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The Man Who Killed Don Quixote

The Man Who Killed Don Quixote

Traum und Wirklichkeit

| Harald Mühlbeyer |
Lange geplant, immer wieder gescheitert und nun endlich  fertiggestellt: Terry Gilliams „The Man Who Killed Don Quixote“.

And now … After 25 years of making … and unmaking …“ Mit diesen Einblendungen beginnt Terry Gilliam (Interview) seinen lang erwarteten Don-Quixote-Film: Er weiß um den Mythos, der sich um diese Produktion aufgebaut hat und der den Film zu erdrücken droht. Er hat trotzdem an dem Stoff festgehalten, hat immer wieder das Drehbuch verschiedenen Darstellern, verschiedenen finanziellen und produktionslogistischen Umständen angepasst, hat immer wieder neue Rückschläge erlitten – und muss sich stets an den Erwartungen messen lassen, die die grandiose Dokumentation des Scheiterns Lost in La Mancha (2002) geweckt hat. Das hätte ein – unabhängig produziertes – Making-of werden sollen für die Gilliam’sche Großproduktion The Man Who Killed Don Quixote. Und wurde zum Dokument dessen, was alles schiefgehen kann: Vom Nato-Manöver, das den Dreh damals im Jahr 2000 in Südspanien verunmöglichte, über das Unwetter, das große Teile des Sets und des technischen Equipments wegspülte, bis zum Bandscheibenvorfall von Quixote-Darsteller Jean Rochefort, der nun nicht mehr reiten konnte. Nach sechs Drehtagen war Schluss, und Gilliam war am Ende.

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Nicht das erste Mal, und nicht das letzte Mal. Viele, viele Bücher wurden bereits geschrieben über Gilliams Produktionsproblematiken, bei denen viel Pech im Spiel war, aber auch Gilliams Integrität und sein Wille zur Kunst im Gegensatz zu kommerziellen Interessen, die das Nonkonforme glattzubügeln drohten. Legendär sein 1985 öffentlich ausgetragener Kampf um die Schnittfassung des Meisterwerks Brazil gegen den Studioboss von Universal, der aus der Dystopie eine Fantasy-Heldengeschichte mit Happy End zusammenkürzen wollte – nur in den USA und Kanada, wohlgemerkt, während der Film im Rest der Welt im Fox-Verleih in seiner ganzen Pracht zu sehen war. Ein absurderes Beispiel für absurde Produzentenentscheidungen ließe sich wohl kaum denken – bis zu Gilliams nächstem Film Die Abenteuer des Baron Münchhausen, den der deutsche Produzent Thomas Schühly nach dem Prinzip Hoffnung budgetiert hatte, der dann quasi in Konkurs ging – und unter Aufsicht der Filmversicherungsgesellschaft zu einem phantastischen Abenteuer um die Kraft des Erzählens wurde. Oder The Brothers Grimm von 2005: Auch zu dieser Produktionsgeschichte gibt es ein erhellendes Buch, wie die Weinstein-Brüder Gilliam in den CGI-Fantasy-Mainstream drückten; u.a. indem sie seinen Kameramann feuerten. Und schließlich: Heath Ledgers Tod während der Dreharbeiten zu Das Kabinett des Dr. Parnassus, der in einem typisch gilliamesken Twist in den noch nicht abgedrehten Szenen durch Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell ersetzt wurde: Just nämlich beim Eintauchen in die Wunderwelt hinter den Spiegeln wandelt sich die Heath-Ledger-Figur in eine andere Verkörperung ihrer selbst, und Gilliam hatte wieder einmal bewiesen, dass die Krise bei ihm stets auch die Chance ist, etwas Unglaubliches zu schaffen.

The Man Who Killed Don Quixote: Hier hat Gilliam nun mit Adam Driver als Pseudo-Sancho-Pansa und mit dem Brazil-erprobten Jonathan Pryce als Pseudo-Don-Quixote ein wunderbares Leinwandpaar gefunden. Driver spielt Toby, einen erfolgreichen Werberegisseur, der seine künstlerischen Ambitionen längst zugunsten des schnellen Geldes eingetauscht hat – und nun beim Dreh in Spanien von seinem alten Studentenfilm eingeholt wird. In herrlichem Artsy-fartsy-Schwarzweiß hatte er zehn Jahre zuvor den Don-Quixote-Stoff verfilmt, als Fahrkarte nach Hollywood. Und muss nun nicht nur feststellen, dass die damals 15-jährige Angelica (Joana Ribeiro) inzwischen, angesteckt vom Traum nach Ruhm und Reichtum, zur Escort-Hure geworden ist, sondern vor allem, dass sein Quixote-Darsteller sich in den Wahn hineinmanövriert hat, tatsächlich der Ritter von der traurigen Gestalt zu sein. Und dass Toby dessen Sancho Pansa sei, den Quixote nun mitschleppt auf der Suche nach Abenteuern, Windmühlen, der süßen Dulcinea, nach ritterlichen Kämpfen – und dazwischen Toby, der auslöffeln muss, was ihm sein kleiner Film vor zehn Jahren eingebrockt hat.

Die Kunst schafft Fakten, und der Wahn kann ein Ausweg sein. Gilliam schwelgt in den für ihn typischen Themen: Die Phantasie, die die Weltflucht ermöglicht, aber auch in Wahnsinn umschlagen kann; der Zyniker, der seine Träume längst aufgegeben hat; der Kampf für das Unmögliche, das sich nicht nur im Machen seiner Filme findet, sondern in den Filmen selbst. Seine phantastischen Bilder umspannen dabei hochalbernen Slapstick wie die fieseste Arschlochhaftigkeit einiger Charaktere, und es gelingt Gilliam, dem Geist von Cervantes’ Roman auch in seiner Übertragung ins Heute gerecht zu werden: Don Quixote ist in der Vorlage wie bei Gilliam ein armer Tropf, der der Welt ihre verlorene Ehre wiedergeben will durch stures Beharren auf einer völlig unzeitgemäßen Ritterlichkeit, wie man sie nur aus alten Büchern kennt.

Gilliams Werk ist im Wesentlichen aus zwei Narrativen aufgebaut, die sich in seinen Filmen in unterschiedlichen Gewichtsanteilen vermischen. Einmal aus dem „Alice im Wunderland“-Thema: Jemand fällt unversehens in ein Loch und findet ein ungeahntes Wunderland voller Zauber und Gefahren. Und zweitens aus dem Don-Quixote-Stoff: Der einfache Mensch sehnt sich aus der Langeweile und Mittelmäßigkeit seines Lebens heraus nach etwas anderem, geboren aus Traum und Fantasterei, es drängt ihn ins idealistische Reich märchenhafter Abenteuer. Mit Tim Burtons Alice in Wonderland von 2010 – bildmächtig zwar, gleichwohl unausgegoren und Mainstream-geformt – und Gilliams The Man Who Killed Don Quixote – phantasiereich zwar, faszinierend und überaus kurzweilig, gleichwohl circa zehn Minuten zu lang – sind die beiden Geschichten filmisch bis auf Weiteres auserzählt. Zu wünschen freilich wäre, dass dies nicht Gilliams finaler Film sein wird – die Phantasie dieses großen Filmkünstlers ist nach wie vor ungebrochen. Denn wie sich im Quixote-Film in einer unglaublichen Sequenz zwischen Traum und Realität einmal mehr zeigt: Bei Gilliam muss man jederzeit mit der Spanischen Inquisition rechnen.