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Don’t Blink – Robert Frank

Robert Frank

You Got Eyes

| Jörg Becker |

Robert Frank zählt zu den wichtigsten Fotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Daneben trug er als Filmemacher zur Entstehung des Independent-Kinos bei. Die Dokumentation „Don’t Blink – Robert Frank“ zeichnet den Lebensweg des Künstlers nach und lässt ihn selbst zu Wort kommen. Neben der Ausstellung seiner Fotoarbeiten in der Albertina folgt nun ab 10. November eine Retrospektive seines filmischen Gesamtwerks im Filmmuseum.

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Was ein gutes Foto sei, wird Robert Frank an einer Stelle in dem Film Don’t Blink gefragt: Es müsse scharf sein, sodass man alles erkennen könne, und die Menschen sollten in die Kamera lächeln. Ironisches Grinsen des Meisters, vom Team im Off wissend erwidert. Gerade das Werk von Robert Frank scheint darauf angelegt, den kompletten Gegenentwurf zu solcher Haltung zu liefern; das soziale Elend und die politische Lage, wie ein Wasserzeichen in seinen Bildern sichtbar, war für ihn als Fotograf durchweg von Interesse, darüber hinaus hatten Walker Evans und der Naturalismus der harten kontrastreichen Movietone-News-Aufnahmen in den Kinos großen Einfluss auf ihn. Die Qualität seiner Fotografien war nie in erster Linie von ihrer technischen Raffinesse und Perfektion bestimmt, schließlich musste man vor allem schnell sein beim Bildermachen, sodass die Abgebildeten erst später oder womöglich gar nicht wahrnehmen, dass man sie fotografiert hat. Frank gilt nicht umsonst als einer der Erfinder der „Street Photography“, bei der man „aus der Hüfte“ aufnahm, aus dem fahrenden Auto, in Bars oder Parks. Er demonstriert es mitunter beim Dreh zu Don’t Blink: „Unsharp but good.“ Und: „I like to look at the most banal things. Things which move.”

Robert Frank, gebürtiger Schweizer, ist ein erkennbar eigensinniger, enorm spontaner Künstler, seine Weltsicht scheint immer noch wesentlich geprägt von der amerikanischen Nachkriegs-Avantgarde. Dass er eine eigenwillige, mürrische Seite hat, mitunter eine bis zur Unfreundlichkeit reichende konfrontative Art, die er in den wenigen Interviews, die er eigentlich hasste, durchblicken ließ – Don’t Blink enthält ein paar Kostproben davon –, dürfte sich der seit Erscheinen seines Fotobandes „The Americans“ berühmte Fotograf als Schutz gegenüber den Medien zugelegt haben, eine Panzerung, die sich angesichts seiner Präsenz in dem Film, gegenüber dem Team, sehr bald als Täuschung entlarvt: In Wahrheit ist er ein affektiver, emotionaler Künstler, ein Philanthrop, voller Liebe zum Leben („I like life. But I don’t know if that comes out in my films“). Die Cutterin Laura Israel, langjährige Mitarbeiterin Franks, versammelt in Don’t Blink – Robert Frank Impressionen aus seinem Leben und Werk und gibt darin Einblicke in seine Lebensräume im New Yorker East Village und in Mabou an der Küste der kanadischen Seeprovinz Nova Scotia, ein jeder Ort wie die Kehrseite des anderen. („It’s cold and you have to slow down“, so Frank über sein Haus in Mabou mit Blick auf den Atlantik.) In das Ödland am Meer habe er sich auf der Stelle verliebt, „it looked like a Robert Frank photograph“, sagt seine Frau, die Bildhauerin June Leaf.

Laura Israel bringt ein Maximum an Material in bloß 80 Minuten unter. Entsprechend dicht ist ihr Film aus prägnanten Filmausschnitten, zahllosen Fotos und Kontaktabzügen, angesammelten Objekten und Notizen komponiert, sie nutzt Archivmaterial von Auftritten Franks bei Lectures, von Interviews und Dreharbeiten und dokumentiert gegenwärtige Szenen, in denen der Fotograf auf einige seiner alten Wegbegleiter trifft. Der Film jagt durch die ahnbare Fülle des Lebenswerks, seine intensive Montagefrequenz angetrieben von rasanten Musikeinsätzen exzellenter Quellen, stetig gepusht, um den Bilder- und Erfahrungsreichtum dieser annähernden Jahrhundertbiografie zu erfassen, Vergangenheit und Gegenwart simultan zu registrieren.

You just had to try

Robert Frank zählt zu den wichtigsten Fotografen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1924 in Zürich geboren und ging 1947 in die Vereinigten Staaten, wo er bis heute zurückgezogen lebt. Als Kind Geborgenheit in einem Elternhaus des gehobenen Bürgertums, mit einem Vater, der selbst ein guter Fotograf gewesen sei, so Frank – er zeigt formal tadellose Beispiele –, wenn auch nur in der Freizeit, weil es primär um das Geldverdienen ging. Er habe einen hohen Preis bezahlt, bemerkt Frank einmal über seinen Vater, und man kann sich den Antrieb vorstellen, der den Sohn zur Emigration bewegte; er nahm die andere Richtung. In New York kann er in den späten vierziger Jahren über die Gebrauchsfotografie als „Fashion Photographer“ für „Harper’s Bazaar“ den Lebensunterhalt verdienen, später habe ihn die „New York Times“ über Wasser gehalten („Ned Silverstein – he really kept me alive“). „I came here to try my luck in America“, bekennt Frank – „sein Glück versuchen“ ist ein Märchenausdruck – und zu Anfang, für die erste Zeit, sei in den USA auch noch alles offen gewesen. „You just had to try“, eine bestechende Vorstellung. Die Männer mit Schlips und grauem Anzug in Manhattan hätten sie in der Greenwich-Bohème-Szene damals alle „Sammys“ genannt, so Frank, alle begierig danach „to make a fortune“, was nichts anderes heißen sollte als „to make money“. Die finanziell schwierigste Phase sei in seiner Erinnerung fotografisch die für ihn produktivste gewesen.

1949 gestaltet er „Mary’s Book“, ein handgebundenes Fotobuch; im Jahr darauf heiratet er die Künstlerin Mary Lockspeiser, mit der er zwei Kinder bekommt: Pablo und Andrea. Er nimmt an einer Ausstellung von 51 amerikanischen Fotografen im Museum of Modern Art teil. 1952 erstellt Frank ein weiteres konzeptuell gestaltetes und handgebundenes Fotobuch, „Black White and Things“. Anscheinend steckt für ihn in dieser gefundenen Kunstform des Fotobuchs, einer authentischen Anordnung von originalen Lebensfunden – auch wenn sie aus reproduzierbarem Medium bestehen, werden sie in solchem Kontext wieder „ursprünglich“ – gleichsam die Möglichkeit, ein Ausdrucksjournal zu führen, ein Buch des eigenen Lebens, das die Essenz des Erinnerns enthält.

In den Jahren 1955 und 1956 bereist er mit der Familie das ganze Land, für diese Foto-Odyssee hatte er von der Guggenheim Foundation ein Stipendium bekommen. In allen Gegenden der Vereinigten Staaten nimmt er die verschiedensten Sujets auf, Menschen aller Lebensbereiche, Armut und Reichtum, Einsamkeit und Gesellschaft, Erniedrigung und Würde, Jugend und Alter, Schwarz und Weiß

Jenseits des Reklamebildes

1958 erschien die Quintessenz jener Reise, sein Fotobuch „The Americans“, das die Ästhetik des Fotografierens revolutionierte – der zukunftsweisende Fotoband des Jahrzehnts. Bei seiner großangelegten Tour quer durch die USA machte er mehr als 28.000 Bilder und stellte 83 davon in einem Band zusammen. Zurück in New York lernte er Jack Kerouac, den Autor der Beat Generation, kennen, den er um ein Vorwort für seine Bildreportage bat, in der er auf ganz neue Weise auf die Amerikaner blickte. Zeitgenössische Rezensionen sprachen von einer „verzerrten Objektivität“, „sinnlosen Unschärfen“, beklagten trübe, grobkörnige Bilder, eine „allgemeine Schlamperei“ seiner Kunst, und nannten sie „ein trauriges Poem für kranke Menschen“. Für derart vernichtende Urteile wurden formale Kriterien angeführt: mangelnde Schärfe der Aufnahmen, nichts sei festumrissen, kadriert, definitiv, alles wirke vorläufig und unabgeschlossen. „Vom ‚entscheidenden Moment‘ konnte keine Rede sein; es waren die Momente dazwischen. Doch mit Sicherheit verdankte sich die Reaktion in ihrer besonderen Heftigkeit zum Teil der Tatsache, dass die Fotos fast alle jenes namenlose, Trauer tragende Etwas jenseits des Reklamebildes vom amerikanischen Leben zeigten. Selbst die Fotos, die von Prosperität, Zeremonien und Familien sprachen, hielten diese Qualitäten in weniger ruhigen Augenblicken fest. Das Buch war kein Angriff, doch es weigerte sich, Beschwichtigung zu bieten.“ (Luc Sante)

Weniger bekannt ist, dass sich Robert Frank, als er Ende der fünfziger Jahre mit „The Americans“ berühmt wurde, von der Fotografie abwandte und mehr als zehn Jahre lang nur noch Filme drehte. „Eine Entscheidung: Ich verstaue meine Leica in einem Schrank. Genug davon, auf der Lauer zu liegen, zu verfolgen, um bisweilen an die Essenz des Schwarzweiß und das Wissen um den Ort Gottes zu kommen. Ich mache Filme. Jetzt spreche ich zu den Leuten, die sich in meinem Sucher bewegen. Nicht einfach und nicht besonders erfolgreich.“

Mit dem Übergang vom Foto zum Film schien der Künstler aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, glitt in den Underground – und lediglich Pull My Daisy (1959) und später das Road-movie Candy Mountain (1987) galten als Regiearbeiten des Fotografen. Ein umfassendes filmisches Werk entstand, das sich zwischen Fiktion und Dokumentation bewegt, keinen kommerziellen Erfolg suchte und auch keinen hatte. Lediglich The Sin of Jesus (1961) und Me and My Brother (1965–68) waren in Kreisen des Avantgardekinos noch präsent. In den siebziger Jahren kehrte Frank zur Fotografie zurück. Robert Frank, der Filmemacher, blieb für eine breitere Öffentlichkeit beinahe vier Jahrzehnte lang ein gut gehütetes Geheimnis. Die Mehrzahl seiner audiovisuellen Arbeiten ist zwischen 23 und 40 Minuten lang. Die halbe Stunde erscheint also als die Dauer, die seiner Erzählhaltung und seinen Zwecken entspricht.

Dem Flüchtigen eine Prägung

„I create chaos“, bekennt Frank einmal in Laura Israels Film. Man weiß nicht, was der frühe, tragische Tod der eigenen Kinder (Tochter Andrea 1954–1974; Sohn Pablo 1951–1994) mit einem Vater macht. Sein Leben jedenfalls ging weiter, wenn auch unter einem bleibenden Schatten. Die spontane, improvisatorische Seite seines Werks, die Faszination des flüchtigen vitalen Ausdrucks, ist geblieben. Auch seine Weigerung, sich von Dingen zu trennen, den Zeugnissen dessen, was man verloren hat. Die Künstlerin June Leaf liebe gerade das an ihm, sagt sie, diese Seite eines scavenger (Aasgeier / Lumpensammler / Straßenreiniger / Plünderer …). Gebeugt sieht man Frank über Foto-abzügen sitzen, wie in einer einzigen großen Erinnerungswerkstatt, umgeben von seinem Lebensarchiv, in dem alles gleichzeitig untergebracht ist. Man kann sich ein Wühlen und Kramen in einem alten Haus vorstellen, auf einer ziellosen Reise durch die Vergangenheit.

In Laura Israels Don’t Blink finden sich Passagen mit Einstellungen aus geschichteten Bildlagen, die Franks Foto-Assemblagen gleichsam aufgreifen und fortzusetzen scheinen, ihm auch dabei zuschauen, wie er vereinzelten Negativen seiner Fotos malend oder schreibend eine Signatur aufträgt, dann in Papieren, Typoskript-Dokumenten seines verstorbenen Sohnes kramt. Mit zunehmendem Alter erscheint Robert Frank mehr denn je wie ein bildender Künstler, ein Bildner im emphatischen Sinn, der immer schon dem Flüchtigen eine Prägung verliehen hatte, von schlichter Präsenz fasziniert, und zunehmend das Rudimentäre, Reduzierte, Archaische, Einfache in den Vordergrund stellte.

Robert Franks Karriere begann also als umstrittener Starfotograf, der Teil der Gruppe um Jack Kerouac und Allen Ginsberg wurde. Sein erster Film Pull My Daisy, im November 1959 in New York zusammen mit Shadows (1959) von John Cassavetes uraufgeführt, im Tempo und Fluss ein jazziges Double Feature, greift eine Szene aus Kerouacs nicht vollendetem Theaterstück „The Beat Generation“ auf. In den kommenden Jahren drehte er rund 30 Filme, alle unabhängig und ohne Budget realisiert, sodass Robert Frank nicht nur als einflussreicher Fotograf und Erfinder eines völlig eigenständigen und neuen Stils bekannt wurde, sondern auch als Wegbereiter des Independent-Kinos. Mit den Rolling Stones kooperierte er für den Tournee-Film Cocksucker Blues und das Cover-Artwork des Albums „Exile On Main Street“. Der Film, den Frank im Auftrag Mick Jaggers drehte, wurde niemals veröffentlicht und durfte per richterlichem Beschluss nur ein paarmal im Beisein der Künstler gezeigt werden.

Robert Franks Werk ist sehr persönlich und selbstreferenziell. Er hat es immer abgelehnt, seine Arbeiten zu erklären oder zu verteidigen und sie vielmehr für sich sprechen lassen. Ein Foto sei nur Erinnerung, erklärt Frank an einer Stelle, eine Erinnerung, die man ablegen könne, Film dagegen sei noch Jahrzehnte später lebendig, bringe die Vergangenheit in die Gegenwart zurück („How films survive!…it’s the real thing, it brings back live“). Da ist er auf einmal ganz auf der Seite des Films.

Somber people and black events / The Americans

Robert Franks frühes fotografisches Meisterwerk „Black White and Things“, das 34 Bilder aus den Jahren 1948 bis 1952, aufgenommen in Spanien und New York, Paris und Peru, versammelt (1994–1996 erstmals als Faksimile-Ausgabe anlässlich einer von der National Gallery in Washington DC organisierten umfassenden Retrospektive Franks erschienen neben der Monografie „Moving Out“), hatte der Fotograf 1952 in drei identischen Exemplaren hergestellt – „Somber people and black events / quiet people and peaceful places / and the things people have come in contact with / this I try to show in my photographs“ lauten die lapidaren Zeilen, die Frank seinem Buch voranstellt. Ohne Erklärungen und ausführliche Legenden, durch die Autonomie ihres Ausdrucks geriet diese entschiedene Anordnung von Fotos zu einem Affront gegen die bis dahin übliche Praxis der Bildmagazine und Fotobücher. Offenbar ging es ihm nicht um Vermittlung, vielmehr um die Demonstration einer eigenen Idee von Fotografie.

Mit „The Americans“ hat Robert Frank einen neuen Blick auf Amerika gefunden – auf die schillernden, chromglänzenden Jukeboxes, im Design zwischen Kühlern von Cadillacs und Satellitenkörpern der NASA; wie extraterrestrische Wunderkisten, Fetische des American Entertainment stehen sie in den abgelegensten Winkeln der Vereinigten Staaten; der Blick richtet sich auf Motels, melancholisch stimmende Durchgangsstationen am Weg; schnurgerade Landstraßen, die auf einen tiefen Horizont zulaufen; grellglänzende Coffeeshops, an deren endlosen Theken, umgeben von Preistafeln, die Menschen ihren Service erwarten, in einem Bild, das an die Übertragung der Fließbandproduktion in den Servicesektor denken lässt; TV-Geräte laufen in menschenleeren Räumen, strahlen in magischer Daueremission ins Nichts; Totenschmuck in Warenhäusern; Nachkommen von Siedlern, die immer noch, mit ihren karierten Sachen und Nietenhosen, wie Cowboys aussehen, in ihren Chevys. Das alles ist entzaubert und geerdet, der American Dream scheint sich in diesen Aufnahmen aus einem unbestimmten Mangel, den der Mythos hinterließ, zu speisen. Dass Robert Franks Fotografien auch auf europäische Filmemacher der folgenden Generation und deren Amerika-Bild Einfluss ausgeübt haben, versteht sich, wenngleich niemand vergleichbar unsentimental geschaut, Menschen ähnlich gegenwärtig und für sich vor seinem Objektiv belassen hat wie Frank.

What it feels like to be alive

„Wenn man diese Bilder gesehen hat, weiß man am Schluss nicht mehr, ob eine Jukebox trauriger ist als ein Sarg“, schrieb Jack Kerouac im Vorwort. „Was für Gedichte können eines Tages über dieses Buch der Bilder geschrieben werden, von einem jungen neuen Autor, der sich, high im Kerzenlicht, über sie beugt und jedes einzelne graue geheimnisvolle Detail beschreibt, den grauen Film, der den roten Saft des Menschengeschlechts einfing. (…) Robert Frank, Schweizer, unaufdringlich, liebenswürdig, mit seiner kleinen Kamera, die er mit einer Hand hochhebt und klicken lässt, er hat aus Amerika ein trauriges Gedicht gesogen und es auf Film gebannt und damit einen Platz unter den tragischen Dichtern der Welt errungen.“ Diese „Introduction“, von Kerouac am 6. November 1957 als eine rauschhafte Eloge in seine Schreibmaschine gehauen, schließt mit der Botschaft: „To Robert Frank I must give this message: You got eyes.“

Einen zentralen, faszinierenden Moment aus dem Film The Present (1996) von Frank hat Laura Israel, die seit 1994 als dessen Cutterin mit dem Werk bestens vertraut ist, in ihrem Don’t Blink angespielt. Bei Kent Jones, der Franks Filme („ein Werk von unsentimentaler Kraft und Einfachheit. Vor allem Einfachheit“) als Ergebnisse einer „konzentrierten Suche nach einem unmöglichen Gegenstand“ ansieht, „ nämlich: was es ausmacht, am Leben zu sein“, findet sich jene Stelle treffend beschrieben: „Ein atemberaubender Moment: Schnitt auf drei schwarze Krähen, die zwischen Grashalmen und Unkraut, das aus dem Schnee ragt, herumpicken. Töne vom Leben draußen im tiefen Winter. ,Ich denke, ich sollte jeden Tag etwas drehen‘, sagt Robert Frank in seiner ausdruckslosen Stimme mit Schweizer Akzent. ,Aber es wird besser sein … Material … von Menschen zu haben‘, fügt er hinzu. ,Jeden Tag will ich ein kleines Stück Video machen. Und ich finde, dass Menschen …‘ Eine Pause, und plötzlich fliegen die Krähen aus dem Bild, alle auf einmal. ,sehr gut sind…‘ Zoom hinaus auf eine verschneite, leicht hügelige Landschaft, am Rand des Bildes liegt ein alter Reifen. ,…und sehr expressiv.‘ Schnitt auf einen Mann in einem karierten Hemd, der vor einem Fenster in Nova Scotia sitzt und über die Hunde in der Gegend redet.“ (aus „Frank Films“, 2003)

Mit der Vorbereitung des Frank gewidmeten Grazer Diagonale-Specials von 2003 begann so etwas wie die Aufarbeitung seines filmischen Werks, von dem bis dahin nur Pull My Daisy – als Beat-Poeten-Film unter Teilnahme von Kerouac und Ginsberg und mit einem frühen Auftritt von Delphine Seyrig – durch Programmkino-Vorführungen zu Bekanntheit unter Eingeweihten gelangt war. Man suchte sich einem Künstler zu nähern, der bis dahin nahezu alles dafür getan hatte, sich zu entziehen, dem Schöpfer eines kompromisslosen, singulären Bildwerks abseits von Moden und Trends, dessen Filme mit dem Grad ihrer Offenheit an Rätselhaftigkeit nur noch gewonnen haben. „I’m a visual man. I have nothing to reveal; it’s all in the work, I hope.“

Da sein für den Moment

Eingangs des exzellenten Überblicksessays von Stefan Grissemann in dem Buch „Frank Films“, unter dem Titel „Vérité Vaudeville. Passage durch Robert Franks audiovisuelles Werk“, findet man den Film- und Videokünstler, soweit so etwas möglich sein kann, verstanden und Wesentliches seiner Filmarbeit benannt: „Frank ist ein Künstler des radikalen Understatements, der Verweigerung. Sein Stil, seine Sprache, seine Zeit ist die Gegenwart – als wollte er das Wesen seines Mediums durchkreuzen, das die Zeit einfriert und als Erinnerung, für immer reproduzierbar, wieder ausspuckt. Franks Filme und Videos enthalten, wenigstens scheinbar, kaum große Bilder und keine ‚bedeutenden‘ Momente, sie verweigern, was man ‚Kino‘ nennt – und auf der Höhe irgendeiner ‚Kunst‘ zu sein, daran hat Frank sowieso kein Interesse. Diese Filme wollen, in zweierlei Hinsicht, grundsätzlich nur für den Moment da sein – den Moment, den sie wiedergeben, ebenso wie für den Moment, in dem sie betrachtet werden -, um sich unmittelbar danach aus dem Bewusstsein wieder ‚zurückzuziehen‘, als wären sie nie dagewesen: wie Träume, die man nach dem Wachwerden nicht mehr recht rekonstruieren kann. Diese Filme legen es nicht darauf an, Erinnerungsspuren zu hinterlassen, sie bleiben blass, ungreifbar, sind ‚atmosphärisch‘ eher als ‚bildlich‘. (Blickt man ein wenig tiefer, ändert sich dieser Eindruck allerdings: Betrachtet man etwa Standfotos aus Franks Filmen, so fällt an ihnen sofort eine eigenartige kompositorische Schönheit auf, eine visuelle Genauigkeit, die an den Filmen selbst zu bemerken schwer fällt. Es gehört zur anhaltenden Faszination dieses Werks, dass es seine eigene Schönheit so sehr unterspielt, zu leugnen scheint.)“