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Suspiria

Strategie des Schreckens

| Jörg Schiffauer |

Mit der Neuauflage von „Suspiria“ und der Fortschreibung von „Halloween“ erfahren zwei große Klassikers des Horror-Genres eine Wiederbelebung – die Resultate sind höchst unterschiedlich.

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Eine junge Frau hetzt nervlich ziemlich aufgewühlt durch die Straßen West-Berlins. Als sie an jenem Haus ankommt, in dem sich die Praxis ihres Psychiaters  befindet, bewegt sich gerade ein Demonstrationszug vorbei, der die Stimmung in der Bundesrepublik von 1977 auf den Punkt bringt. Denn im Deutschen Herbst erreichten die Terroraktionen der RAF mit der Entführung Hanns Martin Schleyers einen dramatischen Höhepunkt. Mit dieser Aktion sollten die sich in Haft befindlichen Führungsfiguren der RAF um Andreas Baader und Gudrun Ensslin freigepresst werden. Eine Forderung, die auch die Teilnehmer an besagter Demonstration lautstark zum Ausdruck bringen, Freiheit für Baader und Meinhof – mittels Untertitel noch verdeutlicht – wird skandiert. Dass Ulrike Meinhof zu diesem Zeitpunkt schon mehr als ein Jahr  lang tot war – die Journalistin und spätere Terroristin nahm sich am 9. Mai 1976 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim das Leben –, ist nur eine von vielen Ungereimtheiten von Luca Guadagninos Suspiria.

Nun sollte man es mit zeitgeschichtlichen Details in einem Horrorfilm vielleicht nicht zu genau nehmen. Doch Guadagninos Neuauflage von Dario Argentos Genreklassiker verweist im Verlauf seiner ausufernden 152 Minuten mehrfach so explizit auf die Ereignisse jener Tage, dass ein solcher Mangel an Detailgenauigkeit schon etwas konsternierend erscheint.

Suspiria – All of Them Witches

Von einem Remake sollte man korrekterweise nicht sprechen, vielmehr stellt Guadagninos Version eine Art Nachempfindung von Argentos Original dar. Mit Suspiria gelang Dario Argento 1977 ein Film, der nicht nur in einschlägigen Fankreisen schon bald Kultstatus erlangen sollte. Was den Plot angeht, ist Argentos Suspiria zunächst nicht viel mehr als eine Schauergeschichte mit okkulten Elementen. Suzy Bannion, eine junge Amerikanerin, reist nach Deutschland, um in Freiburg an einer renommierten Ballettschule zu studieren. Die freudige Erwartung erhält jedoch einen ersten Dämpfer als sie gleich bei ihrer Ankunft einer Kommilitonin begegnet, die fluchtartig die Akademie verlässt. Am nächsten Tag erfährt Suzy, dass die junge Frau einem grausamen Mord zum Opfer gefallen ist. In der Folge mehren sich in den Räumen der Tanzakademie ebenso bedrohliche wie mysteriöse Ereignisse. Suzy beginnt, den Dingen auf den Grund zu gehen und findet heraus, dass die Schule in Wahrheit der Sitz einer mächtigen Hexe, Mater Suspiriorum – offiziell firmiert sie als Leiterin der Anstalt unter dem Namen Helena Markos – ist, die mit ihren Helfershelferinnen, den Tanzlehrerinnen, von ihrem Sitz in Freiburg aus  finsteres Unwesen treibt. Die Geschichte ist aber ohnehin nur die Oberfläche. Seine unverwechselbare Qualität bezieht Suspiria in seiner Eigenschaft als geradezu prototypischer Vertreter des „Giallo“, jenes in Italien entwickelten Subgenres, das mittels höchst effektvoller Stilistik Thriller- und Horrorelemente zu kombinieren versteht.

Suspiria stützt sich nicht auf einen raffiniert ausgefeilten Plot oder schert sich viel um narrative Logik im engeren Sinn, die grundlegende Richtung ist jedoch schnell etabliert. In leuchtendem Karmesin-Rot strahlen die Mauern der Tanzakademie als Suzy Bannion in einer stürmischen Nacht dort ankommt, ebenso durchdringend leuchtet das Blut, das vom Hals der erwähnten ermordeten jungen Dame tropft, als sie an einem Galgenstrick im pittoresken Foyer des Hauses, in dem sie Zuflucht gesucht hat, hängt. Dario Argentos Inszenierung mit ihren Bildern in expressionistisch leuchtende Farben und dem hypnotischen Score der Prog-Rock-Band Goblin wird zu einem geradezu rauschhaftes Erlebnis, das vor allem die sinnliche Komponente der Lust am filmischen Text betont. Die Grundidee um die mächtigen Hexen, die drei „Mütter“, entnahmen Argento und seine Ko-Drehbuchautorin Daria Nicolodi übrigens aus der Essay-Sammlung „Suspiria de Profundis“ von Thomas de Quincy, dessen literarische Werke nicht selten von seinem intensiven Opiumkonsum beflügelt wurden (obwohl es in Suspiria noch keinen Hinweis darauf gibt, schrieb Argento die Geschichte um besagte Hexen – neben Suspiriorum handelt es sich um Mater Tenebrarum sowie Mater Lacrimarum – mit dem ebenso fulminanten Inferno (1981) und dem nicht ganz so feinen La terza madre (The Mother of Tears, 2007) fort).

Was die Figuren und die Grundsituation angeht, orientiert sich Guadagnino in seiner Version zunächst erstaunlich eng an Argento. Angesiedelt ebenfalls 1977, nimmt Susie (die leicht veränderte Schreibweise des Vornamens bleibt ein Geheimnis) Bannion (Dakota Johnson) in besagter Akademie, die nun aber in West-Berlin unweit der Mauer, die die Stadt trennt, liegt, ihre Ausbildung auf. Obwohl sie tänzerisch noch eher unerfahren ist, beeindruckt sie mit ihrer Ausdrucksstärke ihre Lehrerinnen so sehr, dass man ihr die Hauptrolle in jenem Stück überantwortet, dass die Truppe gerade vorbereitet. Susie beginnt sich also in der Akademie einzuleben – ihre Lehrerinnen um die charismatische Madame Blanc (Tilda Swinton) erscheinen zwar stets ein wenig zu exaltiert, doch an ihrer fachlichen Kompetenz scheint kein Zweifel zu bestehen. Zudem findet die junge Amerikanerin unter ihren Kommilitoninen mit Sara (Mia Goth) eine Freundin. Doch neben der intensiven Probenarbeit verbreitet sich auch zunehmend Unruhe, verursacht durch das scheinbar spurlose Verschwinden einer der Tänzerinnen (Chloë Grace Moretz) – jene junge Dame, die nach dem eingangs bereits erwähnten Besuch bei ihrem Psychiater Dr. Klemperer nicht mehr in die Akademie zurückgekehrt ist. Eine allgemein um sich greifende Verunsicherung, die vor allem für Susie zum Problem wird, da sie psychisch ohnehin ein wenig instabil wirkt. Die Ursachen dafür scheinen – in wiederholten Rückblenden, die aber weitgehend bruchstückhaft bleiben, wird die Problematik nur angedeutet – in ihrem familiären Umfeld zu liegen, ist sie doch in einer strenggläubigen  Mennoniten-Gemeinde aufgewachsen.

Im Gegensatz zu Argentos schnurgerader Erzählstrategie verlaufen die narrativen Pfade bei Guadagnino wesentlich verschlungener. Neben der zentralen Geschichte um die mysteriösen, bedrohlichen Vorgänge in der Tanzakademie ranken sich Nebenstränge wie etwa die Vergangenheit des Psychiaters Klemperer im Dritten Reich – der, ohne zuviel verraten zu wollen, nicht zufällig denselben Nachnamen trägt wie Victor Klemperer, dessen Tagebücher ein eindrucksvolles Zeugnis über die Verfolgung, die der Gelehrte in der Schreckensherrschaft der Nazis ausgesetzt war, geben –, deutsche Nachkriegsgeschichte von der Teilung Berlins bis zur gespannten innenpolitischen Lage in der Bundesrepublik im Deutschen Herbst und die vermeintlich traumatische Jugenderlebnisse der Protagonistin Susie. Guadagnino wirft mit seiner Inszenierung, einem Jongleur gleich, jede Menge Bälle in die Höhe, etliche davon fallen aber gar nicht mehr herunter. So wird wiederholt mittels Archivmaterial via im Hintergrund laufender Fernsehnachrichten auf die Geschehnisse um die Entführung Schleyers und einer Lufthansa-Maschine verwiesen, ohne dass jedoch die Bezüge zur RAF und die Reaktion des Staates auf den Terror letztendlich eine narrative oder sonstige Funktion erfüllen würden – der zeitgeschichtliche Bezug reduziert sich auf zur prätentiös anmutenden Dekoration.

Filme, die sich an Neuauflagen von Klassikern vom Kaliber Suspiria versuchen, haben zugestandenermaßen nicht nur bei eingefleischten Fans einen schweren Stand. Nun kann es natürlich nicht darum gehen, derartig kanonisierte Arbeiten unter den sprichwörtlichen Glassturz zu stellen und jede neue Auslegung als vermeintliches Hüten der wahren Lehre grundsätzlich zu hintertreiben. Selbstverständlich ist auch ein Ansatz, der sich von jenem Dario Argentos unterscheidet, legitim, doch muss man sich dann auch am Original – dessen Status zumindest in Bezug auf die Wirkungsmacht wohl unbestritten sein dürfte – messen lassen. Im Gegensatz zu Argentos Bild- und Soundrausch erweist sich Guadagninos Suspiria als kopflastiges Gebilde, bei dem gedanklich vornehmlich über mehrere Vorbanden gespielt wird. Zwischen narrativen Haupt- und Nebensträngen, von denen manche ins Nichts verlaufen, spart Guadagnino nicht mit Verweisen auf stilbildende Größen wie Roman Polanskis psychologische Thriller in der „Mieter“-Trilogie, die Verrätselungen von David Lynch oder den Body-Horror David Cronenbergs, ergänzt um Anleihen bei der Psychoanalyse, einer gezwungen wirkenden feministische Komponente und einer kräftigen Portion Splatter-Effekte zum großen Finale. Dass aus dieser Fülle an Topoi, Verweisen und Assoziationen ein wenig homogen erscheinendes Konstrukt entstanden ist, mag auch daran liegen, dass Suspiria offenbar mit aller Gewalt jener bedeutende Wurf hätte werden sollen, mit dem Luca Guadagnino in jedem Kader seinen Status als ausgewiesener Auteur unterstreichen wollte. Nun hat sich Guadagnino seinen Platz in den vorderen Reihen des europäischen Arthouse-Kino mit Filmen Io sono l’amore, A Bigger Splash oder Call Me by Your Name durchaus – wobei sein Auteur-Selbstbewusstsein schon immer ein wenig hervorzutreten pflegte – erarbeitet, doch im Fall von Suspiria hat die Überwältigung von der eigenen Herrlichkeit nicht viel mehr als einen gekünstelt wirkenden Hybrid hervorgebracht.