Thelma

| Oliver Stangl |

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Als die in einem streng religiösen Elternhaus aufgewachsene Thelma (Eili Harboe) vom Land nach Oslo zieht, um Biologie zu studieren, scheint es zunächst, als würde sie an der Uni eine Außenseiterin bleiben. Während sie ihren Kommilitonen schüchtern aus dem Weg geht, verdüstern Alpträume und eine Art epileptischer Anfall die Stimmung der jungen Frau. Doch als Thelma die Chemiestudentin Anja (Kaya Wilkins) kennenlernt, beginnt sie sich zu öffnen: Sie geht auf Partys, trinkt Alkohol, hat Spaß. Aus der Freundschaft zu Anja wird schnell Begehren und Liebe – doch dann scheint Thelmas religiös geprägte Psyche gegen die Bedürfnisse des Körpers zu rebellieren. Als ihre Anfälle sich ebenso häufen wie mysteriöse Vorkommnisse, und sie obendrein einem düsteren Familiengeheimnis auf die Spur kommt, stellt sich für die Studentin die Frage, ob ihre unterbewussten Wünsche auf übernatürliche Weise wahr werden …

Die Vorbilder für Joachim Triers Thriller sind nicht schwer zu übersehen: Besonders erwähnenswert sind Hitchcock (etwa Marnie und The Birds), dessen großer Bewunderer Brian De Palma (Carrie) und Stephen King, Autor des „Carrie“-Romans. Zudem taucht der Regisseur hier, ein wenig wie sein entfernter dänischer Verwandter Lars von Trier, in die dunklen Seiten weiblicher Psyche ein. Thelma beginnt stark, nimmt sich Zeit, baut mit sorgfältigen Kameraeinstellungen Stimmung auf. Schon die erste Szene – die an die biblische Geschichte von Abraham und Isaak erinnert – ist intensiv: Die noch kindliche Thelma begleitet den Vater auf der Jagd. Die beiden erblicken ein Reh, der Vater steht hinter ihr. Doch statt auf das Tier zu zielen, richtet er die Waffe auf den Hinterkopf der Tochter. Hier wird ein Mysterium etabliert, dessen Klärung sich erst gegen Ende hin einstellt. Zudem wird die dunkle Macht, die in Thelma zu schlummern scheint, mit effektiven Bildern zwischen Naturgewalt und Großstadthorror eingefangen. Eili Harboe spielt zudem hervorragend und macht die Zerrissenheit ihrer Figur mühelos sichtbar.

Wohin der Film sich bewegt, bleibt lange offen – vielleicht ein wenig zu lange. Denn in der Absicht, Genretraditionen zu zitieren und gleichzeitig zu unterwandern, überwiegt in der zweiten Filmhälfte das Antiklimaktische, erscheinen manche Szenen redundant. Die Auflösung wiederum wirkt ein wenig wie X-Men auf dem Arthouse-Trip. Doch allein aufgrund der starken ersten Hälfte, der grandiosen Hauptdarstellerin und der stimmigen Cinemascope-Bilder von Kameramann Jakob Ihre lohnt sich dieser etwas andere Coming-of-Age-Film. Trier dürfte sich mit Thelma jedenfalls für Genrearbeiten Marke Hollywood empfohlen haben.

 

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