Filmkritik

Lucky

| Alexandra Seitz |
Was für ein Abgang! Harry Dean Stanton has left the building

Zu Beginn die Morgen-Routine eines alten Mannes namens Lucky: Rasieren, Zähneputzen, Yoga. Danach steht er vor der Kaffeemaschine und wartet auf das Umschalten der Digitalanzeige. Dann das übliche Tagwerk: mittäglicher Diner- und abendlicher Bar-Besuch, dazwischen Zigaretten und Milch kaufen, Gameshows schauen, mit dem Kumpel telefonieren, Kreuzworträtseln. Nichts Aufregendes, als Neunzigjähriger hat man keine Aufregungen mehr nötig. Bis es Lucky eines Morgens umhaut. Ohne Vorwarnung kippt er aus dem Bild.
Bei einem Mann seines Alters verheißt das nichts Gutes, und es macht ihm auch keiner ein X für ein U vor. Der konsultierte Arzt meint vielmehr, er sei zwar für sein Alter erstaunlich gut beieinander, doch auch er sei nicht unsterblich und solle sich allmählich auf das Unvermeidliche einstellen. Lucky macht daraufhin ein etwas erstauntes Gesicht, so als würde ihm die Sache mit dem Sterben gerade erst wieder einfallen. Dann beginnt er, nach einer Haltung zu suchen.
Lucky ist das treffliche Langfilmregiedebüt des trefflichen Schauspielers John Carroll Lynch und ein Film über den Abschied; ein Film darüber, wie der Tod sich ins Leben schleicht und wie man ihm begegnet, da man ihm doch nicht auskommt. Mithin also ein Film über ein fundamental ernstes Thema, dabei doch von heiterer Gelassenheit; Lynch führt Regie, als säße er wie der sprichwörtliche Oldtimer im Schaukelstuhl auf der Veranda: Er hält die Fäden in der Hand, wahrt den Überblick, lässt den Dingen ihren Lauf. Und die tolle Truppe, die er versammelt hat, dankt es ihm mit punktgenauen Volltreffern – mitten ins Herz.
Denn Harry Dean Stanton, der Lucky ist (und eben nicht nur spielt), ist am 15. September 2017 im Alter von 91 Jahren gestorben. Lucky ist sein Vermächtnis. Zu guter Letzt also doch noch einmal eine auf den hageren Leib maßgeschneiderte Hauptrolle und die Gelegenheit für eine letzte lässige Darbietung auf der Bühne des Lebens. Und wie er da so steht und in Unterwäsche und Cowboystiefeln unter der sengenden Sonne Arizonas einen Kaktus gießt, ist er nicht einfach nur eine skurrile Figur in einem seltsamen Independent-Film. Er ist vielmehr eine der verlässlich erfreulichen Größen des US-amerikanischen Filmschaffens des 20. Jahrhunderts, ein vertrauter Begleiter, der uns nunmehr verlassen hat. Zum Glück nicht, ohne uns zuvor noch die eine oder andere Erkenntnis mit auf den Weg zu geben. Und dann mit seiner freundlichen Stimme ein Abschiedslied zu singen.

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Danke, Harry Dean Stanton!