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A Beautiful Day / You Were Never Really Here

A Beautiful Day

| Alexandra Seitz |

Eine Meisterin fordert die Wahrnehmung heraus.

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Klar, es ist nicht verwunderlich, dass der Originaltitel eines Films besser passt als der deutsche Verleihtitel, der im vorliegenden Fall absurderweise zudem ein englischer ist: A Beautiful Day ist zwar nicht vollkommen daneben – wenngleich dieser „wunderschöne Tag“ im Grunde lediglich Behauptung bleibt, ein Wunschziel draußen vor der Tür, ein Wohlgefühl, das den Charakteren dieses Films wohl auf ewig versagt bleiben wird –, aber dass da draußen vor der Tür ein wunderschöner Tag herrscht, ist eben auch ein Trost und ein Versprechen, dass das Leben trotz allem, was zuvor geschehen ist, weitergehen wird. Doch wird damit zugleich eine optimistische Möglichkeit gesetzt, mit der You Were Never Really Here, so der Originaltitel, nichts zu schaffen hat. Und zwar in keiner Sekunde. Joe, der Protagonist, ist ein von Gewalt und Missbrauch traumatisierter Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Missbrauchsopfer aus den Fängen ihrer Peiniger zu befreien. Das heißt: Er rettet Kinder aus Vergewaltigungen und das Mittel seiner Wahl ist ein Hammer. Joe ist nicht zimperlich.

Dabei ist jede dieser Unternehmungen ein Kampf gegen seine Erinnerungen und Widerstand gegen das Bewusstsein, dass er längst schon ein toter Mann ist. Denn mit You Were Never Really Here hat die englische Autorenfilmerin Lynne Ramsay erneut einen schweren und schwierigen Film über tödlich verwundete Seelen gedreht. Die Körper laufen darin herum wie in einer Parallelrealität und haben mit dem Leben der Anderen nichts mehr zu schaffen.

Deswegen eben trifft der Originaltitel um so viel genauer. Weil er auch den Film selbst beschreibt. Der wirkt, als wäre er nicht ganz da, als würde er nur zerstreut und sporadisch den Weg auf die Leinwand finden. Ein Geist, ein Gespenst, eine Ahnung eines vollständigen, eines konventionellen Films. Ein Film der Auslassungen und Leerstellen, von ungeheurer Musik begleitet; fragmentarisch, Dialog eher vermeidend, zwischendurch wegträumend, unscharf und lichtverliebt, Sprünge und Ellipsen von geradezu
epischen Dimensionen wagend, mittendrin immer mal wieder weggerissen in Erinnerungsfetzen, die blitzartig dazwischen funken und nichts erklären und auch nichts erklären wollen. Weil es hier nichts zu erklären gibt.

Ein Mann will ein Mädchen vor der Gewalt retten. Vor allem vor jener Gewalt, die, das weiß er, einmal ausgeübt, die Seele für immer vergiftet. Es gelingt ihm nicht. Und draußen vor der Tür lebt trotzdem ein wunderschöner Tag.

 

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