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Angelo

Filmkritik

Angelo

| Roman Scheiber |

Ästhetisch anspruchsvolle, historische Rassismus- und Sozialstudie mit Gegenwartsbezug

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Willkommen am Hof der Fürsten Liechtenstein! Rund 40 Afrikaner lebten Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien, jedoch kostbar eingekleidet, höfisch erzogen und in mehreren Sprachen unterrichtet, auf diplomatische Missionen mitgenommen, berühmt und posthum gar legendär wurde nur einer davon. In späteren Jahren soll er als Mitglied der Freimaurerloge „Zur Wahren Eintracht“ mit den Größen seiner Zeit verkehrt haben, zum Beispiel mit Mozart. Nach seinem Tod erinnerte man sich seiner exotischen Herkunft, präparierte seinen Körper und stellte diesen im kaiserlichen „Physikalischen und astronomischen Kunst- und Natur-Tier-Cabinet“ als Attraktion auf. Seine Geschichte, nämlich jene des fürstlichen Hofmohren Angelo Soliman, wurde zuletzt vor sieben Jahren vom Wien Museum erzählt.

Nun hat Markus Schleinzer den Stoff für das Kino aufbereitet. Der Film beginnt mit einer starren, distanzierten Einstellung der Anlandung aus Afrika verschleppter Buben am Kontinent, und er endet mit einem langsamen Zoom in jenes Feuer, in dem Solimans ausgestopfte Leiche im Revolutionsjahr 1848 in der Hofburg verbrannte. Dazwischen erzählt Angelo souverän von Identität und Fremdheitsgefühl, von Aufbegehren und Anpassung, von Selbstsuche und Selbstfindung, von Selbstinszenierung, Selbstwert und Selbstwertverlust. Ja, und auch von der Unmöglichkeit, sich als Einzelner gegen alle anderen durchzusetzen. Kein Biopic samt psychologischer Erklärungsmuster hat Schleinzer vorgelegt, sondern ein fragmentarisch komponiertes, dialogsprachlich geschliffenes Stationendrama, das einen Schwerpunkt auf die Paradoxien einer solchen Existenz legt: Wie kann man zugleich ein Star und ein Diener sein? Zugleich Projektionsfläche und selbstbestimmter Mensch? In seiner Bemühung um formale Strenge erinnert Angelo dabei ein wenig an Jessica Hausners Amour Fou.

Die Ausstellung endete mit Video-Statements in Wien lebender Menschen mit afrikanischem Migrationshintergrund. Bei Schleinzer braucht es so etwas natürlich nicht, um die rassistischen Relikte des 18. Jahrhunderts in die Stereotypen von heute weiterzudenken. Umgekehrt ist Afrika selbst für viele immer noch ein Phantasiegebilde. Dabei reicht es, sich ein paar rezente österreichische Filme vor Augenzu führen, um der Realität näher zu kommen: Untitled etwa (von Glawogger/Willi) oder Ulrich Seidls Safari oder auch Welcome to Sodom (siehe S. 68). Fußnote: Angesichts der exorbitanten Leistung von Lukas Miko als Kaiser möge Seyffenstein einmal ernsthaft über die Abdankung Robert Palfraders nachdenken.