Girl Film

Filmkritik

Girl

| Jakob Dibold |
Junges belgisches Drama, dem sein Cannes-Erfolg vorauseilt

Das Mädchen, um das es geht, ist Lara, 15, schlank, blond, Ballett-Aspirantin. Und doch ist sie es, auch in ihrer Selbstwahrnehmung, noch immer nicht ganz: Sie befindet sich auf ihrem Weg zur vollständigen Geschlechtsangleichung. Zumindest so lange, dass auch ihr sechsjähriger Bruder es nicht vergessen hat, war Lara nämlich Viktor.

Werbung

In die Vergangenheit geblickt wird in Girl jedoch nicht, alles richtet sich nach vorne: Die Herausforderungen des Unterrichts an einer renommierten belgischen Tanzschule werden für Lara mit Fortdauer des Geschehens ebenso immer schwieriger zu bewältigen wie die Ungeduld, mit der sie sich ihren Frauenkörper herbeisehnt. Der Einzelunterricht wird härter, die Füße versehrter und die Mitschülerinnen auf unangenehmste Weise (in einer der stärksten, zugänglichsten Szenen) neugieriger. Die Hormonbehandlung geht ihr nicht schnell genug, und die für den Eingriff erforderliche Fitness leidet unter den schulischen Anstrengungen. Zur Seite stehen Lara ihr alleinerziehender Vater und ihr Therapeut, beide um sie bemüht, doch schlussendlich nie ganz in der Lage, sie in ihren Ängsten und Sorgen wirklich zu erreichen. Wie sollte es dann auch anders sein, führt die schleichende, stumme Verzweiflung eines jungen Menschen doch auch hier zur Anwendung drastischer Maßnahmen.

Transgenderdrama und Ballettfilm – dem Langfilmdebüt von Lukas Dhonts haften beide Labels an. Die Disziplin, das Kämpferische und vor allem das Körperliche des Balletts spielen aber keine separate, sondern eine tragende Rolle: Einerseits sehen wir Lara virtuos wirbeln, verbissen auf den Spitzenschuhen tänzeln, strahlen und fallen. Andererseits aber verstärkt dies das Grundproblem des Films, denn so viel wir von ihrem Körper sehen, so wenig erhalten wir dann Einblick in die Psyche der Hauptfigur. In dieser Körperfixiertheit, der man manchmal einen gewissen Grad an Voyeurismus zumindest leise unterstellen darf, fehlt es nicht nur oft an emotionaler Tiefe, sondern scheinbar auch an Motivation, die Komplexität des Themas präziser darzustellen.

Mit dem Begriff „Transgenderdrama“ tut man dem Film insofern gar nicht allzu gut, denn auch als Beitrag zu einer Enttabuisierung trägt er nicht sehr viel bei. Was wir jedoch – teilweise auch in äußerst stimmigen Ansätzen – zu sehen bekommen, ist primär ein zweifellos interessantes Einzelschicksal, das uns unaufdringlich entfaltet wird. Ein ambitioniertes Körperdrama, das das Potenzial seines 27-jährigen Regisseurs durchaus unterstreicht, aber noch deutlich Luft nach oben lässt.