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Der Affront / L'insulte

Filmkritik

Der Affront / L'insulte

| Roman Scheiber |
Zwei Männer, ein Streit, zwei Bevölkerungsgruppen, ein Prozess: gleichnishaftes Konfliktkino aus Beirut

Den Stein ins Rollen bringt eine Kleinigkeit. Toni Hanna, libanesischer Automechaniker in Beirut, hat ein unsauberes Abflussrohr auf seinem Balkon, von dem aus Wasser auf die Passanten träufelt. Yasser Salameh, geboren im besetzten Palästina, technischer Leiter eines Gebäuderenovierungstrupps im Viertel, will das Teil ordnungsgemäß ans Kanalnetz anschließen. Doch Toni, der die Palästinenser lieber ganz woanders als im eigenen Land sehen würde, weigert sich heftig. Eine Kettenreaktion setzt sich in Gang. Auf eine Beleidigung folgt keine Entschuldigung folgt ein verbaler Gegenangriff folgt ein Schlag in die Magengrube. Vermittlungsversuche von Yassers Boss bleiben vergeblich, Tonis hochschwangere Frau Shirine ist entsetzt, doch ein Problem zwischen Männern, die außer ihrer Sturheit anscheinend nichts gemein haben, endet, wo es enden muss: vor dem Kadi.

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Dass die Angelegenheit nun einer Lösung zugeführt würde, erscheint gerade so wahrscheinlich, als würde Toni freiwillig in den zerstörten und gerade erst wiederaufgebauten Ort seiner Herkunft am Land zurückzukehren – obwohl oder gerade weil Shirin sich gleich am Anfang des Films genau das wünscht. Im Gegenteil: Schicht um Schicht legt das geschickte Drehbuch von Ziad Doueiri nun die Hintergründe einer Auseinandersetzung frei, die immer weniger mit Abflussrohren oder gebrochenen Rippen, dafür aber umso mehr mit der Gegenüberstellung von individueller und kollektiver Schuld, vor allem aber mit schwer verheilenden Kriegswunden zu tun hat. Denn wenn es etwas nicht gibt hier, was den Zank hätte eindämmen können, ist es ein allgemeingültiges Narrativ des fast drei Jahrzehnte nach dem Waffenstillstand immer noch als unsichtbare Frontlinie zwischen den Ethnien des Landes verlaufenden Bürgerkriegs.

Doueiri, Kamera-Assistent beim frühen Tarantino, ist selbst während des Bürgerkriegs aufgewachsen. In seiner Inszenierung ergreift er nicht Partei, sondern schildert exemplarisch die unaufhaltsame Eigendynamik eines tiefsitzenden und unterschwelligen, weil quasi verbotenen Konflikts. Denn schon bald taucht ein erfahrener, eloquenter Staranwalt auf und so eskaliert der Fall nicht nur in die nächste Gerichts-, sondern auch in die nächste psychosoziale bzw. Medien-Instanz und wächst sich zu einem veritablen Gerichtssaal-Spektakel aus. Im Hintergrund des Thrillers freilich leuchtet eine Parabel durch: auf sinnlos wuchernden Nationalstolz und falsch verstandenes Ehrgefühl, welche aus unbewältigten Gewaltakten der Vergangenheit genährt werden.