu zeugen, der offenbar unwiderstehliche Dane DeHaan einen Maler, der seinen Pinsel nicht an der Palette lassen kann – mit ziemlich unvorhersehbaren Folgen. Die unterhaltsame, an turbulenten Wendungen nicht arme Geschichte entspinnt sich im Amsterdam des Jahres 1637, als Spekulationsblasen sich noch in wirtshausähnlichen Auktionshäusern bildeten, in diesem Fall rund um den allseits grassierenden Handel mit Tulpenzwiebeln, in den auch Judy Dench als Äbtissin eines Nonnenklosters involviert ist.

„Ich hätte mir nie träumen lassen, dass so etwas möglich ist“, sagte Alicia Vikander einmal, ihre Karriere betreffend. Noomi Rapace sei die einzige Schwedin, die es nach Ingrid Bergman nach Hollywood geschafft habe. Nun ist davon auszugehen, dass Vikander dorthin gekommen ist, um zu bleiben. Es sei denn, sie dreht wieder einmal mit ihrer Hausregisseurin Lisa Langseth (Das Geschwister-Drama Euphoria mit Eva Green) oder arbeitet mit spannenden Regisseuren wie dem Briten Ben Wheatley (Freak Shift, zusammen mit Armie Hammer, mit dem sie in The Man from U.N.C.L.E. zwangsverheiratet war). An der Seite von James McAvoy bereits abgedreht ist Grenzenlos / Submergence (Regie: Wim Wenders), in dem sie eine Meeresbiologin spielt. Und wenn Vikander einen Vogel hat, dann nur zeitweilig als Stimme im Animationsfilm Birds Like Us, der aber nicht den Weg in hiesige Kinos zu finden scheint.

Wer übrigens meint, in diesem Porträt sei zu wenig Privates über die künftige Lara Croft zu lesen, sei auf ihren eigenen Zugang zu diesem Thema hingewiesen: „Ich persönlich mag es, im Kino zu sitzen und nicht alles über die Person zu wissen, die ich auf der Leinwand sehe.“ Damit bliebe eher das Chamäleonhafte der Person erhalten, sagt Alicia Vikander, und das Chamäleon hat recht.