Tully

Filmkritik

Tully

| Angela Sirch |

Ungeschönter und humorvoller Blick auf die Mutterschaft

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Marlo erwartet ihr drittes Kind. Während ihre Tochter Sarah ein etwas zurückhaltendes Kind ist, zeigt ihr Sohn Jonah Züge von Autismus, die sich vor allem mittels unkontrollierbarer Wutausbrüche manifestieren, sobald sich etwas an seinem üblichen Tagesablauf ändert. Da Marlos Ehemann zudem regelmäßig beruflich auf Reisen ist, schlägt ihr Bruder Craig vor, eine Nacht-Nanny anzustellen: eine Person, die abends auf das Neugeborene aufpasst und der Mutter den wohlverdienten Schlaf ermöglicht.

Zunächst hält Marlo nichts von der Idee, eine Fremde in ihr Haus zu lassen und ihr ihr Baby anzuvertrauen, doch als sie physisch und psychisch immer mehr an ihre Grenzen kommt, wählt sie schließlich die Nummer, die ihr der Bruder gegeben hat, und Tully betritt ihr Haus und Leben. Die junge Frau strotzt vor Energie, ist erfrischend, direkt und witzig. Zwischen den beiden Frauen entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft, die weit über die Kinderbetreuung hinausgeht, denn Tully möchte Marlo helfen, den nicht so offensichtlichen Gründen für ihre Erschöpfung auf die Spur zu kommen.

Das erfolgreiche Duo aus Regisseur Jason Reitman und Drehbuchautorin Diablo Cody beweist nach Juno und Young Adult aufs Neue, dass mit Humor, einer starken Beobachtungsgabe und dem Gespür für feine Zwischentöne die Realität gekonnt in liebenswerte Charaktere und gefühlvolle Geschichten packen kann. Tully lebt vor allem von dem wundervollen Spiel von Charlize Theron, die der Mutter mit der postpartalen Depression, dem sich aufopfernden Wesen und dem trockenen Humor ein Gesicht gibt. Autorin Cody widmet sich erneut einem Thema über das viele Menschen immer noch ungern sprechen: die Depression vieler Mütter nach der Schwangerschaft. Denn abgesehen davon, dass die Gesellschaft erwartet, dass man bei der Geburt des eigenen Kindes nichts als Freude empfindet, machen sich viele Mütter auch noch selbst ein schlechtes Gewissen. In Tully geht es aber auch noch um viel mehr als das. Es geht um das Leben, das man als junger Mensch geführt hat, das man hinter sich lässt, wenn man Mutter wird und zu dessen Unbeschwertheit man sich gelegentlich zurücksehnt. Den eigenen Körper, der sich durch Schwangerschaften und den stressigen Lebensstil verändert. Die Beziehung, die man mit seinem Partner führt, die zwischen Baby-Brei und Muttermilchpumpe mit der Zeit ihre Intimität verliert.

Zwischen den vielen humorvollen Szenen lässt Jason Reitmans Film Platz für stille, ernste und berührende Momente und bietet, ebenso wie das Leben selbst, Unvorhergesehenes.