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Touch Me Not

Filmkritik

Touch Me Not

| Pamela Jahn |
Ein sperriger Beitrag zum Wesen der Intimität

Sie wollten ein Zeichen setzen. Anders lässt es sich kaum erklären, dass die diesjährige Berlinale-Jury den Goldenen Bären für den Besten Film ausgerechnet an Touch Me Not vergab. Es war eine Überraschung, mit der keiner gerechnet hatte, am wenigsten die Künstlerin und Regisseurin Adina Pintilie selbst. Denn derart sperrige und eigenartige Filme wie ihrer gewinnen für gewöhnlich selten mehr als vereinzelte Zustimmung auf Festivals, wenn sie es überhaupt bis in den Wettbewerb schaffen. Doch diesmal hatte die Rumänin Glück. Die Jury um Tom Tykwer wollte eine zukunftsgewandte Entscheidung treffen und so einigte man sich darauf, ein Werk zu ehren, das mit einer Regisseurin als Preisträgerin genauso gut in die angebrochene Post-MeToo-Ära passte wie zu einem Filmfest, das zumindest vorgibt, Originalität, Anders-sein-als und formale Spielfreude auf der Leinwand zu forcieren.

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Tatsächlich kommt man jedoch bereits im Hinblick auf die Eigentümlichkeit von Pintilies Ansatz ins Schleudern, zumal ihre Grundidee darin zu bestehen scheint, über weite Strecken steril wirkenden Bilder mit der grellen Musik der Einstürzenden Neubauten zu beschallen, um auf diese Weise das Wesen der menschlichen Intimität zu erforschen.

Konkret geht es um eine Reihe von Figuren, in deren Zentrum Laura steht, eine Frau um die Fünfzig, die ihre Berührungsangst damit zu überwinden versucht, dass sie einem Callboy beim Masturbieren zuschaut, mit einem anderen nur sitzt und redet, oder etwa einer Selbsterfahrungsgruppe mit zum Teil schwer behinderten Menschen bei diversen Körperkontaktübungen mit Partnern und Pflegern beobachtet. Einer von ihnen ist Christian, der an spinaler Muskelatrophie leidet und daran interessiert ist, die vorherrschenden Körperbilder in Frage zu stellen, während der wimpernlose Tómas, ähnlich wie Laura, auf seine Weise damit beschäftigt ist, der Scheu anderen Menschen gegenüber sowie den inneren Dämonen beizukommen.

Sie alle wollen lernen, wie man sich öffnet, sind gesprächig und bewegen sich, so frei es eben geht, vor dem unnachgiebigen Auge von Pintilies Kamera. Das eigentliche Problem ist jedoch nicht ihre Berührungsangst, sondern vielmehr die Unfähigkeit der Regisseurin, den nötigen Abstand zu ihren Figuren zu bewahren. Denn dadurch entpuppt sich der semidokumentarische Rahmen mit fortschreitender Laufzeit als immer weniger radikal und vielmehr distanzierend und unnahbar. Zwar mag auch Touch Me Not mitunter starke Momente und eindrückliche Bilder erzeugen, doch am Ende machen ein mutiges Thema und furchtlose Protagonisten allein noch keinen gelungenen Film – Goldener Bär hin oder her.