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Vienna Independent Shorts – Kurz und gut

Kurz und gut

| Tina Glaser |

Die Veranstalter von „Vienna Independent Shorts“ zeigen Gespür für veränderte Fragestellungen im Kurzfilmbereich.

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„Kurzfilme sind nur etwas für Liebhaber des Experimentalfilms oder dienen als Übungsformat für Studenten der Filmakademie.“ Seit das Filmfestival Vienna Independent Shorts, kurz VIS, 2004 das erste Mal über die Bühne ging, werden seine Organisatoren nicht müde, gegen dieses Vorurteil zu kämpfen. Entstanden durch den Zusammenschluss mehrerer studentischer Initiativen, schaffte es das VIS jedes Jahr, den Blickwinkel auf die internationale und nationale Kurzfilmszene zu erweitern. Das Festival ist in den letzten Jahren stetig gewachsen (2004 gab es 125 Filme, 2009 waren 311 Filme in Wettbewerbs- und Spezialprogrammen zu sehen) und ist nun das größte Kurzfilm-ereignis Österreichs. Ab 27. Mai geht es nun in die siebente Runde. Dann kann man sich auch davon überzeugen, dass Publikumszuwachs nicht unbedingt mit Qualitätsverlust einhergehen muss. Die Initiatoren beweisen heuer erneut, dass sie ein feines Sensorium im Hinblick auf veränderte Fragestellungen im Bereich der Kurzfilmszene besitzen und antworten darauf mit einem teils veränderten und erweiterten Programm.

Während im Bereich „Internationaler Wettbewerb“ in den vergangenen Jahren zwischen fiktionalen bzw. dokumentarischen Arbeiten und dem experimentellen Kurzfilm nicht unterschieden wurde, wird dieses Jahr dem Experimental- bzw. Animationsfilm eine eigene Programmschiene zugeordnet, die sich „Animation Avantgarde“ nennt. Der Begriff Avantgarde steht hier allerdings nicht für modernistische Strenge, sondern für alles, was an Technik und Ideen vermengt wird und sich zu Neuartigem formt. Das lässt mehr Freiheit für alle möglichen Mischformen zwischen Experimental- und Animationsfilm und digitaler Medienkunst zu. Unter den Filmen befindet sich auch der Gewinner des heurigen Animationsfilm-Oscars, der französische Kurzfilm Logorama des Teams Alaux/de Crecy/Houplain. Der zweite eigenständige Wettbewerbsblock, „Fiction and Documentary“, beherbergt Kurzspiel- und Kurzdokumentarfilme. Die Ausgliederung soll vor allem den narrativen Kurzfilm stärken und damit die Emanzipation vom Langspielfilm fördern. Auch hier darf man sich auf einen Beitrag freuen, der bereits bei der Berlinale gewonnen hat, der schwedische Kurzfilm Händelse vid bank von Ruben Östlund. Neu ist ebenfalls, dass österreichische Filme, die bislang außer Konkurrenz als „Panorama“–Schiene gelaufen sind, heuer gesammelt als eigenes, drittes Programm im Wettbewerb stehen.

Die Gewinner und Gewinnerinnen der Hauptpreise dürfen eine Erhöhung des Preisgeldes erwarten. Jurypreise und Publikums-preise (darunter der von „ray“ im Österreich-Wettbewerb) werden erstmals um den Elfie-Dassanowsky-Preis, ausgelobt von der Foundation zur Erinnerung an die österreichische Hollywood-Produzentin, erweitert.

Nicht nur das veränderte Konzept des diesjährigen Festivals sorgt für Bewegung, sondern auch der Themenschwerpunkt. Film ist Bewegung, nicht zuletzt, weil Film aus bewegten Bildern entsteht. Alles dreht sich heuer um die Begriffe Film – Dance – Rhythm. Anstoß für das Programm, das in Zusammenarbeit mit sixpackfilm entstanden ist, war der sechsminütige Tanzfilm One Dance, One Song: Erè mèla mèla aus dem Jahr 2001 von Daniel Wiroth und Lionel Hoche, der nicht nur zeigt, wie Rhythmus Bewegung, sondern auch wie Bewegung Rhythmus erzeugt.

Für den Begriff Tanzfilm gibt es im Englischen die Bezeichnungen „musical comedy“ oder „music film“. Die Betonung liegt dabei gleichermaßen auf Ton, Musik und Rhythmus ebenso wie am Tanz. Der diesjährige VIS-Programmschwerpunkt handelt von der Verschmelzung zwischen Bild und Ton und bleibt daher keineswegs beim klassischen Tanzfilm stehen. Eine Vielfalt an bereits preisgekrönten sowie selten gezeigten Kurzfilmen steht im Schwerpunktprogramm zur Verfügung.

Im weitesten Sinne getanzt wird in den Filmen der britischen Künstlerin Miranda Pennell, der einer der beiden Tributes gewidmet ist. Ursprünglich aus der Contemporary Dance Szene kommend, beginnt sie bald die Wechselwirkungen zwischen Choreografie und Kamera/Film auszuloten. Ob Kneipenschlägerei, Eisläufer oder marschierende Soldaten, Pennell erforscht eine Choreografie des Alltäglichen, übersetzt diese jedoch in das filmische Medium. Die sehr inspirierenden Ergebnisse darf man gemeinsam mit der Künstlerin bewundern, die heuer nach Wien eingeladen wurde.

Der zweite Tribute ist dem österreichischen Filmkünstler und Kubelka-Schüler Thomas Draschan gewidmet, dessen energetische Filme wegen ihrer Dichte an montierten Bildern gleichzeitig der Archivierungs- und Sammelwut wie auch den Überlegungen zu Rhythmus und Montage lebhaft Ausdruck verleihen. Durch die Montage wird Film zu einer musikalischen Komposition.

Auch im Trickfilm, und das nicht nur in Disney-Produktionen, spielt Musik eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt wird dem oft vernachlässigten Kurzfilmformat des Musikvideos in diesem Jahr gebührend Aufmerksamkeit gezollt. Wer sich gern in die Horizontale begibt, kann sich im beliebten Liegekino auf Luftmatratzen die besten animierten Musikvideos als Deckenprojektionen anschauen.

In einem der zahlreichen Sonderprogramme von Vienna Independent Shorts, dem „Très chic“, wird es um Mitternacht wieder einmal spannend. Dort versammeln sich die schrägsten Kurzfilme dieses Jahres. Verraten sei nur, dass man es mit seltenen Einblicken in das (Paarungs-) Verhalten von Tieren und in die menschliche Anatomie zu tun bekommt! Auch hier wird ein Publikumspreis, der Prix Très Chic, vergeben. Wem das immer noch zu wenig ist, der kann sich das Carte Blanche Programm anschauen, das der kanadische Video-Künstler Benny Nemerofsky Ramsay zusammengestellt hat. Von VIS im Mai und Juni 2010 als Artist-in-Residence ins Quartier 21 eingeladen, zeigt Nemerofsky eigene Arbeiten in Kombination mit anderen Kurzfilmen, die ihn beeinflusst haben. Oder aber man genießt ein Frühstück beim Filmbrunch, dem sympathischen Patenfilmprogramm, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Filme, die es nicht ins offizielle Programm schafften, doch noch zu zeigen. Von diversen Podiumsdiskussionen, der Filmlecture oder einer Trash- und Screensessions-Party gar nicht zu reden.

Als Festivalorte für das reichhaltige und ambitionierte Programm dienen das Gartenbau, das Museumsquartier, das Badeschiff, die Reformierte Stadtkirche und – heuer neu als Hauptspielstätte – das Metro-Kino.