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Die Frau, die vorausgeht

| Ralph Umard |

Fiktionale Romanze vor dem Hintergrund des Völkermords an den nordamerikanischen Ureinwohnern

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Der Schamane und Häuptling vom Stamm der Lakota-Sioux, Sitting Bull, ist der wohl bekannteste Indianer der US-amerikanischen Pionierzeit, als das Land von europäischen Einwanderern besetzt und die indigene Bevölkerung weitgehend ausgerottet wurde. Am 15. Dezember 1890 wurde er, unbewaffnet, in der Standing Rock Reservation in North Dakota von einem  Indianerpolizisten per Kopfschuss getötet.

Da war er 59 und von Entbehrungen bereits deutlich gezeichnet. In Woman Walks Ahead, einer romantisierenden Episode aus seiner letzten Lebensphase, erscheint er als attraktiv aussehender, viriler Mann mittleren Alters, der von einer gebürtigen Schweizerin bewundert wird. Catherine Weldon (bürgerlich: Susanna Carolina Faesch), eine Aktivistin der National Indian Defense Association, reiste 1889 mit ihrem Sohn (der im Film nicht vorkommt) von New York nach North Dakota ins Pine Ridge Reservat, um Sitting Bull zu malen. Sie lebte dann eine Zeit lang bei seiner Familie und wirkte als seine Sekretärin und Rechtsberaterin. Hier wird ihre Beziehung fiktional verklärt und als Variation des zeitlosen Romeo-und-Julia-Motivs bildschön in Szene gesetzt; mit einer überragenden Hauptdarstellerin (Jessica Chastain), grandiosen Prärie-Totalen und ohne Kampfsequenzen. Abgesehen von einer brutalen Szene, in der die Indianerrechtlerin verprügelt wird, werden die Konflikte verbal ausgetragen. Bewegend ist eine Rede Sitting Bulls vor einem Komitee, das vom hinterlistigen General Crook (Nomen est omen) geleitet wird.

Vergleicht man den Film mit Scott Coopers Hostiles (2017), der zur etwa gleichen Zeit spielt und auch mit großartig komponierten Landschaftsbildern beeindruckt – der rauhbeinige, chauvinistische Oberst Silas Graves (Sam Rockwell) ist hier wie die von Christian Bale in Hostiles verkörperte Figur ein rassistischer Veteran der Indianerkriege – so unterscheiden sich die Western grundsätzlich in der Weltsicht. Während in Hostiles der Mensch als des Menschen Wolf erscheint, herrscht hier eine humanistische Tendenz vor. Die Titelheldin ist eine Philantropin, Sitting Bull wirkt weise und friedfertig. Nach vorsichtiger Annäherung kommt es bei Gitarren- und Violinklängen zum Tete-à-tete der beiden im Wigwam.

Das Wildwest-Ambiente ist wie in den alten Winnetou-Filmen geschönt; die gewaltsamen Landraubpraktiken sind andeutungsweise, aber im Kern historisch richtig dargestellt. Sie bilden aber nur den Rahmen für eine platonische Liebesgeschichte, die letztendlich zur Geschichtsverkitschung führt.

 

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