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The Post

Truth First

| Jörg Schiffauer |
Steven Spielberg zeigt mit „The Post“, wie man ein Kapitel Zeitgeschichte kongenial aufbereitet – samt aktuellen Bezügen.

Daniel Ellsberg hätte zweifelsohne eine veritable Karriere im Staatsdienst machen können. Der 1931 geborene US-Amerikaner erlangte zunächst seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Eliteuniversität Harvard, um dann seine Studien mit einem Stipendium in Cambridge fortzusetzen. Der brillante Denker und Intellektuelle arbeitete zunächst als Analyst für die RAND Corporation, einer in Kalifornien beheimateten Denk-fabrik, die die US-amerikanischen Streitkräfte berät. 1964 wechselte Ellsberg ins Verteidigungsministerium, das damals von Robert McNamara geführt wurde, danach fungierte er eine Zeit lang als Mitarbeiter des Außenministeriums, um 1967 wieder zu RAND zurückzukehren. Politisch wurde Ellsberg zunächst nicht der Fraktion der „Tauben“ zugerechnet, ab 1954 hatte er drei Jahre lang im Rang eines Leutnants bei den Marines gedient. Im Dienst des Außenministeriums war Ellsberg in Vietnam stationiert, wo er sich, obwohl ziviler Mitarbeiter, wiederholt Einheiten der US-Armee als Beobachter anschloss, um aus erster Hand diesen Krieg beurteilen zu können. Seine ernüchternde Erkenntnis: Obwohl immer mehr amerikanische Soldaten nach Vietnam geschickt wurden, schien ein Sieg in diesem Konflikt unmöglich zu sein. Dass wussten auch Politiker wie McNamara, doch der zog daraus keine Konsequenzen, sondern belog die Öffentlichkeit über den Stand der Dinge. McNamara ließ sogar eine mehrere tausend Seiten umfassende Studie anfertigen, die nicht nur das jahrzehntelange Engagement der Vereinigten Staaten in Vietnam, das schließlich direkt in den Krieg geführt hatte, detailliert darlegte, sondern auch deutlich machte, dass ein militärischer Erfolg nicht zu erwarten sei. Die Studie wurde allerdings als streng geheim klassifiziert und der Öffentlichkeit vorenthalten.

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Doch Daniel Ellsberg war nicht nur ein brillanter Analytiker, sondern auch intellektuell redlich, sodass er zum Schluss kam, das amerikanische Volk hätte ein Recht, die volle Wahrheit über Vietnam, einen Krieg, der so viele Opfer forderte, zu erfahren. Also schmuggelte Ellsberg die Studie aus den Räumlichkeiten von RAND, um in wochenlanger Arbeit die Akten zu kopieren und sie schließlich 1971 einflussreichen Medien wie der „New York Times“ oder der „Washington Post“ zuzuspielen. Ein durchaus couragiertes Unterfangen, denn die Veröffentlichung dieser geheimen Dokumente, die unter dem Begriff „Pentagon-Papiere“ in die Geschichte eingehen sollten, war vor dem Gesetz eine schwere Straftat, die Ellsberg einen jahrelangen Gefängnisaufenthalt einbringen konnte. Ganz abgesehen davon, dass seine bisherige berufliche Laufbahn damit beendet war, denn es sollte nicht lange dauern, bis man Ellsberg als das Leck im System identifizierte.

Pflicht zum Widerstand

Soweit der Hintergrund, vor dem Steven Spielberg The Post angesiedelt hat. Der Film beginnt im Jahr 1966, als sich Daniel Ellsberg (Matthew Rhys) mit einer Kompanie in den Dschungel Vietnams begibt und bald schon hautnah das Grauen dieses Kriegs erleben muss. Zurück in den USA wird er Zeuge, wie Verteidigungsminister McNamara (Bruce Greenwood) wider besseres Wissen vor versammelter Presse die Lage in Vietnam schönredet, ein Stein des Anstoßes für Ellsberg, die Pentagon-Papiere der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Doch davon ist dann in The Post eine ganze Weile lang nicht mehr die Rede. Nach der kurzen Exposition unternimmt Spielbergs Inszenierung einen zeitlichen Sprung ins Jahr 1971. Da hat Kay Graham (Meryl Streep) als Herausgeberin der „Washington Post“ ohnehin noch andere Sorgen. Obwohl sich die traditionsreiche Zeitung im Besitz ihrer Familie befindet, ist ihre Situation, vorsichtig formuliert, ein wenig prekär. Denn die Position an der Spitze musste sie eher unfreiwillig einnehmen, nachdem ihr Mann, der diese leitende Stellung ausübte, Suizid verübt hatte. Obwohl man ihr allerorts höflich begegnet, spürt Kay Graham, dass es auch immer wieder Zweifel daran gibt, ob sie wirklich alle Fähigkeiten für den Job der Herausgeberin mit sich bringt. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass eine Verlegerin in der strikt von Männern dominierten Geschäftswelt der frühen siebziger Jahre eine wirkliche Ausnahme darstellte. Eine der anfänglichen Szenen macht deutlich, unter welchem Druck Graham steht. Angesichts des bevorstehenden Börsengangs der „Post“ übt sie mit einem ihrer engsten Mitarbeiter alle Argumente und Zahlen ein, die sie bei der bevorstehenden Sitzung Bankern und potenziellen Investoren vortragen soll. Obwohl inhaltlich sattelfest, wirkt sie zusehends wie ein verunsichertes Schulkind vor einer entscheidenden Prüfung – bei der sie dann prompt versagt. Solche Zweifel plagen Ben Bradlee (Tom Hanks), den Chefredakteur der „Washington Post“, nicht. Der erfahrene Journalist, respektiert und bestens vernetzt in der Welt der Medien und der Politik, schlägt sich mit einem berufsbedingten Problem herum. Er hegt den starken Verdacht, dass die „New York Times“ knapp davor steht, eine ganz große Story zu veröffentlichen, und setzt alles daran, dahinterzukommen, worum es dabei geht, um die „Post“ ebenfalls an die Geschichte setzen zu können.


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