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Filmkritik

Das Mädchen aus dem Norden / Sameblod

| Morticia Zschiesche |
Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund der Diskriminierung des Volks der Samen

Samen sind die Ureinwohner Lapplands, deren Zahl sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verringert hat. Ihr hartes Leben im hohen Norden mit Rentierzucht und altertümlichen Traditionen, oft touristisch bestaunt, doch kaum akzeptiert von den restlichen Schweden, ist für viele junge Samen keine Option mehr. Aus sozialer Scham verleugnen sie ihre Herkunft, verlassen ihre Familien, geben sich neue Namen und nehmen eine andere Identität an – ein Tabuthema und trotzdem allgegenwärtig. Und genau deshalb erzählt Amanda Kernell in ihrem Spielfilmdebüt von dieser kulturellen Abspaltung, das ein Stück weit ihre eigenen Erfahrungen in realitätsnahen Details verarbeitet, auch wenn die Haupthandlung im Schweden der dreißiger Jahre spielt.

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Es ist die Geschichte der begabten 14-jährigen Elle-Marja, einer Sámi, die sich der Ausgrenzung und Herabsetzung ihrer eigenen Schwester und ihrer Mitschülerinnen in einem Internat in Lappland bewusst wird. Nach einer demütigenden rassenbiologischen „Schädelvermessung“ ergreift Elle-Marja die Flucht – zuerst zum verbotenen Tanz ins Nachbardorf, dann in die große Stadt Uppsala, wohin sie ihrer ersten Liebe folgt. Kühle, ruhige Bilder betonen das Raue dieses Kampfes um Existenz und Würde inmitten einer kargen Landschaft. Doch unter der Oberfläche brodeln Gefühle, bei denen kaum mehr als eine einzige Träne über versteinerte Gesichter rinnt, obwohl der Schmerz überbordend sein muss. Wie so oft im nordischen Film gelingt es über konsequentes „underacting“, über Blicke und Schweigen, in jeder Minute Authentizität herzustellen.

Selbst Tochter eines samischen Vaters und einer schwedischen Mutter, war die Autorenfilmerin Amanda Kernell zeitlebens so nah an der Rentierzüchter-Familie ihres Vaters wie zugleich auf der Flucht davor. Dass ihr Film so gut funktioniert, ist fast ein kleines Wunder, setzte die Regisseurin bei der Hälfte der Darsteller auf samische Schauspieldebütanten aus dem Umfeld ihrer Familie und besetzte sogar in den Hauptrollen zwei unbekannte Gesichter, die Schwestern Cecilia und Erika Sparrok, die das selten gesprochene Südsamisch beherrschen und in jeder Hinsicht einen Glückfall für den Film darstellen. Die an sich historisch angelegte Geschichte über die Mechanismen der Stigmatisierung von Minderheiten, den Mut zur Rebellion und vor allem den damit verbundenen anhaltenden und unterdrückten Schmerz der Protagonisten funktioniert als Zeitdokument ebenso wie als zeitlose Coming-of-Age-Geschichte in einer polarisierten westlichen Gesellschaft. Ein beeindruckendes Spielfilm-Debüt.