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Peter Simonischek

Dolmetscher | Interview

Überlebensstrategien kennt jeder

| Oliver Stangl |
Nach „Toni Erdmann“ in Rumänien nun „Dolmetscher“ in der Slowakei. Peter Simonischek im ausführlichen Gespräch.

Seine wunderbare darstellerische Leistung in Maren Ades subtiler, oscarnominierter Komödie Toni Erdmann (2016) brachte dem gebürtigen Grazer Peter Simonischek, Jahrgang 1946, den bislang größten Erfolg seiner Karriere ein – Auszeichnung als Bester europäischer Schauspieler inklusive. Zu einem der Erdmann-Nachfolgeprojekte hat der mit Angeboten überschüttete Burgtheaterstar die slowakisch-tschechisch-österreichische Koproduktion Dolmetscher auserkoren: In der von Martin Šulík inszenierten Tragikomödie gibt Simonischek den in Wien lebenden, pensionierten Lehrer Georg Graubner. Eines Tages erhält dieser Besuch vom 80-jährigen slowakischen Juden Ali Ungár (Jiri Menzel), dessen Eltern von Graubners Vater, einem NS-Kriegsverbrecher, ermordet wurden. Ungár, der in seinem Trenchcoat eine Pistole mit sich führt, will den ehemaligen Obersturmbannführer töten – doch die Rachepläne sind dahin, als Graubner ihm eröffnet, dass der Vater nicht mehr am Leben sei. Allerdings löst die Begegnung beim anfangs spöttisch-distanzierten Graubner das Bedürfnis aus, mehr über die Taten seines Vaters zu erfahren, und so machen sich die beiden unterschiedlichen Männer – Graubner ist dem Alkohol und den Frauen zugeneigt, während Dolmetscher Ungár keinerlei Lebensfreude mehr zu haben scheint – zu einem Roadtrip durch die Slowakei auf. Im Verlauf der Reise, die unter anderem Anhalterinnen, Diebstähle und Besuche bei Zeitzeugen mit sich bringt, kommen Graubner und Ungár dabei sowohl einander als auch den Schatten der Vergangenheit näher.

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Im Gespräch erzählt Peter Simonischek von wunderbaren Begegnungen während der Dreharbeiten, vom speziellen Charme tschechischer und slowakischer Filme, von Österreichs Verhältnis zur Vergangenheit und vom entspannten Sausenlassen von Hollywood-Produktionen.

 


 

Herr Simonischek, wie sind sie konkret zum Filmprojekt „Dolmetscher“ gestoßen?
Peter Simonischek: Das war eine dieser Produktionen, die – wusch – eingetütet waren. Ich bekam das Angebot, und schon war ich am Drehort. Es gibt Produktionen, bei denen schon ein bis zwei Jahre vorher angefragt wird, dann gibt es die Gelder noch nicht, dann schreibt man einen Letter of Intent, damit das Projekt mehr Förderung bekommt – und dann hört man oft nie wieder etwas. Das hier war anders. Die coop99 hat ja Toni Erdmann mitproduziert, und die hatten dieses Buch auf dem Tisch. Ich habe es gelesen und dachte: „Super. Wumm. Das ist ja wie ein Glücksfall, dass nach Toni Erdmann so etwas daherkommt.“ Es ist oft schwierig, ein vernünftiges Anschlussprojekt zu finden, wenn man einen derart großen, überfallsartigen Erfolg hatte. Muss es eine Komödie sein? Nein, denn dann heißt es: „Toni Erdmann war besser.“ Das Tolle am Dolmetscher ist, dass er Komödie und Drama ist. Es ist auch toll, dass es ein slowakischer Film ist, denn die tschechischen und slowakischen Filme haben eine diesbezügliche Tradition: Komödien, die nicht nur Komödien sind. Dolmetscher ist ein zutiefst ernsthafter Film, eine Aufarbeitung nationaler Geschichte, der die Frage nach der Beteiligung an Kriegsverbrechen stellt, sowohl bei Österreichern als auch bei Slowaken. Der Film ist eigentlich aktueller, als einem das lieb sein kann. Etwa, dass die Polen gerade verbieten wollen, dass man von polnischer Mitverantwortung beim Holocaust reden darf. Die Nazis haben den Karren so tief in den moralischen Morast gelenkt, dass man wahrscheinlich noch ein paar Generationen braucht, um zu irgendeiner Normalität zurückzukommen.

Ihr Filmpartner, der tschechische Schauspieler und Regisseur Jirí Menzel ist eine Legende des europäischen Kinos. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit ihm gestaltet?
Peter Simonischek: Ursprünglich sollte (der slowakische Filmemacher, Anm.) Juraj Herz diese Rolle spielen. Den habe ich kennengelernt, wir hatten auch Kostümprobe. Bei Herz war aber es leider so, dass es zuviel für ihn war – der Arzt hat gesagt, er sollte das nicht mehr machen. Soweit ich gehört habe, geht es ihm nicht so gut. Mittlerweile auch Menzel nicht, aber das hat andere Gründe. Der war topfit beim Drehen. Ich habe ihn sehr schätzen, ja, ich würde sagen, lieben gelernt. Wirklich. Das kommt echt selten vor und in meinem Alter sowieso, einen derart außergewöhnlichen, humorvollen, charismatischen, selbstbewussten und bescheidenen Menschen zu treffen. Ich als Theaterschauspieler kannte ihn ja. Die meisten Menschen bei uns wissen nicht, wer Jirˇí Menzel ist, in Tschechien ist er aber ein Star. Er hat exemplarische Inszenierungen abgeliefert in Basel, Zürich, Berlin – Zadek zum Beispiel hat ihn oft geholt, weil er einer der wenigen war, die auf der Bühne Komödien inszenieren konnten und das auch gern gemacht hat. Und nicht auf so einem Niveau wie heute. Ich denke da an jemanden, aber nenne keine Namen. (Lacht.) Das lockt die Leute scharenweise in die Theater, aber ich kann da keine Miene verziehen.

Aber was Menzel da gemacht hat – großartig! Die Filme von Menzel – er ist ja nicht zufällig Oscar-Preisträger – sollte man sich ansehen. Das ist keine Fleißaufgabe, das lohnt sich. Er hat mir einen Film gezeigt, in schwarzweiß – Scharf beobachtete Züge, der auf Deutsch Liebe nach Fahrplan (Oste sledované vlaky, 1966, Anm.) heißt. Ein Film über einen Jungen, der sein Leben verliert, während er einen Munitionszug der Nazis in die Luft fliegen lässt. Das Ganze ist aber tatsächlich eine Komödie und spielt auf einem kleinen Bahnhof. Dieser Charme ist dem slowakisch-tschechischen Kino immanent. Die haben auch wunderbare Schauspieler, ganz seltene Typen. Das sind dort nicht ein paar Start-Ups, die sich schnell für einen Film zusammenfinden. Man merkt vielmehr, dass das eine gewachsene Kinokultur ist.

Herrn Menzel geht es schlecht?
Peter Simonischek:
Ja, leider. Er, der Vater zweier kleiner Mädchen von zehn und fünf Jahren, der einen lebenslangen Pachtvertrag mit der Jugend zu haben schien, wurde von einer Krankheit heimgesucht, die man ganz selten im hohen Alter bekommt, sondern eher in jungen Jahren. Es ist eine Tragödie. Er war dermaßen fit, dabei ist der zehn Jahre älter als ich. Ich habe mir einen Film angesehen, wo er eine Theaterrolle gespielt hat, noch vor 15 Jahren, mit Handstandüberschlag, mit Purzelbaum über einen Stuhl und dergleichen. Ich habe so gestaunt. Dann steht er da beim Frühstück und, bumm, fällt er hin und lehnt so schief an meinem Tisch (Simonischek demonstriert es, Anm.). Hat der noch alle Tricks drauf gehabt, der alte Mann! Und auf einmal wird der so brutal aus dem Verkehr gezogen. Hoffentlich erholt er sich wieder!

Ihre Figur Georg weiß, dass der Vater ein Kriegsverbrecher war, dennoch scheint er diesen Umstand zu verdrängen oder zumindest mit Alkohol und Frauen zu kompensieren. Zur Verdrängung hat ja bereits Freud geforscht, ist das eine besondere österreichische Eigenschaft?
Peter Simonischek: Ich habe mir gedacht, es kommt nicht von ungefähr, dass Georg Graubner als Wiener angelegt ist. Das Talent, die Umwege zu leben, ist hier als Überlebenstaktik gut ausgeprägt. Wie heißt es bei uns immer gern? „Es geht sich eh aus.“ Man hat uns diese Rolle ja auch offiziell angeboten. Zehn Jahre nach Kriegsende gab es den Staatsvertrag, und eine der Begründungen war, dass wir eines der ersten Opfer des Nationalsozialismus waren. Diese Sichtweise hat man sehr gern angenommen und hat sich nicht besonders angestrengt, das zu hinterfragen. Insofern müssen wir uns bei Herrn Waldheim bedanken, dass der Deckel von der Kloake genommen wurde in diesen Jahren. (Lacht.)

Und wie sich das verbreitet hat damals! Das war für mich so etwas wie der erste Effekt der Globalisierung. Ich war auf nachgeholter Hochzeitsreise mit meiner Frau auf den Seychellen. Da lag ein Eingeborener auf einem Einbaum und hat sich irgendeinen Oktopus aus dem Wasser geholt, lag den ganzen Tag da, hat mal eine Kokosnuss gegessen – wie Adam im Paradies. Dann haben wir mit dem ein bisschen geradebrecht auf Englisch, wo wir herkommen. „Austria“ – „Oh yeah, Sydney, Melbourne.“ – „Nein, nein, Austria. Mozart.“ Und wissen Sie, was der dann gesagt hat? „Oh yeah, Wold-Heim, Wold-Heim.“ Ich habe gedacht, ich falle vom Hocker.

Auch in jüngster Zeit gab es – Stichwort Liederbuchaffäre – Kontroversen um die NS-Vergangenheit. Haben Sie das auch verfolgt?
Peter Simonischek: Habe ich, ja. Dass es Kommersbücher gibt in den Studentenverbindungen, das wusste ich immer schon, weil ich selbst studiert habe. Dass solche dummdreisten Texte abgedruckt sind, wusste ich nicht, noch dazu in einer Neuauflage. Schlimm genug. Ich bin sicher, die Schubladen sind gut gefüllt, und bei passender Gelegenheit kommt die nächste Entdeckung ans Licht. Trotzdem würde ich sagen: Man soll genau hinschauen und die Regierung an dem messen, was sie macht.

„Dolmetscher“ wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und Tragödie. Sie haben Thomas Bernhard gespielt, bei dem beides ja auch nahe beisammen liegt. Hat Ihnen diese Erfahrung geholfen?
Peter Simonischek: Während des Drehs habe ich gar nicht so sehr daran gedacht, aber jetzt, wo Sie es sagen … Bernhard war ja ein eigenständiger Meckerer, Grantler. Das war natürlich auch eine Attitüde, die man von ihm erwartet hat, und jetzt wo er tot ist, wird sein Werk durchforstet und ausgeschlachtet. Da sind ein paar Lektoren dabei, die gucken überall, wo er was Böses gesagt hat und machen daraus ein Buch, zum Beispiel „Städtebeschimpfungen“. Ich glaube, das würde ihn wahnsinnig ärgern, vor allem, weil er ja nichts mehr damit verdient. (Lacht.) Aber es ist schon wahr, dass es Parallelen gibt. Das ist mir auch sympathisch an Bernhard, dass er nie müde geworden ist, die alten Nazis an den Pranger zu stellen.

„Dolmetscher“ ist ein Roadmovie. Haben Sie dadurch Ecken der Welt – vornehmlich der Slowakei – kennengelernt, die Sie vorher noch nicht kannten?
Peter Simonischek: Ja, deutlich! Und nicht nur die Ecken der Welt dort. Es mag ein Gemeinplatz sein, aber die Slowakei ist wirklich ein wunderschönes Land. Ich habe viele junge Leute da getroffen, die extrem was wollen, die positiv gestimmt sind. Überhaupt: Immer wenn ich in Länder komme, in denen es wirtschaftlich nicht so floriert und wo einem nicht der Überfluss entgegenspringt, habe ich das Gefühl, dass es als Ausgleich oder vielleicht als Folge davon viele positiv gestimmte junge Leute gibt, die mit Zuversicht und Neugier in die Zukunft gucken. Das ist mir schon in Rumänien beim Erdmann-Dreh aufgefallen. So viele „abgelöschte“, wie ich da immer sage – die Schweizer haben da den Begriff „’s is scho abg’löscht“, damit meinen sie unambitionierte und saturierte Menschen – so viel abgelöschte junge Leute, wie man sie hier bei uns sieht, gibt’s dort nicht, hab’ ich den Eindruck. Abgesehen davon habe ich bei der Filmarbeit wunderbare Leute kennengelernt, allen voran Martin Šulík, den ich als einen wunderbaren Menschen und als intelligenten, einfühlsamen Gesprächspartner und Regisseur kennengelernt habe. Und, wie gesagt, den Jirí Menzel.

Martin Šulík hat auch Erfahrung als Schauspieler. Sind das Vorteile bei einem Regisseur?
Peter Simonischek: Finde ich immer, ja. Ich finde, jeder Regisseur sollte zumindest irgendwann mal auf der Bühne gestanden haben oder vor der Kamera. Es ist sehr förderlich, wenn man die Ängste und Nöte der Schauspieler am eigenen Leib erfahren hat. Für mich sind die idealen Regisseure die, die bei den Proben ihr Herz mit auf der Bühne haben. Und nicht die, die gar nicht auf die Bühne schauen, sondern nur in den Text. Das gibt es auch.

Apropos Proben: Gab es die vor den Dreharbeiten?
Peter Simonischek: Ja, hatten wir. Wir hatten für einen Film sogar recht ausführliche Proben. Es waren sogenannte Leseproben, aber da redet man natürlich schon sehr viel über Inhalte. Das war mir sehr angenehm, dass man so in die Sache reinwachsen konnte. Das ist ja immer mit Kosten verbunden, aber das wurde da sehr verantwortlich und inspirierend gemacht.

Der Film behandelt über mehrere Ecken das schwierige Verhältnis von Vätern und Söhnen. Konnten Sie aus eigenen Erfahrungen schöpfen?
Peter Simonischek: Als Sohn eher, weil ich meinen Vater, der sechs Jahre im Krieg war, schon gefragt habe, was damals war. Ich war halt ein kleiner Junge und habe gefragt: „Papa, hast du jemanden totgeschossen?“ Dann hat er gesagt: „Nein, nicht dass ich wüsste.“ Also, er hat vielleicht mal eine Handgranate geworfen, die vielleicht irgendjemanden doch das Leben gekostet hat, so habe ich das verstanden. Aber er war kein Offizier, er hat nach sechs Jahren als Oberleutnant abgerüstet. Ich glaube, so, wie ich ihn kenne und in Erinnerung habe, hat er sich nicht geeignet zum Heldentum. Er hatte auch keine Ambitionen in diese Richtung. Er hat, glaube ich, geschaut, dass er einigermaßen heil über die Runden kommt. Er hat auch noch das Glück gehabt, dass er gegen Kriegsende Scharlach bekommen und die letzten Kriegsmonate im Lazarett und in Quarantäne verbracht hat. Das hat ihm wahrscheinlich die Gefangenschaft erspart und alles Mögliche. Sonst wäre ich vielleicht gar nicht auf der Welt. Und meine Söhne, ja … Es gab bisher keine so brisanten Fragen, die sie an mich hatten. Die kommen erst. Die werden erst kommen, wenn wir unter der Erde sind und es keine frische Luft mehr gibt und kein sauberes Wasser mehr.

Wie nahe oder fern ist ihnen die Rolle des Georg?
Peter Simonischek: Ich habe definitiv Seiten von mir an ihm entdeckt. Diese Überlebensstrategien, fünf gerade sein zu lassen, das kennt, glaube ich, jeder. Jeder Österreicher sowieso. Man arrangiert sich. Es gibt sicher mehr Menschen, die mit dieser Methode über die Runden kommen als solche, die den Deckel aufmachen und reinschauen, die es wirklich wissen wollen. Am Stammtisch kann man diese Sprüche ernten: „Ma muaß a vergessn kenna, ma muaß des bleiben lossn, jetzt hea auf mit die oidn Sochn.“ Das sind die üblichen Anworten für Leute, die sich Fragen stellen zur Vergangenheit. Die Tendenz zu sagen: „Jetzt lassen wir das sein“, kennt man zur Genüge. Es gibt so viele junge Menschen, die nichts mehr davon wissen. Wenn man jetzt hört, wie über militärische Konflikte geredet wird … Es gibt kaum noch Überlebende des Zweiten Weltkriegs. Man muss sich nur Bilder Berlins anschauen von vor siebzig Jahren. Heute sieht man sich die Bilder von Aleppo an. So sah es damals bei uns aus, das ist noch nicht so lange her. Das ist offensichtlich in Vergessenheit geraten. Man redet wieder so, als ob das durchaus eine Keule ist, die man schwingen sollte. Schrecklich. Wenn man hört, dass Trump schon zweimal seinen Sicherheitsberater ausgetauscht hat und jetzt einen Hardliner engagiert hat, der sich früher schon dahingehend geäußert hatte, dass man in Nordkorea zuschlagen sollte, da wird einem doch anders.

„Betrügen muss man mit Freude“, sagt Georg einmal. Was halten Sie von diesem Motto?
Peter Simonischek: Das kann ich nur unterschreiben. Aber: Betrügen – Komma – muss man mit Freude. Nicht: Betrügen muss man – Komma – mit Freude. Wissen Sie, wie ich das meine?

So ähnlich wie die Geschichte des zum Tode Verurteilten, den der König mit dem Schreiben „Wartet, nicht hängen“ begnadigen will. Doch das Komma wird an der falschen Stelle gesetzt: „Wartet nicht, hängen“, was zur Folge hat, dass der Mann sofort gehängt wird.
Peter Simonischek:
(Lacht.) Ja, das gefällt mir. So ist es hier auch. Wenn man eine Sache schon macht, dann richtig. Sonst ist sie überflüssig. Zwei Sachen muss man beachten: Das Vergnügen und die wirklich gute, originelle Ausrede. Man kann die betrogene Person nur in ihrer Würde belassen, indem man sich wirklich Mühe gibt, gut zu lügen. Das kann man bei den Franzosen lernen, und da im Speziellen bei Sacha Guitry. Er hat 70 Stücke geschrieben und viele Drehbücher für sich selber. In einem seiner Stücke heißt es: „Wenn die Stunde der Wahrheit kommt, gibt’s nur eins:
lügen, lügen, lügen.“

„Dolmetscher“ ist in gewisser Weise auch ein Werk über den Umgang mit dem Alter. Wie halten Sie sich jung?
Peter Simonischek: Ich unternehme da keine besonderen Anstrengungen, denn das ist ein Kampf – wenn man ihn zu ernst nimmt, verzweifelt man, weil man natürlich verliert. Die Frage ist nur, wie schnell geht das Verlieren? Ich versuche das harmonisch und vernünftig zu halten. Ich versuche ein gutes Maß zwischen Demut und Leichtfertigkeit. Man muss die Gesundheit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, man muss nicht übertreiben. Man muss nicht immer nur im Sessel sitzen, essen und saufen. Ich versuche, nicht zu verzweifeln, wenn es dort und da zwackt und man die Treppen nicht mehr richtig hochkommt. Bevor ich aus dem Auto aussteige, schaue ich mal, ob jemand da ist, der das sieht, weil mit meinen 72… In der Stadt fahre ich mit dem Fahrrad, da habe ich kein Problem, das geht auch noch schwungvoll. Aber aus dem Auto auszusteigen, nachdem ich zwei Stunden gefahren bin, da habe ich es lieber, wenn mir in den ersten Minuten niemand zuschaut. (Lacht.)

„Dolmetscher“ ist eine slowakisch-tschechisch-österreichische Koproduktion – also ein richtiger europäischer Film. Wie ist Ihr Blick auf das aktuelle europäische Kino, verfolgen Sie es genauer?
Peter Simonischek: Nicht so genau im Moment, aber eines ist schon klar: Wenn der europäische Film daraus besteht, dass die Gelder überall zusammengesammelt werden und man die Filme dann auch proporzmäßig besetzen muss … Es ist so ähnlich wie die Parteienwirtschaft bei uns mit der proporzmäßigen Vergabe von Posten. Beim Film gibt es dann den speziellen Effekt, dass fünf Leute fünf verschiedene Sprachen innerhalb einer Szene sprechen und die Schauspieler einander naturgemäß nur zum Teil verstehen. Das als europäischen Film zu bezeichnen, ist Humbug, ein verhängnisvolles Missverständnis. Ich glaube, jede Geschichte, die wirklich gut ist, hat ihren Ursprung in irgendeinem überschaubaren Zusammenhang, der authentisch sein muss und daraus seine Kraft bezieht. Wenn das so gemacht ist, dass es gültig ist für ganz Europa – oder, wenn Sie Glück haben, für die ganze Welt –, dann haben Sie etwas Großes geschafft. Aber ich bin sicher, der Ausgangspunkt muss authentisch sein.

Der Europäische Filmpreis hat Ihnen deutlich mehr Filmangebote eingebracht. Bringen Sie das mit der Arbeit am Burgtheater noch unter einen Hut?
Peter Simonischek: Ich glaube nicht, dass ich auf die Bühne und auf das Publikum freiwillig verzichten werde – das Theater ist und bleibt das Fest des Augenblicks. Wie hat Ingmar Bergman gesagt: „Das Theater ist die Ehefrau, der Film ist die Geliebte.“ Ich werde Ende Mai  im Akademietheater wieder eine Premiere haben. Es handelt sich dabei um die österreichische Erstaufführung des Stücks „The Who and the What“. Der Autor ist Ayad Akhtar, der auch „Geächtet“ geschrieben hat. Man kann als Schauspieler nicht auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Das bedeutet, dass man gelegentlich absagen muss – auch Hollywood.

Können Sie etwas über zukünftige Projekte verraten? Sie sind etwa in „Kursk“ dabei, Thomas Vinterbergs neuem Film über das russische U-Boot-Desaster im Jahr 2000.
Peter Simonischek: Das habe ich sehr gern gemacht. Das war in gewisser Weise eine Verbindung von Theater und Film, weil ich Vinterberg am Theater kennengelernt habe. Ich hab nicht mit ihm gearbeitet, aber ich habe seine Sachen gesehen, hab mich ein paar Mal in der Kantine mit ihm unterhalten, und ich mag ihn sehr. Ein sehr inspirierter und kühner Kopf. Die Sachen, die er hier am Akademietheater gemacht hat, zum Beispiel „Die Kommune“, fand ich großartig. Das ist ein Mensch, der mit Theater gar nichts zu tun hatte. Als der das erste Mal hier arbeitete, hat er gefragt: „Komm mal her. Inspizient? Was macht der?“ Der war so theaterfremd, wie wenn jemand zum Film gehen würde und sagen: „Operator? Was ist der Operator?“ oder so. (Lacht.) In einer Produktion hat er Theater gelernt, wenn man so will. Sehr clever.

Wissen Sie, ob das „Erdmann“-Remake mit Jack Nicholson noch aktuell ist?
Peter Simonischek: Ich habe das nie ganz ernst genommen. Nicholson ist 81 und hat sieben Jahre lang keinen mehr Film gemacht. Aber Maren Ade hat die Filmrechte tatsächlich verkauft. Zwar nicht in dem Umfang, wie die Amerikaner das wollten, denn die wollen ja dann gleich alles. Den Titel hat sie nicht mitverkauft. Einen zweiten Toni Erdmann wird es also sicher nicht geben.